Geplant war Ewigkeit – Geschichten vom räudigen Leben

Dem Leben und den Menschen auf’s Maul geschaut – eine Rezension

Geschichten von Andreas Glumm lesen heißt, Jemanden zu lesen,

der mit großen Notizbuchaugen die Welt und seine Bewohner begeistert betrachtet, zuhört und seinen Spaß hat“

S. 359

sagt „Die Gräfin“ oder sagt Glumm, dass es die Gräfin gesagt hat, wer weiß das schon so genau.

Schon lange paaren sich bei mir Erinnerungen, Spaß und Nachdenklichkeit, wenn ich Glumm lese. Zunächst waren es die Geschichten auf seinem Blog 500Beine, später dann auf seinem Blog Glumm – Locker machen für die Hölle https://glumm.wordpress.com/. Jetzt endlich sind einige Geschichten in einem Buch gebündelt – das wurde aber auch Zeit, möchte ich augenzwinkernd sagen.

Glumm hat eine spezielle Art Menschen und Situationen zu beschreiben: ehrlich und schnörkellos beschreibt der Autor, wie er was und wen wahrgenommen hat. Wie und was er selbst gefühlt hat, als zum Beispiel erst die Mutter, dann der Vater gestorben sind, als er dem Tod mal eben von der Schippe gesprungen ist oder die Heroinsucht ihn fest im Griff hatte. Das muss man sich ja erst einmal trauen!

Oliver Driesen schreibt in dem Vorwort zum Buch:

Was liest man da also? Wenn man wie ich schon etwa ein Jahrzehnt dabei ist, dann hat man sich unrettbar in einer Welt festgelesen, die anfangs fremd und doch irgendwann erschreckend vertraut erscheint. In ein runtergerocktes Kleinstadt-Universum voller Typen, die Heinrich Zille in einem Berliner Kiez des Jahres 1900 porträtiert oder vielleicht noch Kurt Tucholsky ebendort 1930 belauscht hätte.

Die Lesenden lernen auch die Frau an Glumms Seite kennen, „Die Gräfin“, wie er sie nennt; mit bürgerlichem Namen „Susanne Eggert“. Die Zeichnung auf dem Buchcover stammt aus ihrer Feder, weitere Zeichnungen finden sich im Buch.

Glumm schaut der Gräfin oft auf den Mund, immer wieder streut er Zitate von ihr in seine Geschichten.

Beim Lesen nehme ich oft ein leichtes Augenzwinkern wahr, an manchen Stellen muss ich lauthals lachen, an anderen wächst ein Kloß im Hals. Das nackte Leben ist eben nicht nur locker und flockig und schon gar nicht, wenn Einer Glumm heißt, ein Suchender geblieben ist und von sich selbst schreibt:

Ich bin Ende fünfzig, aber im Herzen immer noch zehn. Da fehlen allerhand Jahre. Wo sind die alle hin? Wer hat die mitgenommen? Hat die jemand abgeholt und ins eigene Leben eingebaut? Ob derjenige damit durchkommt? Ach soll er doch damit machen, was er will.“

S. 358

– oder –

Ich studiere mein Leben lang Gesichter. Ich bin ein ewiger Gesichtsstudent. Das Gesicht, mit dem man draußen in der Gesellschaft herumläuft und altert, ist ein anderes als das, welches man in sich trägt, das bleibt länger jung. Das hält bis zuletzt.

S. 356-357

Es ist die Mischung, die das Buch von Glumm lesenswert macht. Vielleicht nicht für Jede und Jeden, denn Vorsicht, hier geht es nicht um die schöne, heile Welt, hier geht es um Leben pur, um die Straße, das Kneipenleben, kleine Abenteuer und coole Aktionen, die vielleicht nicht für Jede und Jeden so cool sind. Hier geht es darum, dass Einer dem Leben und den Menschen auf’s Maul geschaut hat und auch um die Liebe, die Liebe zu diesem Leben, mit all seinen Widersprüchen, all seinen Absurditäten, all seinen Höhen und Tiefen.

