Maiwind

Immer jetzt. Von hier aus gegangen, dann weiter. Kein Sonnenaufgangsspaziergang, erst später begrüßen der Kuckuck und ich den neuen Tag. Gedanken schweifen, ohne sich ins Gestern oder Morgen einzuhaken.

Das Schreibzeug nehme ich mit an den Gartentisch. Es ist noch frisch am Morgen und wieder weht der Wind die schon gelb gewordenen Blätter der alten Trauerweide auf den Tisch, in die Beete, auf die buckeligen Terrassenplatten. Gestern sagte ich, sie verjüngt sich, wirft ab, was zu viel geworden ist, dürre Ästchen und gelbe Blätter – aber auch Tropfen. Vielleicht weint sie ja, über das Altern und Sterben. Auch eine Trauerweide lebt nicht ewig.

Was werde ich noch abwerfen? Was habe ich schon abgeworfen? Diese Fragen stellen sich, jetzt, da die Schritte wieder leicht geworden sind und mich die schnellen Schuhe durch den Frühling tragen.

Das Korsett der Jugend vermisse ich nicht, nicht die Lasten der Verluste, das Alter drückt mich nicht, ist kein Stein auf meiner Brust. Nicht jetzt.

Einzig die unsägliche Politik, die Menschenfeindlichkeiten, die Blindheit auf den rechten Augen ziehen dunkelgraue Schlieren vor den strahlend blauen Maihimmel. Der Wind weht auch diese hinweg.

Die Omas gegen Rechts bekommen in diesem Jahr den Aachener Friedenspreis. Ich bin eine Oma gegen Rechts. Wir lachen viel, wir Omas, trotz Allem. Die Geschichte und die Sorge um die Zukunft einen uns.

„There is no place as paradise“, ich denke oft an diesen Satz und schaue den neuen  Nachbarn zu, wie sie an ihrem Paradies bauen, wie sie selbst ihr Gärtnern nennen. Ich nenne es die Vereinnahmung ihres Teils des großen Geländes. Ich sehe keine Freude, nur Angestrengtes. Bei mir bleibt es halbformal, Wildes und Kultiviertes nebeneinander. Die jungen, frisch gepflanzten Kräutlein stehen aufrecht in den Beeten, Blumen wachsen ihrem Blühen entgegen. Es wird eine Freude sein! Es ist eine Freude an der blauen Iris und den Blüten der Jakobsleiter. Jetzt.

Im Jahreskreis lässt es sich leicht tanzen. „Aber der Winter“, höre ich dich sagen. Ja, auch im Winter lässt es sich tanzen, durch den Schnee, so er noch fällt, über das Eis, so es noch entsteht, in der warmen Stube, in aller Heimeligkeit. Das ist die Kür! Wie das zahnlose Lachen der Alten. Sie haben so vieles hinter sich gelassen: den Aufbruch, den Sturm, den Drang, das Lösen der Fesseln, das Weh und Ach der Liebe, des Begehrens, der Enttäuschungen, der Fehlentscheidungen, der Zweisamkeit und der Einsamkeit. Dann das erste Knacken der Gelenke, erste Einbrüche, erste Falten, erste Verluste, das Wachsen des Wissens um die Vergänglichkeit. Warum sollten sie nicht lachen?

Nein, nicht allen Alten ist das vergönnt. Manchen wurde keine Liebe geschenkt, manche sind ohne Hoffnung, ohne Freundschaften, sie haben mein Mitgefühl.

Mitfühlen kann ich, weil ich selbst schon ohne Hoffnung war, mich einsam, ungeliebt fühlte, kraftlos durchs dunkle Tal wanderte. Es war nicht der Gedanke an das Licht am Ende des Tunnels, es war das Ja zum Dunkeltal, das Kraftlosigkeit in Lebendigkeit wandelte. Es war die Stille, die mich fand, das Sitzen mit all dem, was schmerzte. Ich kenne keinen anderen Weg.

