Zündstoff Hoffnung

Zu dem Projekt von Petra Pawlo

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Hoffnung und Zuversicht gehen für mich Hand in Hand. Dieses Bild gestaltete ich einst zu dem Alphabet der mutigen Träume, unter Z = Zuversicht.

Es ist schwieriger geworden die Zuversicht zu nähren, unsere Gesellschaft steht vor großen Hürden und nicht nur unsere. Weltweit hat das Leiden zugenommen und wiederum nicht nur für die Menschen. Arten sterben schneller als je zuvor, Dystopien wachsen in den Himmel. An manchen Tagen sehe ich nur schwarz und meine Traurigkeit über den Zustand der Welt wird groß. An anderen denke ich, dass auch diese Ära vorübergehend ist, wie alle Ären zuvor, mit ungewissem Ausgang. Und so bleibt am Ende nichts weiter als die Zuversicht und die Hoffnung zu nähren und das Beste zu tun – für unsere Kinder und Enkelkinder und alle Generationen danach.

Die kleine blaue Frau machte es so:

Die kleine blaue Frau tanzt Geburt und Tod als Eins. Ihr Gesicht ist weiß geschminkt, ihre Lippen rot. Sie trägt die Maske der Ewigkeit.

Sie tanzt die junge Frau der freudigen Erwartungen, die Fülle des Lebens, die Sehnsüchte der Nacht. Sie tanzt den Zorn. Hinter ihm leuchtet eine Hoffnung. Die tanzt sie auch, die Hoffnung auf Umkehr, für die Welt; die Hoffnung auf Einkehr, für sich selbst. Die junge Frau feiert Abschiede mit geröteten Augen und heißem Gesicht.

Ich schenke der Hoffnung ein weiteres Bild mit Licht und Wind

 

Standhaft und beflügelt

Standhaft, beflügelt und aufrichtig, das ist meine Überschrift für dieses Jahr. Für die neuen Geschichten.

Neue Geschichten für die Welt. Zumindest andere als die des Hasses und der Gewalt, die des Gegeneinanders, des Richtens und Verurteilens.

Hinzufügen möchte ich noch die SOS-Regeln, die Juli Zeh in den Raum gestellt hat: „Sensibilität im Umgang mit fremden Ängsten, Offenheit für abweichende Positionen, Sorgfalt beim Formulieren der eigenen Ansichten…“

Es ist die Sorgfalt der eigenen Ansichten, die mich Zurzeit besonders umtreibt, weil sie mit meinem Wunsch nach mehr Aufrichtigkeit einher geht. Schweigen ist nur manchmal Gold und klug.

Aufrichtigkeit heißt für mich auch, nichts mehr aus falscher Rücksichtsnahme zurück zu halten, wenn es mir ein Anliegen ist etwas zu teilen oder mitzuteilen.

Standhaft zu sein und zu bleiben, heißt mir und meinen Ideen und Werken gegenüber treu zu sein und zu bleiben. Unabhängig davon, was andere dazu meinen, aber dennoch offen für die Meinung anderer zu sein.

So habe ich nun beschlossen euch ab kommenden Sonntag in Folge sieben Bilder zu zeigen. Sieben Bilder aus einem Projekt von drei Frauen.

Selten habe ich gute Erfahrungen mit drei Frauen gemacht, leider war das auch dieses Mal so.

Es ging um eine gemeinsame Spurensuche und dem Kreieren von Bildern. Geplant war, dass Eine ein Bild den anderen Beiden zeigt und diese dann mit Bezug auf die Eine ihre Bilder gestalten, ohne dabei ihre Ideen, ihren Stil zu verlassen. Sieben Bilder sollten es werden. Ziemlich schnell aber gab es eine Unwucht im Fluss. Zwei Frauen schwangen sich aufeinander ein (eine davon war ich), es klappte hervorragend, die andere dümpelte herum. Erst auf Nachfrage und nachdem es schon fünf Bilder von den beiden Frauen gegeben hat, stieg sie ein. Ja, das ließ sich sehen. Ja, das bezog sich auch, aber es hinterließ bei mir einen schalen Beigeschmack. Ich ließ es so stehen. Um des lieben Friedens Willen. Ich hätte es besser wissen müssen. Nix, was einmal unter einen Teppich gekehrt wird, bleibt auch dort.

