Unerwartet

Ob ich lese, rieche, sehe, träume, gehe, sinniere, lausche, spüre oder rede, plötzlich sind sie da, die Erinnerungen. Das innere Labyrinth öffnet seine Pforten. Oftmals unerwartet, durchaus auch manchmal unerwünscht.

Das Damals im Heute, das Bedauern, die erfüllten und unerfüllten Wünsche, die Weggabelungen, die sich verändernden Perspektiven und Sichtweisen im Lauf eines Lebens.

Gemeinsame Wege kamen an Weggabelungen, die Eine ging links, der Andere rechts, bis sie sich verloren hatten. Alle Wege dürfen gewürdigt werden, alle Weggabelungen verstanden und akzeptiert. Leicht ist das nicht!

Wie ich von hier nach da fahre, singt es in mir, wie schon öfter in der letzten Zeit: It’s the end of the world as we know it …

1987 – von REM in die Welt gebracht – hörte ich es damals immer wieder, ohne zu erahnen, dass diese Welt einmal an ein Ende kommen könnte, das alles andere als ein Wohlgefühl auslösen würde.

Auch Resilienz will geübt und verankert werden. Ich bin dünnhäutiger geworden.

Jetzt sind viele Rehe auf den Wiesen zu sehen; auch ich scheue bei manchen Menschen zurück und suche flink das Weite.

Kraniche begleiten meine Alletage; ein immer wiederkehrendes Glück. Das nutzt sich nicht ab. Die ersten Störche sind zurück und dann diese zwei unerwarteten Begegnungen in der Nacht, auf dem Weg von dort nach hier: ein Nutria – wie schnell die sind; ein Waschbär – wie klein die sind!

Das unaufgeregte, und mancherorts auch schwere Land, wartet mit Unerwartetem auf. Das mag ich! Ich bin nicht für das Verharren in Erinnerungen geschaffen. Die Nomadin zieht ins Frühlingsland. Noch haben sich die Füße nicht eingelaufen, noch sind die Schritte winterschwer, noch sitzt die Henne auf ihrem Ei.

 

Der Versuch einer Erzählung

oder eine der glücklichen Zeiten in meinem Leben

Eine meiner glücklichen Zeiten in meinem Leben spielt in den 1970er Jahren in einem kleinen Dorf am Rande der Pfälzer Wälder, dessen Berge wie Zuckerhüte waren und sind. Roter Sandstein, Wingerte, lichte Esskastanien- und Kiefernwälder, voller Pilze im Herbst – und Wander=innen. Ob heute noch, das werde ich nicht überprüfen. Ich gehe nicht zurück an Orte, an denen ich glücklich gewesen bin. Sie wohnen in mir, dort verändern sie sich nicht.

Jeden Morgen und Abend ging ich die Dorfstraße von einem Ende zum anderen. Auf der einen Seite  arbeitete ich, auf der anderen wohnte ich – bei Maria und ihrer Mutter.

Maria, schon um die 60 Jahre alt, ihre Mutter irgendwas zwischen 80 und 90, ein Drachen, eine fiese Hexe, eine Tyrannin, eine Frau Doktor. Nicht so Maria, eine Grundgute, eine die ihr ganzes Leben in den Dienst ihrer Eltern gestellt hatte, stellen musste. Gejammert hat sie nicht. Neugierig ist sie gewesen, emsig und fröhlich. Jeden Morgen bat sie mich ihr meine Träume zu erzählen, weil sie seit ihrer Jugend nicht mehr geträumt hatte. Aber damals, erzählte sie mir mit leuchtenden Augen immer wieder, damals ist sie mit fliegenden Teppichen über die Welt geflogen und hat gesehen, wie schön die Welt von oben ist.

Ein Zimmerchen mit Bett, Tischchen, Stuhl, Kleiderschrank, einem kleinen Waschbecken und mit Ofen ist für einige Monate mein Zuhause gewesen; außer an den Wochenenden, wenn ich den damaligen Liebsten im Odenwald besuchte oder meine Freundinnen und Freunde hier und dort.

