oder eine der glücklichen Zeiten in meinem Leben
Eine meiner glücklichen Zeiten in meinem Leben spielt in den 1970er Jahren in einem kleinen Dorf am Rande der Pfälzer Wälder, dessen Berge wie Zuckerhüte waren und sind. Roter Sandstein, Wingerte, lichte Esskastanien- und Kiefernwälder, voller Pilze im Herbst – und Wander=innen. Ob heute noch, das werde ich nicht überprüfen. Ich gehe nicht zurück an Orte, an denen ich glücklich gewesen bin. Sie wohnen in mir, dort verändern sie sich nicht.
Jeden Morgen und Abend ging ich die Dorfstraße von einem Ende zum anderen. Auf der einen Seite arbeitete ich, auf der anderen wohnte ich – bei Maria und ihrer Mutter.
Maria, schon um die 60 Jahre alt, ihre Mutter irgendwas zwischen 80 und 90, ein Drachen, eine fiese Hexe, eine Tyrannin, eine Frau Doktor. Nicht so Maria, eine Grundgute, eine die ihr ganzes Leben in den Dienst ihrer Eltern gestellt hatte, stellen musste. Gejammert hat sie nicht. Neugierig ist sie gewesen, emsig und fröhlich. Jeden Morgen bat sie mich ihr meine Träume zu erzählen, weil sie seit ihrer Jugend nicht mehr geträumt hatte. Aber damals, erzählte sie mir mit leuchtenden Augen immer wieder, damals ist sie mit fliegenden Teppichen über die Welt geflogen und hat gesehen, wie schön die Welt von oben ist.
Ein Zimmerchen mit Bett, Tischchen, Stuhl, Kleiderschrank, einem kleinen Waschbecken und mit Ofen ist für einige Monate mein Zuhause gewesen; außer an den Wochenenden, wenn ich den damaligen Liebsten im Odenwald besuchte oder meine Freundinnen und Freunde hier und dort.
Jeden Abend bollerte schon der Ofen, wenn ich Nachhause kam, jeden Abend stand ein kleines Schälchen mit selbstgebackenen Keksen auf dem Tisch. Davon ließ sich Maria nicht abhalten!
An diesem Tisch verbrachte ich manchen Abend damit, drei kleine Kreisel umeinander laufen zu lassen, Kekse zu knabbern und den Tag Revue passieren zu lassen. An anderen schrieb ich Briefe oder in mein Tagebuch. Stille Abende, stilles Dorf, stillere, langsamere Welt.
Jeden Tag ging ich an dem Laden des Dorfmetzgers vorbei. Dort hing ein Schild in der Türe: Dienstag ist Schwienstag – sowas vergesse ich nicht.
Jeden Morgen grüßte ich die kleine, alte Frau, die ihre Runde drehte, um Margarineblöcke an die Dorfbewohner=innen zu verkaufen. Und die Dorfbewohner=innen zeigten sich solidarisch, alle kauften ihre Margarine. Ein paar Groschen mehr im Portemonnaie, ein paar Groschen für die kleine, arme Frau.
Ob das heute noch funktionieren würde?
Jeden Morgen öffnete ich die Tür zur Töpferwerkstatt und nahm den Besen. Eine Praktikantin fegt erst einmal die Werkstatt aus. Kaum hatte ich begonnen, hörte ich auch schon die kleinen Füße von Katharina die Treppe hinab laufen. „Ulli, Katinka singen, Katinka tanzen!“ Los gings, Besen schwingend, Katinka singend und zur Krönung der Kosakentanz. Katharina und Praktikantin waren glücklich.
Und dann hieß es wieder einen Tonklumpen auf die Schreibe werfen, möglichst in die Mitte, zentrieren, drehen, weiten, engen, hochziehen, je nachdem. Freude pur, wie auch: glasieren, den Ofen ein- oder ausräumen, Restton aufbereiten und dabei am ‚Tonwolf‘ stehen und „August der Schäfer hat Wölfe gehört“ singen. An manchen Tagen den Laden entstauben und neu dekorieren, zur Freude der Töpferin.
Es hätte so schön sein können!
Ich konnte noch nie mit Patriarchen. Patriarchen können auch nicht mit mir. Vier Monate und ein paar Tage, dann ging ich wieder fort. Die Töpferin und ich trauerten.
Gerade denke ich noch an den Zwerg im Dorf. Heute spricht mensch ja von kleinwüchsigen Menschen. Das erste Mal begegnete ich ihm an einem Abend im Wingert. Er stapfte mir entgegen, Schaufel und Hacke über der Schulter, ein grummeliges Gesicht. Bis er seinen Blick hob und mich sah, da ging die Sonne auf. Er strahlte mich an, ich strahlte zurück, wir grüßten uns und gingen weiter unserer Wege. Lange habe ich immer wieder nach ihm Ausschau gehalten.
Es war eine Beerdigung im Dorf angesagt und ich hatte die Direktive erhalten, nicht mehr so lange an der Töpferscheibe zu sitzen, da mensch mich vom Fenster aus arbeiten sehen könnte … gegenüber stand der Korbmacher und pries seine Körbe, Taschen und Stühle an, als der kleine Mann mit ernster Miene und im schwarzen Anzug die Dorfstraße hinunter kam. Er verharrte bei Korbmacher, plauderte mit ihm. Seine Miene blieb ernst, bis er mich entdeckte und schwupps ging wieder die Sonne auf. So etwas vergesse ich nicht.
Und auch nicht den Laden an der Ecke, dunkel, etwas verstaubt, die Inhaberin war eine schon recht alte Frau. Es gab alles bei ihr, was man in einem Haushalt braucht, von Näh-, über Strick- zu Häkelnadeln, zu verschiedenen Näh-, Stick- und Strickgarnen, Stoffe, Knöpfe, Kittelschürzen, Hosen, Hemden, Krawatten, Blusen, Röcke, Kleider, Bettbezüge, Handtücher, Kissen, warme Bettdecken, Kerzen, Socken, Strumpfhosen und Bonbons für die Kinder.
Schade, dass es heute solche Dorfkrämerläden nicht mehr gibt, sie würden wohl auch nicht mehr funktionieren!
Ich denke gerne an diese Zeit zurück. Es ist schön gewisse Phasen im Leben als „glückliche Zeit“ erinnern zu können.
Das war ein Versuch ein bisschen zu erzählen, ganz glücklich bin ich nicht damit, aber das bleibt jetzt so.
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