Jetzt ist es wie es ist. Es gibt sieben Bilder von drei Frauen, nur gemeinsam werden wir diese nicht zeigen. Was anfänglich nur eine Unwucht gewesen ist, führte zum Bruch.

Aber umsonst will ich diese Bilder nicht gemacht haben. Ich mag sie nämlich. Und deswegen geht es am kommenden Sonntag los. Mein Thema war Z wie Zeit. Es hat sich in der Zusammenarbeit so entwickelt, geplant war es nicht. Ich bedauere nur, dass die Bezüge fehlen, die letztlich von einem Bild zum anderen geführt haben. Lange habe ich geschaut und gegrübelt, um dann zu finden, dass es auch ohne geht.


Mich interessiert welche Erfahrungen ihr mit „Drei Frauen“ gemacht habt. Ich bin auf eure Antworten sehr gespannt.

(Sorry, liebe Leser, diese Frage richtet sich in diesem Fall einmal nur an meine Leserinnen! Ich weiß nicht, ob es dieses Phänomen auch unter drei Männern gibt. Wenn, dann seid ihr natürlich herzlich eingeladen eure Erfahrungen zu schildern.)


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Erinnerungsschaukel 05

 

K I N D E R T A G E  Z W I S C H E N  P O T T  U N D  W E S T F A L E N

Sechs Kinderbeine mit herunter gerutschten Kniestrümpfen rennen aus der Siedlung hinaus den Bergen entgegen. Es rennen zwei Jungs und ein Mädchen. Abenteueralter. Sie sind Tom Sawyer und Huckleberry, sind Nscho-tschi und Old Shatterhand, sind was sie wollen, auf alle Fälle kleine Strolche.

Die Berge sind wild, zwischen ihnen gähnen wassergefüllte Abgründe. Frösche quaken. Jungs fangen Frösche, sie sieht sich um. Frösche werden nun einmal nicht zu Prinzen, wenn man sie aufbläst. Außerdem ist das eklig! Sie läuft weg von den Jungen und ihrem Ekelspiel, sie will das nie mehr sehen. Sie klettert auf die Höhen, rennt durch die Senken, nimmt die letzten Felsen, sie schaut von oben auf den Rhein-Herne-Kanal hinab. Schiffe ziehen Frieden, machen Wellen.

Die Familie ist umgezogen. Die Zechen sind jetzt weiter weg, der Garten kleiner, einen Innenhof gibt es nicht mehr. Auch keine zwei Schweine mehr im Stall, die an roten Kinderpantoffeln knabbern wollen, keine Hasen, keine Hühner mehr, nur die Tauben sind geblieben und Wellensittich Peterlieb. Noch. Er wird einen Hinausflug machen. Bald. Aber das weiß keiner. Keiner weiß, dass er für eine lange Weile aus dem Fenster hinaus, in die weite Welt hineinfliegen und mit dem knallgelben Kanari zurückkommen wird. Das ist Peterliebs Geheimnis. Er wird es auflösen, später …

Die Familie heißt …lewski, so, wie viele Familiennamen hier auf lewski, lawski, lowski enden. Viele sind Anfang der Neunzehnhunderterjahre von Polen in den wachsenden Pott gekommen, um das schwarze Gold aus der Erde zu puhlen. Das schwarze Gold, das seinen Wert verlor. Zechen schlossen, Kulturlandschaften wuchsen, Kohlepfennige wischten Augen. Die Law-lew-lowskis rauchten, husteten, fütterten gurrend ihre Tauben. Kinder schwammen in den Wellen der vorbeiziehenden Frachtschiffe, fuhren auf zu großen Fahrrädern und fielen sich schwarze Schlackesteinchen in die Knie. Rabe Jakob saß auf dem Dachfirst, schob seinen Kopf vor und zurück, ganz so, wie es Raben tun, wenn sie etwas mitzuteilen haben, sei es nun rrabrrab oder Jaa – kobb … Jaa – kobb. Raben, die raben, hacken nicht, eine polnische Weisheit, sagte die Tante.