Für mich als „Bahndamm-Kellerkind“ ist Vieles vertraut und auch der eine und andere Kumpel ist mir nicht fremd. Nie 1:1, aber so ungefähr. Ich denke an meine eigenen wilden Jahre, die durchgemachten Nächte, die Räusche, den Spaß, der manchmal ein jähes Ende fand, denen ein verkaterter Morgen folgte. Glumm erinnert mich an einige meiner Freunde, von denen manche nicht mehr leben und auch an meinen besten Freund, an seine jungen Jahre und seinen Weg. Und genau diesem werde ich in den nächsten Tagen das Buch in die Hand drücken, weil ich weiß, dass es ihm gefallen, auch er seinen Spaß, seinen Kloß im Hals haben, und sich erinnern wird.

Es ist nie selbig, es ist immer ein kleines bisschen anders und dann eben doch nicht.


Eine weitere Rezension:

Vom Zauber, Glumm zu lektorieren


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Gegen acht im Park

Eine Rezension

Wer mir schon länger folgt, die/der weiß, dass mir Rezensionen nicht wirklich liegen, wenigstens nicht im klassischen Sinne. Darum kann es immer nur ein Versuch sein, wenn ich ein Buch oder einen Gedichtband besprechen möchte.

„Gegen acht im Park“ ist ein Lyrikband von Ursula Maria Wartmann. Sie hat mir freundlicher Weise ein Leseexemplar zugeschickt.

Ihre Gedichte lassen mich an Rock’n Roll, manchmal auch an Punk denken. Der Wortrhythmus ist meist schnell, die Themen sind die, die manche gerne auslassen; solche, die das Leben lieber verromantisieren, dem Leiden in der Welt rosa Tülltücher überhängen, die aussparen, was weh tut. Wartmann macht das nicht. Sie benennt das, was schmerzt, heute schmerzt. Sie geht nicht am menschlichen Leid vorbei, nicht an der Verwüstung der Natur, nicht an der Unbill unserer Zeit.

Sie klagt nicht, sie klagt nicht an, sie benennt. In ihrem schnellen Rhythmus schreibt sie über das, was nicht stimmt in unserer Welt. Ja, das tut manchmal weh; so, wie Nachrichten weh tun, so, wie mancher Gang durch große Städte weh tut, wie Kriege und deren Folgen, wie Ungerechtigkeiten, Egoismus, Verhärtungen Diejenigen schmerzen, die sich eine andere Welt wünschen. Wartmann weiß die Worte zu setzen. Hinter dem Schmerz steht die Freude, die Liebe, das Kleine, Leise, Zarte, all das finde ich auch und nicht nur zwischen den Zeilen.

Ein Gedichtband, den ich euch gerne ans Herz legen möchte. Ich hoffe auf mehr aus Wartmanns Feder.

Hier ein Lesebeispiel, eins vom Glück (vielleicht weil Adventzeit ist) –

Natürlich ist es Glück

Natürlich ist es Glück. Im Haar

der Kranz aus blauen Blumen den

heiterste Nachtträume webten

von Norden das Summen der

Kirchenglocken gegen Fensterglas.

Im Hof unten knospen die

Christrosen unterm Laub. Aus

dem Himmel fällt Winterwärme

fällt ins Haar auf die Schläfen erfüllt

das Erwachen mit Kosen

mit Kitzeln. Mit Licht.


„Ursula Maria Wartmann, geb. 1953 in Oberhausen, lebt nach langen Jahren in Aachen, Marburg und Hamburg in Dortmund. Die studierte Soziologin und gelernte Redakteurin wandert zwischen den Welten und Genres: zwischen Roman und Reportage, zwischen Essay, Erzählungen und Lyrik. Sie wurde für ihr Journalistisches Werk mehrfach ausgezeichnet. Zuletzt erschienen in der eof ihre gesammelten Erzählungen >Der Bourbon des Grafikers< (2019).“

(aus dem Buch)

Das Coverbild und die vier Illustrationen in SW im Buch aus: Willem Pietersz. Buytewech, „Verscheyden Landtschapjes“ (ca.1616/17)

BoD – Book on Demand, Norderstedt – ISBN 9783750459960  – © edition offenes feld, Dortmund 2020


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Der Apfelbaum

Eine Buchempfehlung

Der Apfelbaum von Christian Berkel

Irgendwann muss es doch mal gut sein! Kann es je einmal gut sein, wenn es um die Greueltaten der Menschen gegen Mitmenschen geht? Ich finde nicht. Christian Berkel findet das auch nicht. Seine Frage ist auch meine Frage, seine Antwort ist meine Antwort und sein Apfelbaum ist auch mein Apfelbaum und dann doch vielleicht eine andere Sorte.

