Weiß

Weiß und weiß nicht

Vor zwei Tagen erzählten mir ein Freund aus dem Südschwarzwald und eine Freundin aus Oberbayern Geschichten vom Schnee, während ich den ‚Nickenden Milchstern‘ entdeckte. Weiß sind beide – Schnee und Milchstern.

Und von jeher weiß der April nicht, was er will. Erst war er viel zu warm, nun ist er wieder frisch und kühl bis frostig. Also, alles in Ordnung? Nein. Denn fahre ich übers Land, dann kann ich nun singen: Der April ist gekommen, die Bäume schlagen aus. Der Flieder, der Weißdorn, die Apfelbäume blühen und viele Blumen in meinem Garten sind schon verblüht oder wurden viel zu groß, sodass sie bei den kräftigen Windstößen, die hier dann und wann mal über das Land fegen, abknickten.

Schön ist, dass es heuer sehr viel Schmetterlinge und auch Marienkäfer gibt als in den letzten zwei Jahren. Natürlich auch sehr viel mehr Nacktschnecken und das freut die Gärtnerin in mir nun einmal so gar nicht. Freude und Unmut, oder wie die Tante immer mal wieder zu mir sagte: lachen und weinen in einem Sack.

Wohin das alles führen wird weiß mensch nicht, auch nicht die Klimaforscher=innen. Sie wissen nur, dass alles sehr viel schneller geht als angenommen und prognostiziert. Weiße Korallenbänke heißt sterbende Korallenbänke.

Und die Menschen fliegen weiterhin mindestens einmal im Jahr in die Ferien, buchen Weltreisen auf Kreuzfahrtschiffen und die Politker=innen zocken hoch.

Es scheint, dass alle Aufklärung, alle Nachrichten dieser Welt nichts bewirken. Im Gegenteil, die Menschen, die von Lügenpresse sprechen vermehren sich, Verschwörungstheorien, Frauenhass, Rassismus, Sexismus, Populismus, religiöser Fanatismus wuchern.

Es gibt Tage an denen mich all das in den Keller zieht, andere an denen mein Kampfgeist stärker ist. Ob mein kleiner Beitrag hier oder für die Gesellschaft etwas bewirken kann weiß ich nicht. Aber ihr, die ihr mich schon länger kennt, wisst: I’ll never give up!

Und die Freude bleibt auch meine Freundin. All dieses Blühen zum Beispiel, freut mich. Trotzdem. Dass ich letzten Samstag spontan auf eine Party mitgegangen bin und über eine Stunde am Stück getanzt habe, das freut mich auch. Dass ich doch so langsam aber sicher heimisch im Wendland geworden bin, dass sich Menschen freuen mich zu sehen, wenn ich irgendwo spontan auftauche, auch.

So nähre ich weiterhin den weißen Wolf in meiner Brust und bleibe zuversichtlich.

Flüstern

Ein Wiedersehen mit dem Halbnorweger aus längst verflossener Zeit. Unerwartet, vielleicht ersehnt, früher ja. In diesen Tagen hat sie schon lange nicht mehr an ihn gedacht.

Jetzt liegen sie sich in den Armen. Kein Blatt Papier passt mehr zwischen ihre Körper. Sie halten sich. Sanft und wortlos, eine lange Zeit. Sie beginnen miteinander zu flüstern. Jedes laute Wort würde ihre Körper voneinander wegtreiben. Das ahnen sie. Das wollen sie nicht. Er nicht und sie schon gar nicht.

Sie hat oft an ihn gedacht, in der zerrinnenden Zeit. Sie hat sich gefragt und war dankbar. Immer. Er hat ihr die Tür geöffnet. Damals, als sie noch klein gewesen ist. Er hatte sie an die Hand genommen. Sie lernte das Staunen. Die Welt der neuen Künste machte ihre Welt groß. Unendlich wie das Meer und ebenso tief. Sie ist dankbar, immer, er hat ihre Welt reich gemacht.

Ihre Leben drifteten auseinander. Bis heute, bis zu diesem Augenblick, in dem sie sich umarmen. In dem sie erst einmal schweigen, dann flüstern. Es war nicht leicht mich in meinem Leben neu einzurichten, nach den Jahrzehnten der Zweisamkeit, flüstert er. Sie nickt an seiner Brust. Sie flüstert, ich weiß, wovon du sprichst.

Sie lassen sich nicht los, sinken miteinander auf irgendein Bett, unter irgendeine Decke. Zärtlich streichen ihre Finger über seine. Immer wieder. Sanft hält er sie, streicht mit seinen Fingern über ihre.

Manchmal muss sie ihren Kopf leicht anheben. Sie liest die verflossende Zeit in seinem Gesicht; erkundet seine Falten, die traurigen, die fröhlichen, die Lebenseinschläge. Ewig möchten sie so liegen, möchten miteinander flüstern, sich sanft halten, das leise, zärtliche Miteinander halten.

Es kommt jemand dazwischen. Immer kommt Jemand. Sie driften erneut auseinander.