Die Tante, klein, rundlich, Tag für Tag in einer geblümten Kittelschürze steckend, mit dem Namen der sich schöner und vielversprechender nicht auf Märchen reimen konnte, besonders in Gewitterstunden. Ach, Tante Klärchen …

Die Berge hatte es vor dem Umzug nicht gegeben. Nicht in Ickern. Da gab es Dötze und Mehler zu verhandeln, zu tauschen, zu verlieren und zu gewinnen, drinnen, wie draußen. Da gab es in der Nacht einen Pinkelpott für die ganze Familie und am Samstag war Badetag. Und einmal im Monat gab es eine Butterfahrt. Für die Tante. Butterfahrten von Ickern auf die zollfreien Gewässer zwischen Deutschland und Holland. Butterfahrten von Waltrop aus schlossen sich an. Kanäle gestalteten Landschaften, hier, wie dort. Der frische Wind wehte Riesenlollis in gierig aufgesperrte Kindermünder, und die gute Butter für die Pellkartoffeln, den Brathering und die sauren Gurken auf den Tisch. Nein, keine Sauregurkenzeit. Schlichtheit, Ruhrpottmentalität.

Es knatterte noch der Onkel mit dem Moped in den frühen Morgenstunden der entfernten Zeche entgegen, knatterte am frühen Nachmittag zurück. Am Abend stopfte er Zigaretten für das Morgen. Peterlieb saß auf der Schulter der Tante und zeterte: Peterlieb, Peterlieb … Lachen.

Die Tante verriet den Kindern Verstecke für sie und ihre mit geklauten Äpfeln prall gefüllten Säcke, der Bauer entdeckte sie trotzdem. Aufsitzen mussten sie. Sie und die Säcke auf dem Treckerhänger. Er kannte die Tante, kannte die Kinder, er machte ein böses Gesicht, lenkte den Trecker über die Höhen und Tiefe der Berge hin zur Siedlung. Als Peterlieb das sah, machte er sein Geheimnis wahr und flog geradewegs, für eine lange Weile, aus dem Fenster hinaus, den knallgelben Kanari zu finden.

Am Ende haben alle Äpfel gegessen.

2018/19

Erschienen in der Anthologie: All over Heimat


Nur noch einmal zur Erinnerung (huch schon wieder eine), alle diese Texte, die ich hier einstelle, schrieb ich vor einigen Jahren und stellte diese hier auch schon ein, so kann es sein, dass ältere Leser*innen diese schon kennen. Ich mache dies für mich und die neuen Leser*innen, vielleicht wird ja doch noch einmal ein Buch daraus. Diese Idee wabert auf alle Fälle im Hintergrund dabei herum.


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Erinnerungsschaukel 04

U N T E R W E G S  –  D R E I S P U R I G

Zunächst ist es der Tanz mit den Kurven, der Kupplung, dem Schaltknüppel und den Bremsen, während der Blick über blühende Löwenzahnwiesen, weisse Kirsch- und Pflaumenbäume gleitet, hin zu den verblühten Fliederbüschen im Tal und den frischen Holunderblüten.

Was … jetzt schon? Ich staune. So, wie ich immer staune, wenn die Ebene in einem Kleid erscheint, das auf dem Berg noch im Schrank hängt. Surreal wirkt die leuchtend rote Klatschmohnwiese unter dem Alupalast, zwischen der Höhe und unten angekommen.

Nach all dem Gleiten und Schalten von oben nach unten hat mich irgendwann der Sog der Strasse wieder. Der Sog, der mich immer mal wieder, am Ziel angekommen, fragen lässt, wer sich nun eigentlich bewegt hat: die Strasse unter den Rädern, einem Fliessband gleich, oder eben doch ich den faradayschen Käfig? Wären da nicht die Pausen und damit mein Blick von aussen auf die Bahn, mit einer eigenen Komponente von Unwirklichkeit, wüsste ich es manchmal nicht mit Gewissheit zu sagen. Fahren auf der Autobahn kommt oft einer Trance gleich, einer mit hellwachen Sinnen, immer das Obachtschild im Kopf, die Strasse und ihr Geschehen im Auge.

Geschichten von damals und vordamals weben sich ins Jetzt hinein. Manchmal genügt ein Kennzeichen und schon halte ich Ausschau nach Menschen aus längst vergangenen Zeiten. Oder es ist eine Ausfahrt zu einem Ort, wo ich einst jemanden kannte oder selbst einmal lebte oder Besuche machte und mache, nur nicht gerade jetzt, oder es ist eine Raststätte, ein Parkplatz wo sich Geschichten über das Jetzt legen. Sie kommen und gehen im Takt der vorwärts rollenden Räder.