Jeden Abend bollerte schon der Ofen, wenn ich Nachhause kam, jeden Abend stand ein kleines Schälchen mit selbstgebackenen Keksen auf dem Tisch. Davon ließ sich Maria nicht abhalten!

An diesem Tisch verbrachte ich manchen Abend damit, drei kleine Kreisel umeinander laufen zu lassen, Kekse zu knabbern und den Tag Revue passieren zu lassen. An anderen schrieb ich Briefe oder in mein Tagebuch. Stille Abende, stilles Dorf, stillere, langsamere Welt.

Jeden Tag ging ich an dem Laden des Dorfmetzgers vorbei. Dort hing ein Schild in der Türe: Dienstag ist Schwienstag – sowas vergesse ich nicht.

Jeden Morgen grüßte ich die kleine, alte Frau, die ihre Runde drehte, um Margarineblöcke an die Dorfbewohner=innen zu verkaufen. Und die Dorfbewohner=innen zeigten sich solidarisch, alle kauften ihre Margarine. Ein paar Groschen mehr im Portemonnaie, ein paar Groschen für die kleine, arme Frau.

Ob das heute noch funktionieren würde?

Jeden Morgen öffnete ich die Tür zur Töpferwerkstatt und nahm den Besen. Eine Praktikantin fegt erst einmal die Werkstatt aus. Kaum hatte ich begonnen, hörte ich auch schon die kleinen Füße von Katharina die Treppe hinab laufen. „Ulli, Katinka singen, Katinka tanzen!“ Los gings, Besen schwingend, Katinka singend und zur Krönung der Kosakentanz. Katharina und Praktikantin waren glücklich.

Und dann hieß es wieder einen Tonklumpen auf die Schreibe werfen, möglichst in die Mitte, zentrieren, drehen, weiten, engen, hochziehen, je nachdem. Freude pur, wie auch: glasieren, den Ofen ein- oder ausräumen, Restton aufbereiten und dabei am ‚Tonwolf‘ stehen und „August der Schäfer hat Wölfe gehört“ singen. An manchen Tagen den Laden entstauben und neu dekorieren, zur Freude der Töpferin.

Es hätte so schön sein können!

Ich konnte noch nie mit Patriarchen. Patriarchen können auch nicht mit mir. Vier Monate und ein paar Tage, dann ging ich wieder fort. Die Töpferin und ich trauerten.

Gerade denke ich noch an den Zwerg im Dorf. Heute spricht mensch ja von kleinwüchsigen Menschen. Das erste Mal begegnete ich ihm an einem Abend im Wingert. Er stapfte mir entgegen, Schaufel und Hacke über der Schulter, ein grummeliges Gesicht. Bis er seinen Blick hob und mich sah, da ging die Sonne auf. Er strahlte mich an, ich strahlte zurück, wir grüßten uns und gingen weiter unserer Wege. Lange habe ich immer wieder nach ihm Ausschau gehalten.

Es war eine Beerdigung im Dorf angesagt und ich hatte die Direktive erhalten, nicht mehr so lange an der Töpferscheibe zu sitzen, da mensch mich vom Fenster aus arbeiten sehen könnte … gegenüber stand der Korbmacher und pries seine Körbe, Taschen und Stühle an, als der kleine Mann mit ernster Miene und im schwarzen Anzug die Dorfstraße hinunter kam. Er verharrte bei Korbmacher, plauderte mit ihm. Seine Miene blieb ernst, bis er mich entdeckte und schwupps ging wieder die Sonne auf. So etwas vergesse ich nicht.

Und auch nicht den Laden an der Ecke, dunkel, etwas verstaubt, die Inhaberin war eine schon recht alte Frau. Es gab alles bei ihr, was man in einem Haushalt braucht, von Näh-, über Strick- zu Häkelnadeln, zu verschiedenen Näh-, Stick- und Strickgarnen, Stoffe, Knöpfe, Kittelschürzen, Hosen, Hemden, Krawatten, Blusen, Röcke, Kleider, Bettbezüge, Handtücher, Kissen, warme Bettdecken, Kerzen, Socken, Strumpfhosen und Bonbons für die Kinder.