Ich folge dem Pfad der Schönheit, dem mäanderden roten Faden von der Quelle zu Mündung. Ich frage nicht mehr nach dem Warum, frage nicht nach richtig, nicht nach falsch, nicht nach Schuld – nicht in diesen Feldern.

Die Lust und die Freude am Leben ist keine Frage des Alters.

Der Maiwind bläst die Mücken fort.



zum Bild: Die Alte am Feuer fand ich in der ‚Oya‘, das Bild der bunten Alten wurde mir zum Geburtstag geschenkt, nun hängen sie etwas versetzt nebeneinander in meiner Küche. Es sind für mich meine äußere und meine innere Alte, auf die ich mich zubewege.

Und ja, wahrscheinlich taucht dieses Thema noch öfter auf. Weil es dran ist.

Maiglück

Momente des Glücks 05

Gerade sitze ich im Garten unter der schattenspendenden Trauerweide, umgeben von vielfältigem Gesumm und Gebrumm, Gezwitscher, Geflöte und dem Muhen und Brunften  der Kühe auf der Weide, weit hinter unserem Garten. Es ist Mai, die Zeit der Rolligkeit und Brünftigkeit.

Ein Mai wie aus dem Bilderbuch! Wir haben es am Morgen und am Abend recht frisch und des Tags klettert das Thermometer auf maximale zwanzig Grad, so, wie ich es mag. Überhaupt mag ich in meiner kleinen Welt gerade alles. Und manchmal frage ich mich, ob das jetzt das Vorstadium zur Verblödung ist, wenn ich schon wieder am Abend denke, wie schön der Tag gewesen ist und wie zufrieden ich gerade mit Allem bin.

Das heißt nicht, dass ich nicht wahrnehme, was in der Welt an sich passiert, aber gerade eben ficht es mich nicht so an. Es würde auch gar nichts daran ändern. Wir kennen das!

Mai im Wendland heißt tausendundein Duft und mannigfacher Vogelsang. Ich schrieb darüber. Mai heißt aber auch für zehn Tage eine gewisse Unruhe im Land. Wie jedes Jahr zwischen Himmelfahrt und Pfingsten findet die Kulturelle Landpartie statt, kurz KLP genannt. Ich werde diese Zeit nutzen, um ein bisschen Geld in einem Café zu verdienen und bestimmt mal das eine oder andere Event zu besuchen, aber über die Handwerker*innenmärkte werde ich in diesem Jahr nicht mit hundert anderen schlendern und brauchen tue ich auch nix. Mittlerweile bin ich eh in einem Alter angekommen, in dem ich eher abgebe, als dazu zu kaufen. Voller Erstaunen bin ich immer in den Städten, wieviele Läden es mittlerweile gibt, die allerhand Tand fürs Heim verkaufen und anscheinend alle davon leben können.

In einem Alter angekommen sein … eigentlich weiß ich nicht so ganz was das sein soll, ich kann nur immer wieder meine Veränderungen wahrnehmen und sie sowieso im Spiegel sehen oder wenn ich an mir rauf und runter gucke. Gerade mag ich auch das alles. Aber das Kostbarste ist mir, dass ich mich geliebt weiß und fühle und selber Liebe teilen kann.

Letztens fragte mich der Herr Kormoranflug, ob ich verliebt sei … ich antwortete spontan, ja, ins Land. Und dann sinnierte ich noch nach.

Ich liebe das Leben! Ja, auch das mich umgebende Land, seine Flora, Fauna und seine Menschen. Ich liebe meine Familie, meine Freundinnen und Freunde, die Kunst, die Schönheit, die es überall zu finden gibt, wenn mensch nur schaut, lauscht, fühlt und spürt.

Die Fähigkeit zu lieben wohnt im Mensch.

(Oder nicht.)

