Unerwartet

Ob ich lese, rieche, sehe, träume, gehe, sinniere, lausche, spüre oder rede, plötzlich sind sie da, die Erinnerungen. Das innere Labyrinth öffnet seine Pforten. Oftmals unerwartet, durchaus auch manchmal unerwünscht.

Das Damals im Heute, das Bedauern, die erfüllten und unerfüllten Wünsche, die Weggabelungen, die sich verändernden Perspektiven und Sichtweisen im Lauf eines Lebens.

Gemeinsame Wege kamen an Weggabelungen, die Eine ging links, der Andere rechts, bis sie sich verloren hatten. Alle Wege dürfen gewürdigt werden, alle Weggabelungen verstanden und akzeptiert. Leicht ist das nicht!

Wie ich von hier nach da fahre, singt es in mir, wie schon öfter in der letzten Zeit: It’s the end of the world as we know it …

1987 – von REM in die Welt gebracht – hörte ich es damals immer wieder, ohne zu erahnen, dass diese Welt einmal an ein Ende kommen könnte, das alles andere als ein Wohlgefühl auslösen würde.

Auch Resilienz will geübt und verankert werden. Ich bin dünnhäutiger geworden.

Jetzt sind viele Rehe auf den Wiesen zu sehen; auch ich scheue bei manchen Menschen zurück und suche flink das Weite.

Kraniche begleiten meine Alletage; ein immer wiederkehrendes Glück. Das nutzt sich nicht ab. Die ersten Störche sind zurück und dann diese zwei unerwarteten Begegnungen in der Nacht, auf dem Weg von dort nach hier: ein Nutria – wie schnell die sind; ein Waschbär – wie klein die sind!

Das unaufgeregte, und mancherorts auch schwere Land, wartet mit Unerwartetem auf. Das mag ich! Ich bin nicht für das Verharren in Erinnerungen geschaffen. Die Nomadin zieht ins Frühlingsland. Noch haben sich die Füße nicht eingelaufen, noch sind die Schritte winterschwer, noch sitzt die Henne auf ihrem Ei.

 

Fragment 07

Das Rad dreht die Spirale wieder nach Innen, an den Ort, wo Etwas die Worte des trägen Sommers gesammelt hat. Leichte Herbstbrisen treiben sie langsam an die Oberfläche. Ihre Ohren neigen sich ihnen zu. Weiter wandert sie auf der hauchdünnen Linie zwischen Sein und nicht, schon lange nicht mehr Anna, Nairobi ein Versuch für Kommendes. Der große, kühle Fluss, nicht mehr nur Bruder. Er werden, in all seiner Gelassenheit an seiner weitesten Stelle, wo er See scheint und Fluss ist. Dort, wo die Schneeberge im Westen stehen und Bärin ihre Höhle hat. Die Linie verbreitern für den sicheren Schritt zwischen Sein und nicht und Allem, was möglich scheint, wenigstens für einen Atemzug.

Er hat alle Namen verloren, seine und ihre.

Sie hat Keinen vergessen. Punkt Null. Jede Bewegung ist möglich, absteigend, aufsteigend, geradeaus, diagonal, wellenförmig, im Kreis, in der Spirale. Sie geht das Labyrinth. Sie verbeugt sich. Form ist leer. Leerheit ist Form. Vom Herz in den Kopf und zurück.

Ein ganzes Leben eine Zentrierung, die drehende Scheibe, die formenden Hände, ein Tanz. Sie macht eine Bewegung. Vollendete Kreise, die sich nicht schließen, noch nicht. Sie folgt ihrem Schritt. Anna ruht wohl geborgen, Nairobi tanzt Japan. Choreographie und Kalligraphie.

Sie wird wieder Steine sammeln. Sie wird ihnen Namen geben, Gesichter werden erscheinen. Ahnengesichter, Freundinnengesichter, Freundegesichter, dazwischen Liebhaber- und Gefährtengesichter, Enkel- und Kindergesichter. In solch einem Kreis lässt es sich gut sitzen! Lauschen, leise Sätze sagen, Dankbarkeitssätze, Verzeihungssätze, Liebesworte, Wertschätzungssätze – kein böses Wort, keine Schuld und keine Angst. Etwas wird überleben. Das hat es immer getan, darin liegen alle Samen.


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