Schade, dass es heute solche Dorfkrämerläden nicht mehr gibt, sie würden wohl auch nicht mehr funktionieren!

Ich denke gerne an diese Zeit zurück. Es ist schön gewisse Phasen im Leben als „glückliche Zeit“ erinnern zu können.



Das war ein Versuch ein bisschen zu erzählen, ganz glücklich bin ich nicht damit, aber das bleibt jetzt so.

 

Innen und außen

Es gibt in mir zwei Fotografinnen. Die eine ist die, die Fotos macht, um sie zu teilen und um sie auf der Festplatte zu speichern, um sie in jedem Moment abrufen zu können. Diese Dateien, nach Jahren und Monaten sortiert, sind auch mein anderes Tagebuch. Ohne sie würde ich wohl manche Ausflüge, manche Fundstücke und Begegnungen schon längst vergessen haben. Im Rückblick eines jeden Jahres sind sie außerdem eine wichtige Stütze für die Erinnerungen.

Die andere Fotografin ist die, die für die innere Festplatte Bilder aufnimmt. Sei es, weil ich die Kamera nicht dabei habe oder ich mich nicht traue das Gesehene festzuhalten. Voyeurismus und Fotografie liegen nahe beieinander. Aber ich habe keine Scheu solch einen Moment in Worte zu fassen – ein Bild darf sich dann die und der Lesende gerne selbst machen.

Eine Geschichte für ein inneres Bild von einem Spaziergang:

Neben mir rechts ist eine große, grüne Wiese, die von einem Wald gesäumt wird. Mir gegenüber steht eine Bank am Wegesrand. Im Näherkommen sehe ich zwei Frauen – einander seitlich zugewandt – auf dieser Bank sitzen, sie unterhalten sich angeregt miteinander. Neben der Frau rechts sitzt aufrecht ein schwarzer Zottelhund, der mich anschaut, sonst nichts. Zwischen den beiden Frauen ist auf der Rückenlehne auf braunem Grund ein weißes Herz gemalt. Und genau das weckt die Fotografin für die inneren Bilder.

Die Farnstudien habe ich auf eben diesem Gang gemacht.

P.S. Bitte seht es mir nach, dass ich noch nicht so viel in Bloghausen rumkomme – ich muss mich erst einmal wieder an die Welt der Blogs gewöhnen.

Erinnerungsschaukel 05

 

K I N D E R T A G E  Z W I S C H E N  P O T T  U N D  W E S T F A L E N

Sechs Kinderbeine mit herunter gerutschten Kniestrümpfen rennen aus der Siedlung hinaus den Bergen entgegen. Es rennen zwei Jungs und ein Mädchen. Abenteueralter. Sie sind Tom Sawyer und Huckleberry, sind Nscho-tschi und Old Shatterhand, sind was sie wollen, auf alle Fälle kleine Strolche.

Die Berge sind wild, zwischen ihnen gähnen wassergefüllte Abgründe. Frösche quaken. Jungs fangen Frösche, sie sieht sich um. Frösche werden nun einmal nicht zu Prinzen, wenn man sie aufbläst. Außerdem ist das eklig! Sie läuft weg von den Jungen und ihrem Ekelspiel, sie will das nie mehr sehen. Sie klettert auf die Höhen, rennt durch die Senken, nimmt die letzten Felsen, sie schaut von oben auf den Rhein-Herne-Kanal hinab. Schiffe ziehen Frieden, machen Wellen.