Manchmal aber braucht es eine Art „Erweckung“; oder auf dem Weg von hoch zu tief und wieder hoch eine Erinnerung, die alles wieder ins Fließen, ins Miteinanderschwingen bringt und das muss nicht immer unweigerlich ein Mann/eine Frau sein.

Gestern, nach einem sehr lebendigen und freudigen Geburtstagsfest, schrieb ich spontan ins Netz: „Es ist rundum gut die Alte zu sein.“

Und es ist gut Rentnerin zu sein. Dahinein musste ich aber erst einmal wachsen. Im letzten Jahr ist mir das noch nicht so gut gelungen, in diesem Jahr lerne ich die viele Zeit, die ich allein für mich und meine Art der Gestaltung von und mit ihr habe, zu schätzen. Ich ahne, dass hier ein Grund für meine anhaltende Zufriedenheit liegt und damit auch zu meinem derzeitigen leisen Glücklichsein.



Wenn DU im Mai auch über einen Moment des Glücks schreiben möchtest, um etwas zu diesem kleinen Projekt beizutragen, dann verlinke doch bitte deinen Beitrag mit diesem hier, dann finde ich ihn sofort – ich freue mich über jeden Glücksmoment!

Geplauder und Momente des Glücks im April

Ob ich im Garten werkel, mit dem Auto von hier nach da fahre oder unter der Dusche stehe, die Gedanken fließen und so habe ich in den letzten eineinhalb Wochen einige Blogeinträge geschrieben, von denen aber nicht einer hier Eingang gefunden hat.

Der Frühling ist zurück – so schön!!! Das Wendland hat in diesem Jahr im April schon das Maigesicht aufgesetzt. Das alte Volkslied ‚Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus‘ kann nun geändert werden in: ‚Der April ist gekommen …‘

Bei allem Stirnrunzeln darüber ist es eine Freude jetzt übers Land zu gehen oder zu fahren. Ich kenne kein Gebiet in Deutschland, wo es so viele alte Fliederbüsche in allen Farbtönen gibt, manche sogar wild im Wald, nirgendwo wachsen so viele alte Kastanien und Eichen dem Himmel entgegen und nirgendwo sonst duftet das Land so intensiv, wie es das gerade jetzt tut. Raps- und Fliederdüfte mischen sich in den Geruch von frisch gemähten Wiesen und feuchten Wäldern, eine olfaktorische Freude der besonderen Art.

Jetzt beginnen auch die Gartenarbeit, die Mußestunden mit Buch im Liegestuhl und die Stromerzeit in Wald und Flur. Natürlich ist das nicht alles, es gibt ja auch noch die Familie, die Freundinnen und Freunde, den Haushalt, meine Vorstandsarbeit, das Projekt der Frauenbilder, die Momente des Glücks, der eine und andere Arztbesuch und ein neues Engagement, über das ich hier aber erst einmal noch schweigen möchte.

Vielleicht hört sich das jetzt etwas atemlos an, ist es aber nicht, da ich ja den Schlendergang eingenommen habe.

Die Tage scheren sich allerdings nicht um meine Entschleunigung, nicht um meinen Schlendergang, schwupps ist wieder einer vorbei und ich habe wieder nichts geschrieben. Und so wird es wohl in den nächsten Wochen bleiben.

Derweil fange ich Bienen und Wespen, Fliegen und andere Flattertierchen mit dem Glas und entlasse sie wieder in die Freiheit, wische ich Spinnweben von Decken und Wände, sammel ich Schnecken und musste die alljährliche Ameisenflut in meiner Küche Herr werden. Ameisen gehören zu der Spezies des ‚lichtscheuen Gesindels‘ und Ata mögen sie auch nicht. Also habe ich einen Tag und eine Nacht das Licht brennen lassen und zuvor habe ich die Flächen mit Ata abgeschrubbt, nun gibt es keine Ameisen mehr. Geht doch!