Christian Berkel ist hierzulande mehr als Schauspieler, denn als Schriftsteller bekannt. Manche haben mehrere Talente. Christian Berkel kann schauspielern und er kann schreiben. In seinem Buch „Der Apfelbaum“ beweist er es mit fein gedrechselten Sätzen und tiefen Erkenntnissen.

Der Plot ist Berkels Spurensuche nach seiner Familiengeschichte, seinen Ahnen und ihrem Sein. In seinen Vor- und Zurückblenden schafft er einen Spannungsbogen von den Ahnen zu seinem jetzigen Sein. Das ist nicht nur einfach eine klassische Familiensaga, es ist mehr. Mehr deswegen, weil es um die Traumen von Kriegs- und Nachkriegsgeborenen geht und wie mensch sich als Nachgeborener in diesem Dschungel der Widersprüchlichkeiten zurecht findet.

Meine Mutter erzählte ihre Geschichten auch immer wieder anders. Was konnte ich ihr glauben? Was war Wahrheit, was war Übertünchung? Nie kannte ich mich wirklich aus und mein Bruder auch nicht. Genau das schildert auch Christian Berkel. Wie war ich erstaunt! Zum ersten Mal las ich darüber. Zum ersten Mal deckte sich diese Wahrnehmung mit der eines anderen.

Berkel machte sich auf den Weg. Er ist weit gekommen, viel weiter als ich je kam. Seine Familiengeschichte ist nicht vergleichbar mit meiner, und dann eben doch wieder. Was haben unsere Eltern verdrängt, was geschönt, was schob sich zwischen die nackten Erinnerungen und ihrem Sein? Fragen, die niemand beantworten kann, die im Raum stehen bleiben, über den Tod hinaus. Was haben sie verschwiegen und warum? Kann ich als Nachgeborene ihre Qualen begreifen oder nur erahnen? Was weiß ich von Lagern, von Flucht, von Gefangenschaft, von Hunger und Durst?

Fremdsein im eigenen Land, plötzlich zu den Unerwünschten und den Verfolgten zu gehören, das vereint auf anderer Ebene. Das lässt Mitgefühl für Schicksale entstehen. Das lässt mich und auch Berkel sagen: „Es kann nicht gut sein. Vergebung vielleicht, aber kein Vergessen, solange ich lebe.“

„Vergebung ist der einzige Weg, um den irreversiblen Fluss der Geschichte umzukehren.“ Hannah Arendt

Mich haben viele Zeilen und Abschnitte in diesem Buch tief berüht, letztlich die ganze Geschichte. Denen unter euch, die wie ich finden, dass es noch immer nicht gut sein darf, der/dem möchte ich dieses Buch ans Herz legen und dieses Mal ganz ohne Zitate.

Nur einen kleinen Makel habe ich zu benennen: ich hätte gerne mehr über den Werdegang von Berkels Schwester Ada erfahren.