Die Familie ist umgezogen. Die Zechen sind jetzt weiter weg, der Garten kleiner, einen Innenhof gibt es nicht mehr. Auch keine zwei Schweine mehr im Stall, die an roten Kinderpantoffeln knabbern wollen, keine Hasen, keine Hühner mehr, nur die Tauben sind geblieben und Wellensittich Peterlieb. Noch. Er wird einen Hinausflug machen. Bald. Aber das weiß keiner. Keiner weiß, dass er für eine lange Weile aus dem Fenster hinaus, in die weite Welt hineinfliegen und mit dem knallgelben Kanari zurückkommen wird. Das ist Peterliebs Geheimnis. Er wird es auflösen, später …

Die Familie heißt …lewski, so, wie viele Familiennamen hier auf lewski, lawski, lowski enden. Viele sind Anfang der Neunzehnhunderterjahre von Polen in den wachsenden Pott gekommen, um das schwarze Gold aus der Erde zu puhlen. Das schwarze Gold, das seinen Wert verlor. Zechen schlossen, Kulturlandschaften wuchsen, Kohlepfennige wischten Augen. Die Law-lew-lowskis rauchten, husteten, fütterten gurrend ihre Tauben. Kinder schwammen in den Wellen der vorbeiziehenden Frachtschiffe, fuhren auf zu großen Fahrrädern und fielen sich schwarze Schlackesteinchen in die Knie. Rabe Jakob saß auf dem Dachfirst, schob seinen Kopf vor und zurück, ganz so, wie es Raben tun, wenn sie etwas mitzuteilen haben, sei es nun rrabrrab oder Jaa – kobb … Jaa – kobb. Raben, die raben, hacken nicht, eine polnische Weisheit, sagte die Tante.

Die Tante, klein, rundlich, Tag für Tag in einer geblümten Kittelschürze steckend, mit dem Namen der sich schöner und vielversprechender nicht auf Märchen reimen konnte, besonders in Gewitterstunden. Ach, Tante Klärchen …

Die Berge hatte es vor dem Umzug nicht gegeben. Nicht in Ickern. Da gab es Dötze und Mehler zu verhandeln, zu tauschen, zu verlieren und zu gewinnen, drinnen, wie draußen. Da gab es in der Nacht einen Pinkelpott für die ganze Familie und am Samstag war Badetag. Und einmal im Monat gab es eine Butterfahrt. Für die Tante. Butterfahrten von Ickern auf die zollfreien Gewässer zwischen Deutschland und Holland. Butterfahrten von Waltrop aus schlossen sich an. Kanäle gestalteten Landschaften, hier, wie dort. Der frische Wind wehte Riesenlollis in gierig aufgesperrte Kindermünder, und die gute Butter für die Pellkartoffeln, den Brathering und die sauren Gurken auf den Tisch. Nein, keine Sauregurkenzeit. Schlichtheit, Ruhrpottmentalität.

Es knatterte noch der Onkel mit dem Moped in den frühen Morgenstunden der entfernten Zeche entgegen, knatterte am frühen Nachmittag zurück. Am Abend stopfte er Zigaretten für das Morgen. Peterlieb saß auf der Schulter der Tante und zeterte: Peterlieb, Peterlieb … Lachen.

Die Tante verriet den Kindern Verstecke für sie und ihre mit geklauten Äpfeln prall gefüllten Säcke, der Bauer entdeckte sie trotzdem. Aufsitzen mussten sie. Sie und die Säcke auf dem Treckerhänger. Er kannte die Tante, kannte die Kinder, er machte ein böses Gesicht, lenkte den Trecker über die Höhen und Tiefe der Berge hin zur Siedlung. Als Peterlieb das sah, machte er sein Geheimnis wahr und flog geradewegs, für eine lange Weile, aus dem Fenster hinaus, den knallgelben Kanari zu finden.

Am Ende haben alle Äpfel gegessen.

2018/19

Erschienen in der Anthologie: All over Heimat


Nur noch einmal zur Erinnerung (huch schon wieder eine), alle diese Texte, die ich hier einstelle, schrieb ich vor einigen Jahren und stellte diese hier auch schon ein, so kann es sein, dass ältere Leser*innen diese schon kennen. Ich mache dies für mich und die neuen Leser*innen, vielleicht wird ja doch noch einmal ein Buch daraus. Diese Idee wabert auf alle Fälle im Hintergrund dabei herum.


To my English speaking readers: From now on you can read every article of me in English, too, if you’ll go to the end of my blog page, you’ll find the button „Google Translater“. Enjoy!