Mit den Schnecken ist es leider anders. Nur sammeln reicht leider nicht. Schweren Herzens habe ich biologisches Schneckenkorn gekauft und muss es jeden Tag an gleicher Stelle ausbringen, da es jeden Morgen weg ist. Damit habe ich zwar rausbekommen woher sie kommen, aber mir tut es dann doch in der Seele weh zur Mörderin zu werden.

Dieser sehr nasse Herbst und Winter hat zur Folge, dass es in diesem Jahr sehr viel mehr Schnecken und Insekten gibt als im letzten Jahr. Die Vögel dürfen sich freuen, aber auch die Maulwürfe und Erdkröten!

Ich erfreue mich an den zahlreichen Marienkäfern, den wieder mehr gewordenen Schmetterlingen, über die Mücken schweige ich und kratze auch besser nicht an den mehr werdenden Stichen herum.

Bleibe ich doch lieber bei den Freuden, wie dieses Tirillieren der vielen verschiedenen Vögel, die nun zurück sind. Nachtigall und Kuckuck tönen gemeinsam am Morgen und am Abend mit Amseln, Meisen, Spatzen, Buchfinken, Krähen und all denen, die ich noch nicht gelernt habe zu benennen. Pirol, Rabe, Kraniche und Graugänse höre ich nur ab und an, wie die hohen Töne der Milane, wenn sie wieder einmal von einer Krähe gejagt werden.

Ja, Wendland ist und bleibt eben auch Vogelland! Gestern erst entdeckte ich an einem Feldrand in der Nähe die Anpflanzung neuer Hecken als Begrenzung. Es ist unter anderem diese ‚Heckenwirtschaft‘, die hier noch von einigen Landwirt=innen gepflegt wird, die den Vögel Unterschlupf bietet; einmal abgesehen von den noch immer sehr zahlreich vorzufindenden alten Bauerngärten, den vielen, in der Relation zu anderen Gebieten, Biolandwirt=innen und den vielen Menschen, die ihre Gärten auf natürliche Weise bepflanzen und pflegen.

All das sorgt dafür, dass das Wendland als Wohnort oder Wochenenddomizil über die Jahre immer beliebter bei den Berliner=innen und Hamburger=innen geworden ist. Somit ist es eben auch leider schwieriger geworden bezahlbaren Wohnraum zu finden und Neubaugebiete, die, wie überall, in den meisten Fällen an Charme missen lassen, hier und da aus den Böden wachsen.

So halten sich Freud und Leid wie überall sonst auf der Welt die Waage.

Nun aber ruft mich der Garten, ich habe hier ein neues Projekt, das mich noch länger beschäftigen wird.



Ich freue mich sehr über die Teilnahme an meinem Projekt ‚Momente des Glücks‘ und bedanke mich auch hier noch einmal herzlich bei den Teilnehmer=innen:

https://randomrandomsen.wordpress.com/2024/04/14/klangwellen-und-glucksmomente/

http://brigwords.com/2024/04/19/momente-des-glucks-behutet/

https://cynthiaphilebrunn.wordpress.com/2024/04/28/gluck-ist/

meinen Beitrag findest du hier, falls du ihn noch nicht gelesen haben solltest:

Momente des Glücks 04

Unerwartet

Ob ich lese, rieche, sehe, träume, gehe, sinniere, lausche, spüre oder rede, plötzlich sind sie da, die Erinnerungen. Das innere Labyrinth öffnet seine Pforten. Oftmals unerwartet, durchaus auch manchmal unerwünscht.

Das Damals im Heute, das Bedauern, die erfüllten und unerfüllten Wünsche, die Weggabelungen, die sich verändernden Perspektiven und Sichtweisen im Lauf eines Lebens.

Gemeinsame Wege kamen an Weggabelungen, die Eine ging links, der Andere rechts, bis sie sich verloren hatten. Alle Wege dürfen gewürdigt werden, alle Weggabelungen verstanden und akzeptiert. Leicht ist das nicht!