(Wie ich gerade gesehen habe, ist nun ein Buch von Berkel mit dem Titel „Ada“ erschienen. -M-)

Christian Berkel – Der Apfelbaum – ullstein Verlag ISBN 978-3-548-06086-6


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Love is an angel

-Es ist nicht so leicht, über nichts zu schreiben. Genau das sagte ein Cowboy, als ich das Bild eines Traumes betrat. (S. 9)

patti-smithSo beginnt das Buch von Patti Smith M Train, das mich nicht mehr loslässt. Nein, es ist nicht einfach über nichts zu schreiben und doch macht Patti Smith genau das. Sie schreibt auf 329 Seiten über nichts und alles ist da. Ich lese tiefe Menschlichkeit in den Facetten von lebensfroh, kreativ, zu melancholisch, traurig, zu nichts. Zu Fred (ihrem Mann), der starb. Zu früh. Zu den verloren gegangenen Dingen, zu den gehorteten Erinnerungsstücken: Bücher, Fotografien, Steine, Dinge in Regalen und Schachteln. Cafés von denen sie träumt, in denen sie sitzt und auf Servietten schreibt. Cafés, die sind, die schließen, sich wandeln oder von einem Hurrikan ins Meer gespült werden.

-Ich grüße dich, Rynuosuke, ich grüße dich, Osamu, sagte ich und trank meine Schale leer.

Verschwende deine Zeit nicht mit uns, scheinen sie zu sagen, wir sind nur Penner.

Ich füllte die kleine Schale auf und trank.

Alle Schriftsteller sind Penner, murmelte ich. Vielleicht zählt man mich eines Tages auch zu euch. (S. 251)

Vielleicht sind alle Schriftsteller Penner, weil sie unter Uhren ohne Zeiger sitzen, trinken, essen, palavern, bis die erste Amsel singt. Morgengold, Schlafenszeit.*

Ich denke daran, dass ich im Frühling wieder Blumen säen werde. Dass ich für meine Reisen weiterhin Listen schreiben und verlegen, und immer noch zu viel dabei haben werde. Reisen, wandern, über Friedhöfe gehen, sitzen, schauen, reden, schreiben, essen, arbeiten, Holz machen, schlafen, lieben, ich werde alles tun und nichts erreichen. Ich werde kein Ziel haben und dennoch ankommen.

Eine Mütze sollte man haben oder eine Kapuze, einen Mantel, einen Schal, eine Ecke zum schreiben, Wege für die Erfahrungen, Orte für die Erinnerungen, Verbündete, Verwandte, WegbegleiterInnen.

Ein Lied lässt sich finden, zwischen Rhythmus und Nichts.

Mein Mantel war fort. (…) Ich suchte ihn überall vergeblich und hoffe, er wird wieder auftauchen, wie von plötzlichem Licht erhellte Staubpartikel. Dann denke ich, beschämt über meine kindliche Trauer, an Bruno Schulz, der gefangen in einem jüdischen Getto in Polen heimlich das einzig Kostbare übergab, dass er der Menschheit noch vermachen konnte: sein Manuskript Der Messias. Die letzten Worte von Bruno Schulz, verloren im Chaos der letzten Tage des Zweiten Weltkriegs. Verlorene Dinge. Sie krallen sich in die Membranen und versuchen unsere Aufmerksamkeit mit einem unentzifferbarem Notruf zu wecken. Worte taumeln in hilfloser Unordnung. Die Totensprache. (S. 211)

Patti Smith also- ihr Blues, ihre Sinfonie, kaum, dass ich mich an ihre Musik erinnere, kaum, dass ich sie wiederhöre, ist alles wieder da. Alles. Die ganze Zeit.

Ich erinnere mich, jemand hatte erzählt, Patti Smith hätte ihren Sohn (und Mann) verlassen, weil sie keine Mutter sein konnte, weil sie in Cafés sitzen wollte, weil sie schreiben, und ihrer Musik folgen wollte. 1979 war das. Im Oktober kam mein Sohn zur Welt und ich, ich fühlte mich so unfähig, ich wusste nichts übers Muttersein. Ich wusste nur etwas darüber wie ich nicht Mutter sein wollte. Nach vier Wochen packte ich einen großen Rucksack. Ich wollte nach Berlin, ich wollte wieder in Cafés sitzen und schreiben, ich wollte wieder Theater spielen, weil ich nicht Mutter sein konnte, weil Patti Smith das auch getan hatte.