Erinnerungsschaukel 04

U N T E R W E G S  –  D R E I S P U R I G

Zunächst ist es der Tanz mit den Kurven, der Kupplung, dem Schaltknüppel und den Bremsen, während der Blick über blühende Löwenzahnwiesen, weisse Kirsch- und Pflaumenbäume gleitet, hin zu den verblühten Fliederbüschen im Tal und den frischen Holunderblüten.

Was … jetzt schon? Ich staune. So, wie ich immer staune, wenn die Ebene in einem Kleid erscheint, das auf dem Berg noch im Schrank hängt. Surreal wirkt die leuchtend rote Klatschmohnwiese unter dem Alupalast, zwischen der Höhe und unten angekommen.

Nach all dem Gleiten und Schalten von oben nach unten hat mich irgendwann der Sog der Strasse wieder. Der Sog, der mich immer mal wieder, am Ziel angekommen, fragen lässt, wer sich nun eigentlich bewegt hat: die Strasse unter den Rädern, einem Fliessband gleich, oder eben doch ich den faradayschen Käfig? Wären da nicht die Pausen und damit mein Blick von aussen auf die Bahn, mit einer eigenen Komponente von Unwirklichkeit, wüsste ich es manchmal nicht mit Gewissheit zu sagen. Fahren auf der Autobahn kommt oft einer Trance gleich, einer mit hellwachen Sinnen, immer das Obachtschild im Kopf, die Strasse und ihr Geschehen im Auge.

Geschichten von damals und vordamals weben sich ins Jetzt hinein. Manchmal genügt ein Kennzeichen und schon halte ich Ausschau nach Menschen aus längst vergangenen Zeiten. Oder es ist eine Ausfahrt zu einem Ort, wo ich einst jemanden kannte oder selbst einmal lebte oder Besuche machte und mache, nur nicht gerade jetzt, oder es ist eine Raststätte, ein Parkplatz wo sich Geschichten über das Jetzt legen. Sie kommen und gehen im Takt der vorwärts rollenden Räder.

Weisst du noch … es erzählt sich von selbst …

… diese drei schweren Jungs von vor ein paar Wochen, ihre Blicke so finster, wie das gesamte Drumherum … drei schwere Jungs und die Helden der Dreispurigkeit im Allgemeinen, ihre Ungeduld, ihr Gedrängel, ihre Lichthupen und ihre bösen Blicke, wenn ich endlich rechts einschere, um sie vorbei rasen zu lassen. Manchmal gerate ich dabei in zu viel gesehene amerikanische Spielfilme, halte kurz den Atem an, spüre fast schon den Aufprall auf der linken Seite, als ob sie mich endgültig von der Bahn schubsen wollten …

Brumm, brumm, brumm der olle Grimm, der fährt herum, wer ihn anschaut oder lacht, kriegt den Buckel voll gemacht …

Ausatmen, weiterfahren, den schweifenden Blick geradeaus, nach hinten und zur Seite. Felder bestückt mit Windrädern, neuerdings auch mit Sonnenkollektoren,neben blühenden Rapsfeldern. Die junge Gerste schaukelt ihre Grannen im Wind … Die nächste Raststätte kommt. Pause.

Seltsam leer ist es hier und ich frage mich, ob sie nicht ganz geschlossen wurde. Steige aus, trete ein. Drinnen palavern zwei Italiener an der leeren Lounge. Ich folge dem WC-Schild. Als ich zurückkomme, palavern beide, nun auch von lebhaften Gesten untermalt, mit zwei Polizisten:
„Ein LKW-Fahrer, er sprach nur schlecht Deutsch, hat uns gesagt, dass dort hinten eine Frau liegt. Tot ist sie nicht. Aber wir wissen auch nicht. Sie reagiert nicht.“

Dann bin ich auch schon wieder draussen. Was war das denn? Ich steige ein, fahre weiter und lausche der Fortsetzung des Krimihörbuchs von Hakan Nesser …

Pinkelpausen müssen sein. Das nächste Mal ist es ein Parkplatz. Der Wald ruft. Auf dem Weg kommt einer, der sich gerade den Hosenstall hochzieht von rechts, ich gehe nach links. Gut so … denn nur kurz dahinter kommt schon der Zweite. Autobahnstrich für Kerle? Seltsam … Was passiert hier?

