Eine Art Finale einer kurzen Serie von Altem, das ich neu auflegte und dadurch kein bisschen neuer wurde, nur Erinnerung und mit der habe ich gerade so zu tun …
Als ob es so muss, dass plötzlich nur noch Erinnerungen zählen, in der sie Gesicht und Worte einfordern und dabei jedes Jetzt überlagern, mich nicht wissen lassen, was ich gestern tat, dafür umso besser, was vor dreissig Jahren. Dass Erinnerungen ihre Türen und Fenster öffnen und Damalswinde Jetzträume durchwehen, mit Gerüchen, die alt erscheinen und gleichzeitig wohlbekannt. Nicht immer wohlig, nicht immer benannt in ihrem Duft, weil ein Erinnerungsduft sich zusammensetzt aus Kohlen im Keller, Kartoffeln und Feuersalamandern und meiner Angst.
Die Angst, die ich versuchte wegzupfeifen. Ein schiefes Lied gegen das laute Pochen in meiner Brust. Dort, allein im Keller mit seinen vielen Winkeln und Verschlägen, seinen Kohlen, Kartoffeln und Feuersalamandern, um etwas zu holen, das Mutter brauchte. Die Gläser mit Eingemachten zählen nicht, geruchlos standen sie in Reih und Glied auf den Bretterregalen, die sich gefährlich bogen. Vielleicht roch noch das rote Gummi, das alles verschloss. Aber so wirklich interessierten sie nicht. Auch nicht heute, nicht in diesem Keller. Später, in einem anderen Keller ohne Winkel und Verschläge, ohne Kartoffeln, Kohlen und Salamander lockten die Birnen. Da war ich nächtliche Mundräuberin, riss an den Gummis, aß ganze Gläser leer. Ich rieche sie noch.
Aber jetzt will ich keine alten Orte aufsuchen, will nicht auf meinen Spuren wandern, will neue in den Sand vor mir setzen. Ich weiß vom Wind, der sie zerweht, ob früher oder später. Viele hat er schon mitgenommen. Meine Füsse hinterlassen keine Abdrücke in Stein und das, was damals war, ist in mir. Die Häuser, ob sie noch stehen oder nicht, ob sie neue Farben bekamen oder nicht, bedeuten mir nichts. Sie stehen dort vierstöckig mit grauer Fassade, ich werfe rote Bälle an ihre Wände und will nicht mehr dorthin zurück. Keinen Weg will ich noch einmal gehen. Ich rieche an Maiglöckchen und habe wieder Geburtstag in Tantes Garten. Gärten und Häuser, die verschwanden, aber nicht in mir. Sie alle hatten einen Keller und alle ihre Wände erkannten mich an meinem Pfeifen, Kartoffeln und Kohlen überall. Feuersalamander nicht, Eingemachtes schon. Ich erkenne sie an ihrem Geruch. Er wohnt noch in den Ganglien.
Wir lernten die Not aus den erzählten Geschichten, weit weg von uns und den immer voller werdenden Geschäften. Seelennot, die lernten auch wir, aber Hunger gab es nicht, wenn uns auch nicht alles schmeckte und das Brot, vor der Brust geschnitten, mit einem Segenskreuz verziert, täglich und selbstverständlich auf dem Esstisch lag. Unser Hunger hieß nicht Brot, er hieß Leben, Liebe, Lust und Leidenschaft, Abenteuer winkten überall, nur nicht in den Wohnzimmern voller Gummibäumen und anderem Gewächs. Kittelschürze war nicht unser Kleid, nackte Füsse steckten in Sandalen, ob es sich geziemte oder nicht. Röcke verloren ihre langen Säume, Wind fuhr durch offen getragene Haare, Bärte wuchsen, Kreuze brannten.
Daher kommen wir! Zeiten, die jetzt von dem einen und der anderen aufs Papier gebannt werden, die ich lese, die meine Erinnerungsräume öffnen, die Spiegel der Zeit sind und vielleicht die eine und andere Spur zu sich selbst, warum man wurde, was man ist und vielleicht noch werden kann …
Ich verschliesse Türen und Fenster, fege Spinnweben von altersschwachen Erinnerungswänden, streiche weisse Farbe über alte Bilder, die am Ende nichts verbirgt.
Als ob es müsste, weil man es so sagt, als hätte Alter kein Jetzt und als bliebe kein anderer Weg. Als müsste ich schon satt sein und mich nur noch an den alten Wegen laben, ihren Brotkrumen darauf. Ein Krückstock sagt noch nichts über die Augen! Das Neu hat immer auch das Alte im Gepäck, sowieso.
Selfies, als von Selfies noch keine Rede war, im Original und jetzt
Hallo, die erste Reihe „Selfies“ finde ich herrlich – bemalt, mit offenem Mund, strubbelig und „unanständig“ jung, aber schon zu erkennen.
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hihi … unanständig jung, hat was- danke liebe Clara 🙂
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Cool!
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🙂
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Liebe Ulli,
ach ja, wie gerne verschliessen wir Türen um Platz für Neues zu schaffen. Deine folgenden Worte mag ich und mag ich nicht.
„Ich verschliesse Türen und Fenster, fege Spinnweben von altersschwachen Erinnerungswänden, streiche weisse Farbe über alte Bilder, die am Ende nichts verbirgt.“
Wie du selber schreibst, das Alte schimmert durch die frische Farbe durch. Und trotzdem, die Weiße Farbe ist dort, bereit für Neues.
Ich mag es, Altes abzuschließen. Aber ich mag es auch, aus den alten Erfahrungen zu lernen. Selbst die schmerzhaftesten – oder vielleicht gerade die – bergen einen großen Schatz an Erfahrungen, den ich zu schätzen weiss.
Liebe Grüße von Susanne
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Liebe Susanne, ich finde es ganz wichtig zu lernen, auch aus den unangenehmeren Erfahrungen. Alles, was passiert sagt auch etwas von einem selbst. Es war auch nicht so gemeint, dass ich meine Türen auf ewig verschliesse. Ich stelle einfach fest, dass sich viele Menschen in meinem Alter nur noch oder ziemlich ausschliesslich mit ihren Erinnerungen beschäftigen, erst einmal okay, aaaaber, für mich gibt es auch immer ein Jetzt und das hoffentlich bis zum Ende und das will ich genauso wahrnehmen und füllen, wie ich es einst tat und womit ich meine Erinnerungen genährt habe- das ist die Metapher der weissen Farbe, was du ja richtig gelesen hast 🙂
hab vielen Dank und herzliche Grüsse mit frischem Abendwind
Ulli
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Liebe Ulli,
ich denke, dass das Alter in unseren Generationen immer mehr an Schrecken verliert. Vielleicht liegt das auch daran, dass nun die Kinder des Wirtschaftswunder alt werden und die gepeinigte Kriegsgeneration fast ausgestorben ist. Ich denke das Alter ganz anders als meine Eltern. Ich sehe noch so viele Möglichkeiten während meine Eltern sich an ihrer Ruhe erfreuen. Liebe Grüße von Susanne
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Was hätten die Birnen als „Helenen“ so lecker geschmeckt! Doch auch so waren sie dir ein Genuss, schon klar!
Ein Eintrag, wie ich ihn überaus schätze und gernstens gelesen habe 🙂
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freut mich und wndert mich dann nicht wirklich 😉 – hach die Namen der Birnen: die gute Luise, neben der Helene u.s.w. … ich finde Birnbäume haben oft eine weibliche Gestalt, hast du das auch schonmal gesehen?
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