Weisst du noch … es erzählt sich von selbst …

… diese drei schweren Jungs von vor ein paar Wochen, ihre Blicke so finster, wie das gesamte Drumherum … drei schwere Jungs und die Helden der Dreispurigkeit im Allgemeinen, ihre Ungeduld, ihr Gedrängel, ihre Lichthupen und ihre bösen Blicke, wenn ich endlich rechts einschere, um sie vorbei rasen zu lassen. Manchmal gerate ich dabei in zu viel gesehene amerikanische Spielfilme, halte kurz den Atem an, spüre fast schon den Aufprall auf der linken Seite, als ob sie mich endgültig von der Bahn schubsen wollten …

Brumm, brumm, brumm der olle Grimm, der fährt herum, wer ihn anschaut oder lacht, kriegt den Buckel voll gemacht …

Ausatmen, weiterfahren, den schweifenden Blick geradeaus, nach hinten und zur Seite. Felder bestückt mit Windrädern, neuerdings auch mit Sonnenkollektoren,neben blühenden Rapsfeldern. Die junge Gerste schaukelt ihre Grannen im Wind … Die nächste Raststätte kommt. Pause.

Seltsam leer ist es hier und ich frage mich, ob sie nicht ganz geschlossen wurde. Steige aus, trete ein. Drinnen palavern zwei Italiener an der leeren Lounge. Ich folge dem WC-Schild. Als ich zurückkomme, palavern beide, nun auch von lebhaften Gesten untermalt, mit zwei Polizisten:
„Ein LKW-Fahrer, er sprach nur schlecht Deutsch, hat uns gesagt, dass dort hinten eine Frau liegt. Tot ist sie nicht. Aber wir wissen auch nicht. Sie reagiert nicht.“

Dann bin ich auch schon wieder draussen. Was war das denn? Ich steige ein, fahre weiter und lausche der Fortsetzung des Krimihörbuchs von Hakan Nesser …

Pinkelpausen müssen sein. Das nächste Mal ist es ein Parkplatz. Der Wald ruft. Auf dem Weg kommt einer, der sich gerade den Hosenstall hochzieht von rechts, ich gehe nach links. Gut so … denn nur kurz dahinter kommt schon der Zweite. Autobahnstrich für Kerle? Seltsam … Was passiert hier?

Die nächste Geschichte kommt, die von den Wohnwagen, die neben der Strasse in einem Waldstück abgestellt wurden, mit Herzchen verziert und leuchtenden roten Lämpchen am Abend. Von hier geht es zu den verdreckten Dünen vor den Türen Roms, zwischen denen ausgemergelte farbige Frauen auf Campingstühlen sassen, einer wackeliger als der andere …

Vielleicht sollte ich beim nächsten Mal ein anderes Hörbuch wählen, eins, das mich zum lachen bringt, wie vor einigen Wochen der Hundertjährige, der aus dem Fenster sprang, vielleicht finden ja dann die kleinen Krimis innerhalb der Realityshow auf anderen Pausenplätzen statt. Oder ich höre wieder nur Musik, Lieder bei denen ich laut mitsingen kann, Töne finde, die ich sonst zurückhalte, nur nicht in meinem faradayschen Käfig, dem einzigen Käfig, in den ich mich gerne freiwillig begebe.

Auf meinen Wegen von Süd nach Nord und zurück liegen die Geschichten und Bilder am Wegesrand. Mutter, Mutter wie (weit) darf ich reisen?

2014


Stimmt, dieses Mal schwingt die Schaukel schon sehr nah ins Jetzt hinein, über die Kindheit, das Kindsein hinaus. Wobei ich ja manchmal noch immer wie eine Fünfjährige reagieren kann. Aber das ist wieder ein anderes Thema und keins, das mir oder dir Freude macht. Also vergesse ich es. Die Schaukel und mein PC, da gab es nämlich mal wieder Updates, ich kann sie nicht wirklich leiden, und schwupps sucht nun wieder Google statt Ecosia, wenn ich nicht Ecosia anklicke. Mache ich, klar, ich will ja Bäume pflanzen, von hier bis zum Mond und zurück. Auch egal, um nun Ecosia wieder zu etablieren suche ich mich selbst und finde diesen Beitrag, lese ihn aus fast sechs Jahren Distanz. Ich bin wieder unterwegs. Gut fühlt sich das an!