Ich packte den Rucksack wieder aus und schwor meinem Sohn mein Bestes zu geben und blieb. Auch Patti Smith hat ihren Sohn nie verlassen. Eine Mär. Erzählt von wem? Ich erinnere mich nicht mehr!

love-is-an-angel

Berlin kam später und noch später bekam ich eine nigelnagelneue Spiegelreflexkamera von meinen Freundinnen und Freunden geschenkt. Mein erster Weg führte mich zum Dorotheenstädtischen Friedhof nach Berlin Mitte. Dort wollte ich Brechts Grab besuchen, das ich fand und nicht fotografierte, aber einen Engel.

„Ich fragte mich, ob Brecht wohl geweint hatte, als er das Herz der Mutter brach, die nicht so herzlos war, wie sie uns glauben machen wollte. (…) Meine Mutter war real und ihr Sohn war real. Als er starb, begrub sie ihn. Jetzt ist sie tot. Mutter Courage und ihre Kinder, meine Mutter und ihr Sohn. Nun sind sie Stoff für Geschichten.“ (S. 76)

Als ob Fäden zueinander hinkommen und Knoten bilden. Mütter und Söhne, Friedhöfe und Engel, Mutter Courage und Brecht, Patti Smith und ich. „Love is an angel“, singt sie in einem ihrer Lieder, ich nicke.

„Ich persönlich halte nicht viel von Symbolismus. Ich verstehe ihn nicht. Warum können Dinge nicht so sein, wie sie sind? Mir kam nie in den Sinn, Seymour Glass zu analysieren oder Desolation Row aufzuschlüsseln. Ich wollte mich nur verlieren, mit etwas anderem eins werden, einen Kranz auf einen Turm stülpen aus dem einzigen Grund, weil ich es wollte.“ (S. 79)

So vieles begegnet mir ihn ihrem Buch, das ich teile, dies ist kein Buch, das ich lese und ins Regal zum Verstauben stelle, dies ist ein Buch, das mich nicht mehr loslässt und mich dazu animierte Geschichten zum Nichts zu schreiben. Drei sind es bislang geworden, sie werden hier folgen, eine nach der anderen … noch haben mich weder Buch, noch Nichts oder verloren gegangene Dinge losgelassen…

Anmerkungen

* Patti Smith erzählt von einem Café in dem sie, zusammen mit ihrem Mann und FreundInnen gesessen und bis zu manchem Morgengold palavert hatten, an der Wand hing eine Uhr ohne Zeiger.

Das Bild vom Dorotheenstädtischen Friedhof habe ich aus dem Buch M Train abfotografiert © Patti Smith

 

Er liest etwas, das ich nicht kenne

Premiere, 2. Teil

Ab heute wird in unregelmässigen Abständen belmonte bei mir „sprechen“. Manche von euch kennen vielleicht seinen Blog vnicornis →  wenn nicht, schaut doch einmal rein.

Die Idee dahinter ist mehr Austausch und Vernetzung. Es war seine Idee, die ich gerne aufgegriffen habe. Ich freue mich sehr auf dieses Neu und sage auch hier:

Herzlichen Dank, belmonte, für deine Inspiration und deine Rezension.

Wie er mir, so ich ihm … ab und an werde ich, sozusagen im Austausch, auf „vnicornis“ Bücher besprechen, die ich schätze (wie bereits geschehen, siehe Premiere 1. Teil →).

Ausserdem denken wir über den Austausch von Texten nach. Ich bin gespannt, wie sich diese Idee entwickelt und wie ihr sie aufnehmt und ob vielleicht noch jemand Lust hat, sich uns anzuschliessen?! Gerne erinnere ich in diesem Zusammenhang auch an den Blog The story of your Alltag den ich am 17.12. vorstellte →

Als ich das erste Mal belmontes Rezension gelesen hatte, fragte ich mich, ob ich dieses Buch lesen wollen würde. Mir fiel ein anderes Buch ein, das ich im Herbst las: „Die Sisters Brothers“ von Patrick de Witt und dann wusste ich: Ja, auch ich will „Das Dickicht“ von Joe R. Lansdale lesen.

Das macht die Spannung aus: Er liest etwas, das ich nicht kenne.