Es war einmal, flüstert sie. Behutsam nimmt sie den gerade vergangenen Augenblick zwischen ihre zärtlichen Hände und geht mit ihm zu der Wurzel des uralten Baums. Zwischen den Maiglöckchen leuchtet die rote Lackschachtel, hier hinein legt sie diesen Moment.

Sie möchte ihm schreiben, ihn anrufen, möchte flüstern, ich habe von dir geträumt. Und weil es ein schöner Traum gewesen ist, möchte ich dir etwas schenken. Etwas Kleines, etwas Liebes, etwas Leises – für deine Schatzkiste. Dann hätte sich der Kreis geschlossen. Nichts bliebe am Ende offen. So ließe es sich ohne Bedauern sterben.

Momente des Glücks 04

Ich stand auf der obersten Sprosse des Glücks, und mit den obersten Sprossen des Glücks hat es eine merkwürdige Bewandtnis. Sie lassen einem zu wenig Spielraum. Man verbeißt sich geradezu ins Glück und ist strengendstens darauf bedacht, es in seiner gesamten Fülle zu halten. Man weiß, dass es nicht höher hinaufgeht, aber man weiß sehr wohl, dass es einen Abstieg gibt. Außerdem weiß man, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, dass es keinen Dauerzustand gibt. Dieses Wissen macht unruhig, mitunter sogar ängstlich. Das Glück wird zu einem Trapezakt, und ein Trapezakt erfordert höchste Konzentration. Da sind ein Paar Hände, die einen im leeren Raum auffangen und halten, und auf die muss man sich konzentrieren. Alles andere ist auszuschalten – jeder unberechtigte Gedanke, jede von außen oder innen kommende Irritation, jede sich anschleichende Vorahnung, jedes Wort, das aus dem Zuschauerraum zu einem heraufdringt, jedes tanzende Licht, das den Blick abzulenken versucht. Kurzum, man muss sich verkapseln, auf sein Können verlassen und an den Erfolg glauben, hundertprozentig.

Aber ein Trapezakt dauert immerhin nur ein paar Minuten. Dann ist er überstanden, und man kann sich entspannen. Während ein Zustand höchsten Glücks ja gar nicht überstanden werden darf. An eine Entspannung ist demnach nicht zu denken. Man muss auf der Hut sein und darf nicht locker lassen, vom Moment des Erwachens an bis zum Moment des Einschlafens. Auf diese Weise wird das Glück zu einer tagesfüllenden, anstrengenden Beschäftigung.

(…) Glück ist ein ständiges Auf und Nieder und daher ein ebenso unvollkommener Zustand wie jeder andere. (…) Dass mein Glück dieser traumtänzerischen Auffassung nicht standhalten konnte, dass es mit mir zusammen auf der obersten Sprosse zu erstarren drohte, das merkte ich nicht.

Angelika Schrobsdorff – Der Geliebte – Seite 255 in der Taschenbuchausgabe des dtv



Diese Passage sprang mir entgegen, als ich vor ein paar Wochen das wunderbare Buch von Angelika Schrobsdorff gelesen habe. Ein Hoch auf die öffentlichen Bücherschränke und ihre verborgenen Schätze! Ja, manchmal muss ich ein bisschen wühlen, um fündig zu werden. So, wie ich manchmal nach dem Glück Ausschau halte, das sich dann aber nicht adhoc zeigt, so, wie es sich nicht festhalten lässt, wenn es erscheint. Das Glück ist noch nicht einmal das tragende Netz unter dem Trapez, es ist eine Erinnerung, ein kurzer Moment in all dem Auf und Ab des Seins. ‚Der Geliebte‘ war und ist ein Glücksfund und gehört nun zu den Büchern, die ich nicht, nun gelesen, wieder zurück in den öffentlichen Bücherschrank stellen werde.



Wenn auch du einen Moment des Glücks oder deine Gedanken zum Glück teilen möchtest, dann verlinke doch deins mit diesem Beitrag im Kommentarstrang. Am Ende des Monats veröffentliche ich alle bis dahin gesammelten Momente des Glücks.

Willkommen!



Die Zusammenfassung vom März kann ich erst jetzt mit euch teilen, da das Ende des Monats auf Ostern fiel.

Im März beteiligte sich Brigwords – herzlichen Dank dafür

Momente des Glücks/Abschied

Zwar hatte Myriade gar nicht im Sinn diesen Beitrag meinem Projekt zuzuordnen, aber wir haben uns darauf geeinigt, dass er wunderbar hierzu passt. Nochmals meinen herzlichen Dank dafür!

Sind nicht Zufriedenheit und Entspannung Grundlagen für die Momente des Glücks? Mehr könnt ihr hier lesen -> https://laparoleaetedonneealhomme.wordpress.com/2024/03/30/freitag-29-marz-2024-richtig-blau/

Meinen dritten Beitrag findest du hier ->https://cafeweltenall.wordpress.com/2024/03/15/momente-des-gluecks-03/