Die nächste Geschichte kommt, die von den Wohnwagen, die neben der Strasse in einem Waldstück abgestellt wurden, mit Herzchen verziert und leuchtenden roten Lämpchen am Abend. Von hier geht es zu den verdreckten Dünen vor den Türen Roms, zwischen denen ausgemergelte farbige Frauen auf Campingstühlen sassen, einer wackeliger als der andere …

Vielleicht sollte ich beim nächsten Mal ein anderes Hörbuch wählen, eins, das mich zum lachen bringt, wie vor einigen Wochen der Hundertjährige, der aus dem Fenster sprang, vielleicht finden ja dann die kleinen Krimis innerhalb der Realityshow auf anderen Pausenplätzen statt. Oder ich höre wieder nur Musik, Lieder bei denen ich laut mitsingen kann, Töne finde, die ich sonst zurückhalte, nur nicht in meinem faradayschen Käfig, dem einzigen Käfig, in den ich mich gerne freiwillig begebe.

Auf meinen Wegen von Süd nach Nord und zurück liegen die Geschichten und Bilder am Wegesrand. Mutter, Mutter wie (weit) darf ich reisen?

2014


Stimmt, dieses Mal schwingt die Schaukel schon sehr nah ins Jetzt hinein, über die Kindheit, das Kindsein hinaus. Wobei ich ja manchmal noch immer wie eine Fünfjährige reagieren kann. Aber das ist wieder ein anderes Thema und keins, das mir oder dir Freude macht. Also vergesse ich es. Die Schaukel und mein PC, da gab es nämlich mal wieder Updates, ich kann sie nicht wirklich leiden, und schwupps sucht nun wieder Google statt Ecosia, wenn ich nicht Ecosia anklicke. Mache ich, klar, ich will ja Bäume pflanzen, von hier bis zum Mond und zurück. Auch egal, um nun Ecosia wieder zu etablieren suche ich mich selbst und finde diesen Beitrag, lese ihn aus fast sechs Jahren Distanz. Ich bin wieder unterwegs. Gut fühlt sich das an!


Nur noch einmal zur Erinnerung (huch schon wieder eine), alle diese Texte, die ich hier einstelle, schrieb ich vor einigen Jahren und stellte diese hier auch schon ein, so kann es sein, dass ältere Leser*innen diese schon kennen. Ich mache dies für mich und die neuen Leser*innen, vielleicht wird


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Erinnerungen

Vor ein paar Tagen bin ich auf diesen Text von mir gestoßen, den ich im Juli 2015 geschrieben habe. Nun habe ich ihn leicht korrigiert. Wen es interessiert, so habe ich ihn damals illustriert → https://cafeweltenall.wordpress.com/2015/07/07/alt-und-neu-und-nichts-altes-mehr-neu-aufgelegt/

Manchmal staune ich, wie leicht ich schon schreiben konnte, es will mir so nicht mehr gelingen. Und ich hoffe sehr, dass dies nur eine Phase ist, die nun allerdings schon fast zwei Jahre anhält -m-

Eine Art Finale einer kurzen Serie von Altem, das ich neu auflegte und dadurch kein bisschen neuer wurde, nur Erinnerung mit der ich gerade zu tun habe.

Als ob es so muss, dass plötzlich nur noch Erinnerungen zählen, in der sie Gesicht und Worte einfordern und dabei jedes Jetzt überlagern, mich nicht wissen lassen, was ich gestern tat, dafür umso besser, was vor dreißig Jahren. Dass Erinnerungen ihre Türen und Fenster öffnen und Damalswinde Jetzträume durchwehen, mit Gerüchen, die alt erscheinen und gleichzeitig wohlbekannt. Nicht immer wohlig, nicht immer benannt in ihrem Duft, weil ein Erinnerungsduft sich zusammensetzt aus Kohlen im Keller, Kartoffeln, Feuersalamandern und meiner Angst.