Wie ich von hier nach da fahre, singt es in mir, wie schon öfter in der letzten Zeit: It’s the end of the world as we know it …

1987 – von REM in die Welt gebracht – hörte ich es damals immer wieder, ohne zu erahnen, dass diese Welt einmal an ein Ende kommen könnte, das alles andere als ein Wohlgefühl auslösen würde.

Auch Resilienz will geübt und verankert werden. Ich bin dünnhäutiger geworden.

Jetzt sind viele Rehe auf den Wiesen zu sehen; auch ich scheue bei manchen Menschen zurück und suche flink das Weite.

Kraniche begleiten meine Alletage; ein immer wiederkehrendes Glück. Das nutzt sich nicht ab. Die ersten Störche sind zurück und dann diese zwei unerwarteten Begegnungen in der Nacht, auf dem Weg von dort nach hier: ein Nutria – wie schnell die sind; ein Waschbär – wie klein die sind!

Das unaufgeregte, und mancherorts auch schwere Land, wartet mit Unerwartetem auf. Das mag ich! Ich bin nicht für das Verharren in Erinnerungen geschaffen. Die Nomadin zieht ins Frühlingsland. Noch haben sich die Füße nicht eingelaufen, noch sind die Schritte winterschwer, noch sitzt die Henne auf ihrem Ei.

 

Auf zu neuen Ufern

Unter dem Titel „Auf zu neuen Ufern“ stellte ich Ende Januar schon ein Bild und einen Text dazu ein -> https://cafeweltenall.wordpress.com/2024/01/28/sonntagsbild-28-01-2024/ seitdem sinniere ich darüber; dachte auch viele Jahre rückwärts, als Gerda darüber nachdachte und ich für sie und ihre Gedanken eine Fotomontage gestaltete -> https://cafeweltenall.wordpress.com/2016/09/07/gute-reise/ 

Eins baut aufs andere auf und nichts geht verloren.

Letztlich ist es wieder nur eine neue Umdrehung auf der Lebensspirale, im neuen Jahreskreis von Werden und Vergehen. Und wenn alles gut geht, dann gehört es zu der immerwährenden Entwicklung des Geistes/der Seele, bis zum Ende.

Was aber nun meine ich genau mit ‚Auf zu neuen Ufern‘? Das Frühlingstor ist nun schon ein spaltbreit offen, überall sehe ich das ’neue‘ Leben sprießen. Es ist die Zeit des Ostens im Medizinrad (https://cafeweltenall.wordpress.com/2016/09/01/das-ostschild/). Am 01. Februar war Imbolc, ich habe den Deckel gelupft und geschaut, welches Thema ich in diesem Jahr um den Jahreskreis tragen werde. Insgesamt geht es um Vertiefungen, ob im persönlichen, im gesundheitlich körperlichen, im spirituellen oder im künstlerischen Bereich und ich ahne, hier wohnt auch ein neues Ufer. Aber erst einmal muss ich die Segel hissen und mich auf den Weg machen, noch stehe ich am Tor und schaue auf den ‚Pfad der Schönheit‘.

Innere Nomadin

Vielleicht, sagte ich letztens zu der Freundin, vielleicht ist ja meine Heimat das Nomadentum, das Herumziehende. Vielleicht ist das so, wenn mensch mit einer Zugvogelseele geboren wurde oder diese erbte.

Bruce Chatwin war einer, der das Nomadentum als eine tief verwurzelte Eigenheit in der Menschenseele wahrnahm. Er, der Reisende, der Wandernde.

Eine weit Gereiste bin ich nicht, wenn doch schon auch eine Reisende – eine Umziehende, eine Herumziehende.

Ein Haus mit Rädern würde mir gut stehen. Standplätze braucht es dafür; feste und vorübergehende.

