Fragment 05

Nenn mich Nairobi

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Nenn mich Nairobi, wird sie ihm sagen. Anna und Tom waren einmal. Sie wird das tiefe Braun seiner Augen zu ergründen suchen. Ein See hat einen Grund und ein Ufer, selbst wenn er achthundert Meter tief ist. Grundlos erscheint das Meer, es zerklüftet seine Ränder. Sein Ufer ist eine Umarmung. Neugierde treibt sie. Bunte Punkte, Trennungslinien wie Horizonte, zu weit, um sie zu erreichen. Ihre Träume brauchen kein Versprechen und keinen Ausgang. Bald schon wird Schnee fallen, ihre Asche im Wind.

Der See ist ein Versprechen. Sie ist kein Segelschiffchen mehr. Noch immer faltet sie Boote aus Papier und Stanniol. Manche bringen Glück, andere saufen sofort ab – in jedem noch so kleinem Bach.

Du, sagt sie, geht auch, wenn Nairobi zu fremd erscheint.

Er streicht mit dem Finger über die Weltenkarte ihres Gesichts. Er flüstert Namen. Sie verbietet sich seine Mutter. Seine Hände in ihrem Schoß. Sie weiß nicht. Sie gibt sich hin. Sie nennt ihn nicht, sie setzt einen Punkt. Fragezeichen gibt es jederzeit genug. Er folgt ihren Flüssen und Inseln. Sein Flüstern erstirbt. Sie sind jetzt Atem und Welt.

Sie haben sich die Nacht genommen. Und den Tag. Und die Nacht. Ihre Berge, seine Täler, ihr Fluss, sein See, ihre Blüten, sein Baum, ihr Vogel, sein Kern. Die Zeit hat sich hinter blickdichtem Samt verborgen. Kein Geräusch.

Er hat sie nicht Nairobi genannt, sie ihn nicht Tom. Sein Himmel, ihre Erde, seine Sonne, ihr Mond, seine Berge, ihr Meer. Sie hat keine Angst. Sie haben sich nichts versprochen. Namenlos liegen sie im Sand. Seine Zunge, ihre Fingerspitzen, zwei Kontinente, blau und grün, rot und gelb, kein Grau, kein Braun. Ihre Augen sind jetzt geschlossen. Ein Boot liegt am Ufer.

Tom rudert über den See. Ein kühler Fluss fließt durch ihn hindurch. Nenn mich Nairobi. Die alte Fährfrau singt für ihn. So geht nichts verloren.


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52 Gedanken zu „Fragment 05

    • Es ist ja auch ein Fließtext 🙂
      Daraus nehme ich die Fragmente und schaue mal wie es sich zusammen fügen wird.
      Danke, liebe Ule, für den Sommernachtundtagtraum.
      Liebe Grüße
      Ulli

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  1. Wow , Ulli! Das ist wunderbar, tief, anregend und lebens-und liebevoll!
    Es erinnert mich an deine Blaue Frau! Wie oft habe ich mich gefragt, ob mal wieder so etwas kommt, das mich derart in den Bann zieht wie sie. Hier ist es!!!! Gratuliere ! Liebe Grüße, Petra

    Gefällt 1 Person

    • Wow, vielen herzlichen Dank, liebe Petra.
      Ich hoffe ja sehr, dass es hier jetzt auch weitergeht! Der Schreibefluss ist ein eigenwilliger, wenigstens meiner 🙂
      Liebe Grüße
      Ulli

      • Dear Sally, now I took time to read the English translation. Well, there are mistakes inbetween, for me it is important, because of the meaning. It is a bit sad, but I do not have the time to translate by myself. But, a little consolation beside, it is not too bad 😉
        Nice to read your compliment, anyway.
        All the best,
        Ulli

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    • Thank you so much for your sweet comment. As well feel heartly welcomed in my Café.
      Unfortunally the translation of my textes are not right in all points, so they become a little differently meaning and taste. But the mean points are okay, so enjoy, whenever you want.
      All the best,
      Ulli

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  2. Was für ein feines, sehr tiefsinniges Fragment, liebe Ulli, bei dem ich überlege, wie es wohl weitergehen mag.
    Hans Henny Jahnn hatte ich auch noch nie gehört. Du bist also nicht alleine mit dem Nichtkennen *g*
    Liene Grüße in die Nacht von mir

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