Die Angst, die ich versuchte wegzupfeifen. Ein schiefes Lied gegen das laute Pochen in meiner Brust. Dort, allein im Keller mit seinen vielen Winkeln und Verschlägen, seinen Kohlen, Kartoffeln und Feuersalamandern, um etwas zu holen, das Mutter brauchte.

Die Gläser mit Eingemachten zählen nicht, geruchlos standen sie in Reih und Glied auf den Bretterregalen, die sich gefährlich bogen. Vielleicht roch noch das rote Gummi, das alles verschloss. Aber so wirklich interessierten sie nicht. Auch nicht heute, nicht in diesem Keller. Später, in einem anderen Keller ohne Winkel und Verschläge, ohne Kartoffeln, Kohlen und Salamandern lockten die Birnen. Da war ich nächtliche Mundräuberin, riss an den Gummis, aß ganze Gläser leer. Ich rieche die Birnen noch.

Aber jetzt will ich keine alten Orte aufsuchen, will nicht auf meinen Spuren wandern, will neue in den Sand vor mir setzen. Ich weiß vom Wind, der sie zerweht, ob früher oder später. Viele hat er schon mitgenommen. Meine Füße hinterlassen keine Abdrücke in Stein und das, was damals war, ist in mir. Die Häuser, ob sie noch stehen oder nicht, ob sie neue Farben bekamen oder nicht, bedeuten mir nichts. Sie stehen dort vierstöckig mit grauer Fassade, ich werfe rote Bälle an ihre Wände und will nicht mehr dorthin zurück. Keinen Weg von damals will ich noch einmal gehen.

Ich rieche an Maiglöckchen und habe wieder Geburtstag in Tantes Garten. Gärten und Häuser, die verschwanden, aber nicht in mir. Sie alle hatten einen Keller und alle ihre Wände erkannten mich an meinem Pfeifen, Kartoffeln und Kohlen überall. Feuersalamander nicht, Eingemachtes schon.

Wir lernten die Not aus den erzählten Geschichten, weit weg von uns und den immer voller werdenden Geschäften. Seelennot, die lernten auch wir, aber Hunger gab es nicht, wenn uns auch nicht alles schmeckte und das Brot, vor der Brust geschnitten, mit einem Segenskreuz verziert, täglich und selbstverständlich auf dem Esstisch lag. Unser Hunger hieß nicht Brot, er hieß Leben, Liebe, Lust und Leidenschaft, Abenteuer winkten überall, nur nicht in den Wohnzimmern voller Gummibäumen und anderem Gewächs. Kittelschürze war nicht unser Kleid, nackte Füße steckten in Sandalen, ob es sich geziemte oder nicht. Röcke verloren ihre langen Säume, Wind fuhr durch offen getragene Haare, Kreuze brannten.

Daher kommen wir. Zeiten, die jetzt von dem einen und der anderen aufs Papier gebannt werden, die ich lese, die meine Erinnerungsräume öffnen, die Spiegel der Zeit sind und vielleicht die eine und andere Spur zu sich selbst, warum man wurde, was man ist und vielleicht noch werden kann …

Ich verschließe Türen und Fenster, fege Spinnweben von altersschwachen Erinnerungswänden, streiche weiße Farbe über alte Bilder, die am Ende nichts verbirgt.

Als ob es müsste, weil man es so sagt, als hätte Alter kein Jetzt und als bliebe kein anderer Weg. Als müsste ich schon satt sein und mich nur noch an den alten Wegen laben, ihren Brotkrumen darauf. Ein Krückstock sagt noch nichts über die Augen! Das Neu hat immer auch das Alte im Gepäck, sowieso.

Sonntagsbild #4-2017

Mann mit Hund

– 1 –

Mann mit Hund

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draufklick = großes Bild

Jeden Tag sehe ich diesen Mann mit seinem kleinem Hund durch unser Dorf spazieren. Noch nie habe ich sie bei einem meiner Spaziergänge getroffen. Sie rühren mich an und erinnern mich an das Buch: Der Mann mit dem kleinem Hund von Georges Simenon und haben mich zu dem zweiten Bild inspiriert.

