Immer jetzt. Von hier aus gegangen, dann weiter. Kein Sonnenaufgangsspaziergang, erst später begrüßen der Kuckuck und ich den neuen Tag. Gedanken schweifen, ohne sich ins Gestern oder Morgen einzuhaken.
Das Schreibzeug nehme ich mit an den Gartentisch. Es ist noch frisch am Morgen und wieder weht der Wind die schon gelb gewordenen Blätter der alten Trauerweide auf den Tisch, in die Beete, auf die buckeligen Terrassenplatten. Gestern sagte ich, sie verjüngt sich, wirft ab, was zu viel geworden ist, dürre Ästchen und gelbe Blätter – aber auch Tropfen. Vielleicht weint sie ja, über das Altern und Sterben. Auch eine Trauerweide lebt nicht ewig.
Was werde ich noch abwerfen? Was habe ich schon abgeworfen? Diese Fragen stellen sich, jetzt, da die Schritte wieder leicht geworden sind und mich die schnellen Schuhe durch den Frühling tragen.
Das Korsett der Jugend vermisse ich nicht, nicht die Lasten der Verluste, das Alter drückt mich nicht, ist kein Stein auf meiner Brust. Nicht jetzt.
Einzig die unsägliche Politik, die Menschenfeindlichkeiten, die Blindheit auf den rechten Augen ziehen dunkelgraue Schlieren vor den strahlend blauen Maihimmel. Der Wind weht auch diese hinweg.
Die Omas gegen Rechts bekommen in diesem Jahr den Aachener Friedenspreis. Ich bin eine Oma gegen Rechts. Wir lachen viel, wir Omas, trotz Allem. Die Geschichte und die Sorge um die Zukunft einen uns.
„There is no place as paradise“, ich denke oft an diesen Satz und schaue den neuen Nachbarn zu, wie sie an ihrem Paradies bauen, wie sie selbst ihr Gärtnern nennen. Ich nenne es die Vereinnahmung ihres Teils des großen Geländes. Ich sehe keine Freude, nur Angestrengtes. Bei mir bleibt es halbformal, Wildes und Kultiviertes nebeneinander. Die jungen, frisch gepflanzten Kräutlein stehen aufrecht in den Beeten, Blumen wachsen ihrem Blühen entgegen. Es wird eine Freude sein! Es ist eine Freude an der blauen Iris und den Blüten der Jakobsleiter. Jetzt.
Im Jahreskreis lässt es sich leicht tanzen. „Aber der Winter“, höre ich dich sagen. Ja, auch im Winter lässt es sich tanzen, durch den Schnee, so er noch fällt, über das Eis, so es noch entsteht, in der warmen Stube, in aller Heimeligkeit. Das ist die Kür! Wie das zahnlose Lachen der Alten. Sie haben so vieles hinter sich gelassen: den Aufbruch, den Sturm, den Drang, das Lösen der Fesseln, das Weh und Ach der Liebe, des Begehrens, der Enttäuschungen, der Fehlentscheidungen, der Zweisamkeit und der Einsamkeit. Dann das erste Knacken der Gelenke, erste Einbrüche, erste Falten, erste Verluste, das Wachsen des Wissens um die Vergänglichkeit. Warum sollten sie nicht lachen?
Nein, nicht allen Alten ist das vergönnt. Manchen wurde keine Liebe geschenkt, manche sind ohne Hoffnung, ohne Freundschaften, sie haben mein Mitgefühl.
Mitfühlen kann ich, weil ich selbst schon ohne Hoffnung war, mich einsam, ungeliebt fühlte, kraftlos durchs dunkle Tal wanderte. Es war nicht der Gedanke an das Licht am Ende des Tunnels, es war das Ja zum Dunkeltal, das Kraftlosigkeit in Lebendigkeit wandelte. Es war die Stille, die mich fand, das Sitzen mit all dem, was schmerzte. Ich kenne keinen anderen Weg.
Ich folge dem Pfad der Schönheit, dem mäanderden roten Faden von der Quelle zu Mündung. Ich frage nicht mehr nach dem Warum, frage nicht nach richtig, nicht nach falsch, nicht nach Schuld – nicht in diesen Feldern.
Die Lust und die Freude am Leben ist keine Frage des Alters.
Der Maiwind bläst die Mücken fort.
zum Bild: Die Alte am Feuer fand ich in der ‚Oya‘, das Bild der bunten Alten wurde mir zum Geburtstag geschenkt, nun hängen sie etwas versetzt nebeneinander in meiner Küche. Es sind für mich meine äußere und meine innere Alte, auf die ich mich zubewege.
Und ja, wahrscheinlich taucht dieses Thema noch öfter auf. Weil es dran ist.
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