Nur noch einmal zur Erinnerung (huch schon wieder eine), alle diese Texte, die ich hier einstelle, schrieb ich vor einigen Jahren und stellte diese hier auch schon ein, so kann es sein, dass ältere Leser*innen diese schon kennen. Ich mache dies für mich und die neuen Leser*innen, vielleicht wird


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Erinnerungsschaukel 003

G E S T E R N  U N D  H E U T E, D A S  J E T Z T  A U C H  S C H O N  W I E D E R  G E S T E R N  I S T

Als ob es so muss, dass plötzlich nur noch Erinnerungen zählen, in der sie Gesicht und Worte einfordern und dabei jedes Jetzt überlagern, mich nicht wissen lassen, was ich gestern tat, dafür umso besser, was vor dreißig Jahren. Dass Erinnerungen ihre Türen und Fenster öffnen und Damalswinde Jetzträume durchwehen, mit Gerüchen, die alt erscheinen und gleichzeitig wohlbekannt. Nicht immer wohlig, nicht immer benannt in ihrem Duft, weil ein Erinnerungsduft sich zusammensetzt aus Kohlen im Keller, Kartoffeln, Feuersalamandern und meiner Angst.

Die Angst, die ich versuchte weg zu pfeifen. Ein schiefes Lied gegen das laute Pochen in meiner Brust. Dort, allein im Keller mit seinen vielen Winkeln und Verschlägen, seinen Kohlen, Kartoffeln und Feuersalamandern, um etwas zu holen, das Mutter brauchte.

Die Gläser mit Eingemachten zählen nicht, geruchlos standen sie in Reih und Glied auf den Bretterregalen, die sich gefährlich bogen. Vielleicht roch noch das rote Gummi, das alles verschloss. Aber so wirklich interessierten sie nicht. Auch nicht heute, nicht in diesem Keller. Später, in einem anderen Keller ohne Winkel und Verschläge, ohne Kartoffeln, Kohlen und Salamandern lockten die Birnen. Da war ich nächtliche Mundräuberin, riss an den Gummis, aß ganze Gläser leer. Ich rieche sie noch.

Aber jetzt will ich keine alten Orte aufsuchen, will nicht auf meinen Spuren wandern, will neue in den Sand vor mir setzen. Ich weiß vom Wind, der sie zerweht, ob früher oder später. Viele hat er schon mitgenommen. Meine Füße hinterlassen keine Abdrücke in Stein und das, was damals war, ist in mir. Die Häuser, ob sie noch stehen oder nicht, ob sie neue Farben bekamen oder nicht, bedeuten mir nichts. Sie stehen dort vierstöckig mit grauer Fassade, ich werfe rote Bälle an ihre Wände und will nicht mehr dorthin zurück. Keinen Weg von damals will ich noch einmal gehen.

Ich rieche an Maiglöckchen und habe wieder Geburtstag in Tantes Garten. Gärten und Häuser, die verschwanden, aber nicht in mir. Sie alle hatten einen Keller und alle ihre Wände erkannten mich an meinem Pfeifen. Kartoffeln und Kohlen überall. Feuersalamander nicht. Eingemachtes schon. Ich erkenne sie an ihrem Geruch. Er wohnt noch in den Ganglien.

Wir lernten die Not aus den erzählten Geschichten, weit weg von uns und den immer voller werdenden Geschäften. Seelennot, die lernten wir auch, aber Hunger gab es nicht, wenn uns auch nicht alles schmeckte und das Brot, vor der Brust geschnitten, mit einem Segenskreuz verziert, täglich und selbstverständlich auf dem Esstisch lag. Unser Hunger hieß nicht Brot. Er hieß Leben, Liebe, Lust, Leidenschaft und Wahrheit. Abenteuer winkten überall, nur nicht in den Wohnzimmern voller Gummibäumen und anderem Gewächs. Kittelschürze war nicht unser Kleid, nackte Füße steckten in Sandalen, ob es sich geziemte oder nicht. Röcke verloren ihre langen Säume, Wind fuhr durch offen getragene Haare, Bärte wuchsen, Kreuze brannten.

Daher kommen wir. Zeiten, die jetzt von dem einen und der anderen aufs Papier gebannt werden, die ich lese, die meine Erinnerungsräume öffnen, die Spiegel der Zeit sind und vielleicht die eine und andere Spur zu sich selbst, warum man wurde, was man ist und vielleicht noch werden kann.