In den Wintermondnächten tönen die Kraniche. Nur manche ziehen noch in den Süden, andere bleiben hier. Das Sesshafte ist verlockend und wohl auch kräftesparend. Was aber macht der Kranich, wenn Erde und Wasser tief gefroren sind? Wo findet er dann seine Nahrung? Woher wissen die Kraniche, dass das so schnell nicht mehr passiert, nicht hier? Es ist ein Gefrieren und Tauen im schnellen Wechsel, auch in diesem Winter.

Würde ich, wenn ich ein Haus mit Rädern hätte, den Winter über im Süden sein? Wohl nur peripher, aber ich würde einen ganzen Winter im hohen Norden verbringen wollen, einen wenigstens.

#Momente des Glücks 01

(Foto: anderes Land = Asturien, andere Zeit = frühes Jahr und zig Jahrzehnte später – aber es passte.)

In den Bergen Italiens

Wir schrieben das Jahr 1981, der kleine Sohn war noch keine zwei Jahre alt.

Sein Vater, der Kleine und ich waren in einem klapprigen VW-Bus unterwegs, lange bevor es modern  wurde in aufgemotzten Campingbussen oder riesigen Wohnmobilen durch die Lande zu reisen.

Irgendwo oberhalb des Gardasees in den Bergen hatten wir ein ruhiges Plätzchen für die Nacht gefunden. Ich sah zum ersten Mal wilde Alpenveilchen und erinnere mich an den alten Mann und seinen Esel, die – piano, piano – bergan gingen. Miteinander ergraut waren sie, vertraut auch und einer dem anderen freundlich zugetan. Wir lächelten uns an, ohne dass er, der Esel oder ich angehalten hätten. Ein Nicken, ein Lächeln, mehr braucht es manchmal nicht.

Es war der frühe Morgen, der kleine und der große Mann schliefen noch, aber ich hatte ein Bedürfnis. Leise schlich ich mich aus Bett und Bus und folgte einem kleinen Pfad bergan. Morgennebel waberten vom See die Berghänge hinauf, goldenes Licht durchbrach sie, ein blauer Frühmorgenhimmel leuchtete über meinem Kopf und versprach einen weiteren schönen Herbsttag. Ein Hahn krähte sein Buongiorno aus dem Tal zu mir hinauf. Und ich hockte irgendwo zwischen den Büschen, meinen Loslassbedürfnissen folgend, und ward eins – eins mit dem Morgennebel, dem goldenen Licht, dem krähenden Hahn, der Vegetation um mich herum. Ich ward eins und ein Teil des großen Ganzen.

Ein Moment.

Ein Moment für die Ewigkeit.

Ein Moment des Bedingungslosen.

Ein Moment der Liebe.

Ein Moment des Glücks –

auf dem Pfad der Schönheit.



Wenn auch Du eine Geschichte zu einem Glücksmoment in deinem Leben beitragen möchtest und Lust hast an diesem Blogprojekt mitzuwirken, dann verlinke bitte deinen Beitrag mit diesem, damit ich ihn finden und die verschiedenen Beiträge sammeln kann. Immer am Ende eines Monats werde ich die gesammelten Beiträge hier zusammen einstellen.

Ich freue mich auf DEINE Momente des Glücks.

Dreizehn Jahre

Dreizehn Jahre und 2118 Beiträge weiter …

Das Leben ist und bleibt eine Baustelle mit Ruhephasen. Wieso sollte das in meinem Blogleben anders sein?

Dreizehn Jahre, die von wenig zu viel, zu viel zu viel, zu wenig und etwas wenig changierten – meine Zeit mit und in meinem Café Weltenall.

Dreizehn Jahre, in denen Freundschaften über das virtuelle Leben hinaus geschlossen wurden, manche haben bis jetzt gehalten, manche sind fragil geworden, manche sind nicht mehr.

Dreizehn Jahre mit gemeinsamen Projekten, mit Vielen, zu Zweit, zu Dritt, manche von mir initiiert, manche von anderen, bei denen ich gerne mitgemacht habe.