– 2 –

lost in memories

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Macht was Schönes, dafür ist der Sonntag da …

Miniatur – Erinnerungsschachteln

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Geburtstage öffnen Erinnerungsschachteln. Es gab Zeiten, wilde und ringende, warme und Abgründe, Antifa und Herzblätter, unwissend suchende, Geborgenheit und Bierpfützen auf nächtlichen Kneipenböden, Theater, Tanz und Bilder fangen, keine Worte, Worte, die nicht trafen, nicht den Kern, nicht mich. Wann war das, als ich die Literaten verbannte, müde von schwarzen Ebenholzhaaren und rotem Erdbeermund? Es dauerte von Glasbeinchen zur Verwurzelung, vom Segelschiff zum Ozeandampfer, vom Morast zur Zuversicht.


Anmerkung

Inspiriert von Hannah Höchs Lebensbild arbeite ich nun an meinem. Ihr seht den ersten Abschnitt – Kindheit – Jugend und die wilden Jahre- manches seht ihr darauf, das ihr schon aus anderen Zusammenhängen kennt, was später erst in mir ein Bild fand, was für diese Lebenszyklen spricht-

Rückblick – 3 –

Die kleine blaue Frau, die Zeit, die Anderen und Spuren

051 22.04.15 die kleine blaue Frau, die Zeit, die Spuren und die anderen

Erinnerungen mal zwei

Die Einer sind die Mehler*. Die zählen sich gen Null. Nur am Abend glitzern sie so herrlich auf den Bettdecken der Cousinen, grün und blau und gold. Klicker heißen bei uns Dötze. Ihr sagt Murmeln, wir verstehen uns. Absätze bohren Löcher in die Erde. Weiter hinten wird ein Strich gezogen.

„Geh spielen! Geh …“

Die Einer sind die Mehler. Am grellen Tag sind sie die Null. Da weiß man doch sofort in welchen Stuben die Armut hockt und man am Abend trotzdem lacht. Zehn für eine Gläserne, eine kleine, versteht sich. Das ist die Regel.

Es klickt und klickert, es wird weggedözt und ins Loch gerollt. Verloren ist verloren, wird gemurmelt. Manche lernen nie auf den Fingern zu pfeifen und schneller als der Wind die Kurve zu kriegen. Als würden unsichtbare Stempel auf neugeborene Stirnen gedrückt: gewinnen – verlieren – ausscheiden. Küssen und herzen ist nur was für Affenmütter.

„Ulriii-ke, komm jetzt rein!“

„Aber die …“

„Du kommst jetzt rein, aber dalli!“

Die Einer sind die Mehler, die zählen eigentlich nix. Zehn für eine Gläserne, eine kleine, versteht sich. Grün und blau und gold glitzern sie am Abend auf der Bettdecke der Cousinen. Was haben wir gelacht!

*Wer weiß, was Mehler sind?

Text © Ulli Gau 03 2015 (aus dem Gedankenauffangbuch)

 

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Andere Erinnerungen

Im März war ich in Berlin, Susanne Haun hatte mich zu ihrem Kunstsalon eingeladen. Unser gemeinsames Thema waren Blumen. Berlin im März war nasskalt und grau, nur in kurzen Momenten wurde manch Pfütze blau. Aber die Blumen blühten im Salon.

Später beschäftigte mich eine lange Zeit die Frage: in welcher Liga spiele ich eigentlich? Vor kurzem schrieb ich an Samtmut meine Antwort: ich bin eine vom kleinen Volk.

In Berlin traf ich mich auch mit Elvira (immer diese Engel, bitte klicken) Elvira und ich waren und sind uns einig: dieses Gespräch hätte noch Stunden weitergehen können und irgendwie tut es das auch …

Im März war es auch, als eine Serie von KrankSein ausbrach. Aber das ist jetzt hoffentlich vorbei!