Ich verschließe Türen und Fenster, fege Spinnweben von altersschwachen Erinnerungswänden, streiche weiße Farbe über alte Bilder, die am Ende nichts verbirgt.

Als ob es müsste, weil man es so sagt, als hätte Alter kein Jetzt und als bliebe kein anderer Weg. Als müsste ich schon satt sein und mich nur noch an den alten Wegen laben, ihren Brotkrumen darauf. Ein Krückstock sagt noch nichts über die Augen! Das Neu hat immer auch das Alte im Gepäck.

Juli 2015


Nur noch einmal zur Erinnerung (huch schon wieder eine), alle diese Texte, die ich hier einstelle, schrieb ich vor einigen Jahren und stellte diese hier auch schon ein, so kann es sein, dass ältere Leser*innen diese schon kennen. Ich mache dies für mich und die neuen Leser*innen, vielleicht wird ja doch noch einmal ein Buch daraus. Diese Idee wabert auf alle Fälle im Hintergrund dabei herum.


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Erinnerungsschaukel 002

E R S T E  E R I N N E R U N G E N  H A B E N  N A C K T E  B E I N E

Das Mädchen lebte ihre Welt. Tom Sawyer, der dicke Neger Jim, der Mississippi und die Raddampfer, die alte Tante Bessy und Huckleberry Finn waren ihr Land und ihr Volk. Das Land der jungen Träume, wo alles geschah, wie es geschehen sollte. Damals.
Heute ist anders. Ist auch nicht mehr jung. Und doch – irgendwo lebt noch immer das Mädchen. Tanzen nackte Beine mit dem Wasser im Bach, einen Walzer im Bett.

Eine Wohnung unter dem Dach. Eine schlaflose Nacht. Die Hitze des Tages stand noch in den Räumen. Schweiß und Worte rannen aufs Papier. Nur am Tag fand sich Kühle am Teich. Vergangene Kindheitsträume lebten auf. Planschender Weise.
In der Nacht tanzten Schattenfüße über die Wände. Schrieb sich das damalige Jetzt. Über Freund W. zum Beispiel, der von roten Kugeln träumte, wenn er in der Sonne schlief. Vom Sirren der Mücken auch. Über Mottenflügel, die sich an Kerzen verbrannten. Das gestrige Jetzt ins Heute gewebt. Manches bleibt, verändert sich nicht.

Rekordhitzewochen – ein Damals. Man sprach noch nicht von historischen Begebenheiten. Nicht vom Klimawandel. Damals … noch nicht. Von Rekorden schon. Sechs, sieben Wochen lang kein Regen. Nur Hitze. Auch kein Gewitter. Sechs, sieben Wochen Badeteich am Tag, Gedankenfluss und Wortschöpfungen am Abend. Mondfalterbach zum Beispiel. Raddampfer pflügten durch Flusswasser, weiße Sandbänke gesellten sich hinzu, Ozeane und farbige Fischer. Steppen, Wüsten, Eisbären und Pinguine, Bazare im Orient, Wasserfälle und Rentiere, Iglus, Jurten, Tipis standen neben Wolkenkratzern. Highways zogen von hier nach dort. Rote Beeren löschten Durst. Wind kühlte heiße Stirn. Erste Weitsicht grub sich durch schlaflose Hitzenächte ins junge Sein.

Jahre kamen und gingen. Mal mehr, mal weniger Sonnenschein und Badeseen.

In der Erinnerung spielt Kindheit mit nackten Beinen am Badestrand. Nackte Beine hüpfen in Hinkekästchen, schießen Bälle ins Tor, drehen Pirouetten auf Rollschuhen, tanzen Gummitwist. Nackte Arme lassen rote Bälle fliegen. Hin und her. Einen fing das Meer.
Hätte es nicht auch die roten St.-Martins-Äpfelchen gegeben, den vollen Schuh am Nikolausmorgen und die Kerzen am Weihnachtsabend, wären die Beine wohl immer nackt geblieben. Schmelzende Eiskugeln würden stetig auf Sonntagskleider tropfen und Deckenhöhlen auf Baumschatten stehen. Immer würde die Amsel singen, die Spatzen tschülpen, die Knie zerschunden sein. Eine glückliche Kindheit. Vielleicht.
Unbeschwert, unverdorben, unschuldig – das auf jeden Fall. Kindheit erkundete fremdes Land. Ferienzeit. Nackte Füße im Bergbach, Kieselsteine ertastend. Das Mädchen war Tom Sawyer, die Freundin Huckleberry Finn, im Ferienlagertheater.