Apropos Projekt … vielleicht ist es ja eine gute Idee, dachte ich letzte Woche, nachdem ich den Versuch einer Erzählung eingestellt hatte, wenn alle, die mögen, etwas über ihre glücklichen Phasen in ihrem Leben schreiben würden.

Okay, es ist vielleicht gerade nicht eine günstige Zeit für ein neues Projekt, aber ich behalte die Idee mal im Hinterkopf und nehme den Faden Anfang 2024 noch einmal auf. Gerne aber könnt ihr mir schon einmal schreiben, was ihr von dieser Idee haltet. Es wird über so Vieles geschrieben, viel Schweres, Trauriges, da könnten die glücklichen Momente doch ein feiner Kontrast in dieser dunkel gewordenen Welt sein! Oder?

Zum Schluss möchte ich mich bei allen von Herzen bedanken, die mir seit vielen Jahren folgen, mit denen es immer wieder spannenden Austausch gegeben hat, auch Inspiration und den einen und anderen Gedankenanstupser; für alles, was wir miteinander geteilt haben, für eure Solidarität und eure Empathie in Zeiten, als es bei mir schwierig gewesen ist, und dafür wie wir für einander dagewesen sind und hoffentlich auch bleiben.

Schön, dass es euch gibt!

 

Der Versuch einer Erzählung

oder eine der glücklichen Zeiten in meinem Leben

Eine meiner glücklichen Zeiten in meinem Leben spielt in den 1970er Jahren in einem kleinen Dorf am Rande der Pfälzer Wälder, dessen Berge wie Zuckerhüte waren und sind. Roter Sandstein, Wingerte, lichte Esskastanien- und Kiefernwälder, voller Pilze im Herbst – und Wander=innen. Ob heute noch, das werde ich nicht überprüfen. Ich gehe nicht zurück an Orte, an denen ich glücklich gewesen bin. Sie wohnen in mir, dort verändern sie sich nicht.

Jeden Morgen und Abend ging ich die Dorfstraße von einem Ende zum anderen. Auf der einen Seite  arbeitete ich, auf der anderen wohnte ich – bei Maria und ihrer Mutter.

Maria, schon um die 60 Jahre alt, ihre Mutter irgendwas zwischen 80 und 90, ein Drachen, eine fiese Hexe, eine Tyrannin, eine Frau Doktor. Nicht so Maria, eine Grundgute, eine die ihr ganzes Leben in den Dienst ihrer Eltern gestellt hatte, stellen musste. Gejammert hat sie nicht. Neugierig ist sie gewesen, emsig und fröhlich. Jeden Morgen bat sie mich ihr meine Träume zu erzählen, weil sie seit ihrer Jugend nicht mehr geträumt hatte. Aber damals, erzählte sie mir mit leuchtenden Augen immer wieder, damals ist sie mit fliegenden Teppichen über die Welt geflogen und hat gesehen, wie schön die Welt von oben ist.

Ein Zimmerchen mit Bett, Tischchen, Stuhl, Kleiderschrank, einem kleinen Waschbecken und mit Ofen ist für einige Monate mein Zuhause gewesen; außer an den Wochenenden, wenn ich den damaligen Liebsten im Odenwald besuchte oder meine Freundinnen und Freunde hier und dort.

Jeden Abend bollerte schon der Ofen, wenn ich Nachhause kam, jeden Abend stand ein kleines Schälchen mit selbstgebackenen Keksen auf dem Tisch. Davon ließ sich Maria nicht abhalten!

An diesem Tisch verbrachte ich manchen Abend damit, drei kleine Kreisel umeinander laufen zu lassen, Kekse zu knabbern und den Tag Revue passieren zu lassen. An anderen schrieb ich Briefe oder in mein Tagebuch. Stille Abende, stilles Dorf, stillere, langsamere Welt.

Jeden Tag ging ich an dem Laden des Dorfmetzgers vorbei. Dort hing ein Schild in der Türe: Dienstag ist Schwienstag – sowas vergesse ich nicht.

Jeden Morgen grüßte ich die kleine, alte Frau, die ihre Runde drehte, um Margarineblöcke an die Dorfbewohner=innen zu verkaufen. Und die Dorfbewohner=innen zeigten sich solidarisch, alle kauften ihre Margarine. Ein paar Groschen mehr im Portemonnaie, ein paar Groschen für die kleine, arme Frau.

Ob das heute noch funktionieren würde?

Jeden Morgen öffnete ich die Tür zur Töpferwerkstatt und nahm den Besen. Eine Praktikantin fegt erst einmal die Werkstatt aus. Kaum hatte ich begonnen, hörte ich auch schon die kleinen Füße von Katharina die Treppe hinab laufen. „Ulli, Katinka singen, Katinka tanzen!“ Los gings, Besen schwingend, Katinka singend und zur Krönung der Kosakentanz. Katharina und Praktikantin waren glücklich.

Und dann hieß es wieder einen Tonklumpen auf die Schreibe werfen, möglichst in die Mitte, zentrieren, drehen, weiten, engen, hochziehen, je nachdem. Freude pur, wie auch: glasieren, den Ofen ein- oder ausräumen, Restton aufbereiten und dabei am ‚Tonwolf‘ stehen und „August der Schäfer hat Wölfe gehört“ singen. An manchen Tagen den Laden entstauben und neu dekorieren, zur Freude der Töpferin.

Es hätte so schön sein können!

Ich konnte noch nie mit Patriarchen. Patriarchen können auch nicht mit mir. Vier Monate und ein paar Tage, dann ging ich wieder fort. Die Töpferin und ich trauerten.

Gerade denke ich noch an den Zwerg im Dorf. Heute spricht mensch ja von kleinwüchsigen Menschen. Das erste Mal begegnete ich ihm an einem Abend im Wingert. Er stapfte mir entgegen, Schaufel und Hacke über der Schulter, ein grummeliges Gesicht. Bis er seinen Blick hob und mich sah, da ging die Sonne auf. Er strahlte mich an, ich strahlte zurück, wir grüßten uns und gingen weiter unserer Wege. Lange habe ich immer wieder nach ihm Ausschau gehalten.

Es war eine Beerdigung im Dorf angesagt und ich hatte die Direktive erhalten, nicht mehr so lange an der Töpferscheibe zu sitzen, da mensch mich vom Fenster aus arbeiten sehen könnte … gegenüber stand der Korbmacher und pries seine Körbe, Taschen und Stühle an, als der kleine Mann mit ernster Miene und im schwarzen Anzug die Dorfstraße hinunter kam. Er verharrte bei Korbmacher, plauderte mit ihm. Seine Miene blieb ernst, bis er mich entdeckte und schwupps ging wieder die Sonne auf. So etwas vergesse ich nicht.

Und auch nicht den Laden an der Ecke, dunkel, etwas verstaubt, die Inhaberin war eine schon recht alte Frau. Es gab alles bei ihr, was man in einem Haushalt braucht, von Näh-, über Strick- zu Häkelnadeln, zu verschiedenen Näh-, Stick- und Strickgarnen, Stoffe, Knöpfe, Kittelschürzen, Hosen, Hemden, Krawatten, Blusen, Röcke, Kleider, Bettbezüge, Handtücher, Kissen, warme Bettdecken, Kerzen, Socken, Strumpfhosen und Bonbons für die Kinder.

Schade, dass es heute solche Dorfkrämerläden nicht mehr gibt, sie würden wohl auch nicht mehr funktionieren!

Ich denke gerne an diese Zeit zurück. Es ist schön gewisse Phasen im Leben als „glückliche Zeit“ erinnern zu können.



Das war ein Versuch ein bisschen zu erzählen, ganz glücklich bin ich nicht damit, aber das bleibt jetzt so.