Vanillepudding mit Johannisbeeren auf seinem Grund. Haare und Röcke wehen im kühlenden Wind auf rotem Fahrrad. Goldgelbe Getreidefelder stehen am Rand.
Unbeschwert. Unverdorben. Unschuldig. Viele Albernheiten. Viel Lachen. Tränen auch. Eben. Nicht immer war Sonnenschein. Nicht immer Ferienzeit. Anderes schob sich darunter.

Erinnerungen liegen nicht chronologisch in den Fächern. Am Anfang jedoch, ziehen immer weiße Wolken über Azur, Schwalben im Geleit. Lagerfeuer am Abend. Lauter Gesang, leises Gebet. Schwimmen im Fluss, im See, durch den Teich, das Becken, den Kanal. Zuerst ist immer Freundschaft, die gemeinsamen Abenteuer, Streiche und Spiele.

Das Andere legte sich darunter. Leicht, leichter am leichtesten bilden die Spitze, schwer, schwerer, am schwersten den Grund.

Heute, an einem der wechselhaften Apriltage des Jetzt, nimmt die Frau ihr Mädchen an die Hand. Gemeinsam wandern sie durch die Sonnenscheintage ihres Seins. Wieder sammeln sie weiße Kieselsteinchen. Mohnblüten, Kornblumen und Kamille tüpfeln ihr Rot, Blau, Gelb und Weiß an den grüngelben Rand. Ausflugsdampfer tuten. Hinterlassen Wellen für die Wassertänzerinnen. Menschen winken und lachen. Blaue Libellen schweben über Mondfalterbach. Schmetterlingsleichte Gedanken lassen sich nicht fangen. Kirschen prall und süß, bunte Blumenwiesen zu Kränzen geflochten.

Gerüche von damals wehen herein. Zwei Eisdielen, zwei Düfte. Die kleine, mit der uraltfaltigen Frau roch nach kühler Milch. Die großdunkelschummerige nach Wärme, Vanille und Zitrone. Eine dritte, die kam, als die Uraltfaltenmilchfrau gegangen war, roch modern – nach Plastikstühlen. Dort ging das Mädchen nicht hinein.
Eine Kugel Eis ein Groschen. Eine Straßenbahnfahrt fünf Pfennig. Eine Karusselfahrt zwanzig oder fünfzig. Manches erinnert sich schlechter als anderes. Weil das Mädchen nie an Geld riechen mochte? Vielleicht.
In den Gärten des Mädchens standen keine Sonnenschirme und Hollywoodschaukeln. Die waren den Reichen vorbehalten. Wie die dicken Teppiche und Kricketrasen auch. Hier wurden andere Spiele gespielt. Leisere. Gezähmtere. Nicht wirklich lustigere. Nicht ihre Welt. Nur manchmal hinein geladen, von Unwohlsein begleitet.

Die Erinnerung beginnt mit dem Duft von warmer Vanille über kühler Milch. Wandert weiter zu den Deckenburgen, zu eisgekühlten Hagebuttentees mit Zitrone und Zucker, hin zum Klingeln des Eismanns an einem anderen Ort. Eis und Wasser. Butterbrote mit gesalzenen Gurkenscheiben. Kaum Berge. Viel Wiese. Kaum Mutter. Viel Freundin und Freund. Viel Tante, Cousinen und Cousins. Viel Lachen. Und immer Schmerz, wenn es Nachhause ging.
Dasselbe Stampfen der Dampflokomotive begleitete abwechselnd das Leichteste und Schwerste. Hinein in die Ferienzeit, hinaus. Hinein. Hinaus. Hinein. Hinaus.
Im Hinaus wohnten andere Freundinnen, andere Freunde. Im Hinein verschwanden Tom und Huck wieder hinter den Buchdeckeln, gesellten sich zu Jim Knopf und Lukas, dem Lokomotivführer. Zu Inga, Lisa, Britta, Kerstin, Lasse, Bosse und Ole, zu den fünf Freunden und den sieben Fragezeichen. Zu Hanni und Nanni ins Internat.
Kürzer werdende Tage. Die Mädchenbeine sind nun wieder von Kniestrümpfen umhüllt, später von verhassten Wollkratzstrumpfhosen.
Die Sehnsucht heißt nackte Beine im Wind. Damals wie heute. Nackte Füße im Bach. Träge in Grünwiesen liegen, blaue Libellenflüge betrachten, abends am Mondfalterbach das Feuer anzünden.
Das Mädchen hat sich vom Gestern ins Heute hinüber gerettet. Wohlbehütet von der Frau. Tropfende Eisschmelze auf Baumwollblusen, nackte Füße in eiskalten Bächen, nackte Beine vom Wind umspielt.

In den ersten Erinnerungen tanzen nackte Füße und Beine im Bach, ziehen weiße Wolken über Azur, Schwalben im Geleit.

21.06.2012

Erinnerungsschaukel 001

Meine dritte Etüde hat mich auf die Idee gebracht, Texte, die von meinen Erinnerungen getragen werden, unter der Überschrift  E R I N N E R U N G S S C H A U K E L noch einmal hier einzustellen. Neue werden vielleicht geschrieben.

Das oben stehende Bild wird das „Cover“ sein.

Manche Texte erschienen schon einmal in den Rubriken „Kurze Zeilen“ und „Miniaturen“. Andere, längere erschienen unter einer Überschrift, sie hatten keine Rubrik.

Nicht alle Erinnerungen sind so still und schön, wie die in meiner Etüde. Meine Kindheit war weder nur schön, noch nur schwer und dem versuche ich in der Erinnerungsschaukel Rechnung zu tragen.

O C H S E N B E R G E R  E I N S  Z W E I  D R E I

Es waren Murmelspiele, Hinkekästchen, wilde Jagden, Ochsenberger-eins-zwei-drei, Mutter-Mutter-wie-weit-darf-ich-reisen, Vater-Mutter-Kind.

Viele Mütter, viele Väter, viele Kinder, ehrliches Brot, gesunder Stolz und am Samstag großes Reinemachen. Der Sonntag- und der Satansbraten, Montagsnudeln, Dienstagseinerlei, Mittwochsstampfkartoffeln-mit-Sauerkraut-und-Bratwurst, Donnerstagsreste, Freitagsfische, Samstagseintopf, Woche für Woche. Jahr für Jahr Rhythmus, Fleiß und Wiederaufbauschweiß. Keiner hat nie etwas gewusst und jetzt war es ja vorbei. Als gäbe es eine Endgültigkeit, ein Ab-ins-Meer-damit-und-weg-ist-es. Als gäbe es Teppiche fürs Drunterkehren, als wäre Schweigen stumm. Als könnten wir uns neu erschaffen, den Göttern gleich. Als hielten wir das Ende und das Wie in unseren Händen.

26.06.2016


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Mutmaßungen über das Fremde

Oh je, ich habe gestern gar nicht bei Frau Graugans aka Margarete geschaut. Auch bei ihr gibt es eine Art Adventskalender – ein Kalender der Mutmaßungen.

Gestern also öffnete sich das Türchen der „Mutmaßungen über das Fremde“ mit einem Beitrag und einem Bild von mir → https://www.graugans.org/24t-mutmassungen-ueber-das-fremdetag5/

Das Bild

Das Kind geht neugierig in die Welt, ihm ist alles fremd. Es gibt dem Fremden die Hand.

Ping Pong 001 2019

Der Hase im Winter ist auch ohne Geweih …

draufklick = großes Bild

Darf ich vorstellen? PING PONG ist sein Name. Nein, es ist nicht des Hasens Name, es ist der Name von einem neuem, gemeinsamen Projekt von Gerda Kazakou und mir.

Gerda und ich senden uns einen Satzanfang und ein dazu gestaltetes Bild via Blog zu, die andere vervollständigt den Satz und gestaltet hierzu ein Bild. Dann werden Satzanfang und Satzende zusammen gezeigt, bei ihr und bei mir. So wird es ein spannendes Ping Pong zwischen uns werden und ihr seid life dabei.

Die Idee haben wir von Susanne Haun und Jürgen Küster, aka Buchalov, übernommen. Die hier eingefügten Links führen direkt zu dem „Projekt ohne Namen“, wie es bei Susanne und Jürgen heißt. Um euch einen Eindruck zu geben habe ich unterschiedliche Satzbeiträge von ihnen verlinkt.

Aber nun, liebe Gerda, bist du ja erst einmal dran. Ping …

Ich freue mich sehr über das neue Projekt und bin gespannt wohin uns das führen wird.