„Ich bin nicht mehr so unschuldig, wie ich mal war.“ – „Wer ist das schon?“ –

Joe R. Lansdale: Das Dickicht (Rezension von belmonte)

belmonte

Kurz nachdem die Eltern des jugendlichen Jack Parker von den Pocken dahingerafft wurden, erschießt Cut Throat Bill mit seiner Bande von Gesetzlosen Jacks Großvater und entführt seine Schwester Lula. Kurzerhand heuert Jack eine Gruppe von Kopfgeldjägern an, um seine Schwester zu befreien. Was dann kommt, ist ein klassischer Verfolge-die-Schurken-Western (vergleichbar True Grit), der wie viele andere Romane Lansdales in Südost-Texas spielt, zeitlich angesetzt in den 1920er-Jahren. Ein paar Automobile fahren bereits durch die Gegend.

Bei den Kopfgeldjägern handelt es sich um eine illustre Gesellschaft: Da ist der schwarze Hüne Eustace mit seiner wuchtigen Schrotflinte und einem hitzigen Wildschwein an der Seite, neben ihm der kleinwüchsige Shorty, ein kluger Kopf, ebenso sternkundig wie ungläubig, dessen feinsinnige Moral von Brutalität und Potenz umhüllt wird. Auf dem Weg über ein Bordell, in dem Jack ohne langes Zögern seine Jugend an den Nagel hängt, gesellt sich die Prostituierte Jimmie Sue dazu, gefolgt von Sheriff Winton, dem einst Komantschen das Gesicht entstellten.

Zusammen verfolgen sie den fettleibigen Fatty, der sich von der Gruppe der Outlaws getrennt hat, finden ihn im Bordell und foltern ihn. Fatty kann jedoch entkommen und flüchtet ins Dickicht, ein dichtes Waldgebiet im Südosten von Texas.

Das Buch ist hemmungslos brutal, Shortys Folter an Fatty nichts für schwache Gemüter. Aber auch Fatty ist nicht ohne, erschießt auf seiner Flucht ins Dickicht alle Personen, die ihm über den Weg laufen.

belmonte aJoe R. Lansdale irgendwo in Ost-Texas / Bild: PKDASD/wikimedia unter CC-by-SA 4.0

Darüber hinaus ist Das Dickicht eine großartige Coming-of-Age-Geschichte. Jack kommt aus einem streng evangelischen Elternhaus. Schnell wird ihm klar, dass die Welt da draußen mit ihrem Dickicht seinen Glauben nachhaltig erschüttern wird. Nachdem er das erste Mal einen Menschen getötet hat, und sei dieser auch ein Verbrecher gewesen, reflektiert er:

„Ich hatte mich von Jesus entfernt und war Satan ein Stück nähergekommen. Im Vergleich dazu waren meine alten Ängste, weil ich mir im Klohäuschen ab und zu einen runterholte, irgendwie nicht mehr so wichtig. Die Vorstellung, dass Gott mir dabei zuschaute, wie ich an meinem Pimmel rumschrubbte, während ich eine Frau in Unterwäsche im Sears-and-Roebuck-Katalog anstarrte, kam einfach nicht gegen das Erlebnis an, auf einen Mann geschossen und dabei zugeschaut zu haben, wie sein Lebenslicht verblasste …“ (213)

Auch die Erkenntnis, dass sogar sein getöteter Großvater bereits Bekanntschaft mit Jimmie Sue hatte, öffnet ihm ein nüchternes Weltbild.

Am Ende werden er und seine Schwester Lula ihre jugendliche Unberührtheit verloren haben. Auf Lulas Bemerkung „Ich bin nicht mehr so unschuldig, wie ich mal war, Jack.“ antwortet Jack: „Wer ist das schon?“ (323)

Der Roman hat es in sich. Er ist schnell und grob, an vielen Stellen aber auch sehr zärtlich. Die Personen, selbst die Outlaws, werden liebevoll gezeichnet und sind mehr als bloße Western-Abziehbilder. Die Schurkenverfolgung verläuft wunderbar episodisch (ähnliche Atmosphäre wie im Film Stand by me), mit einigen fesselnden Seitengeschichten, die Shorty Jack erzählt. Ihre Gespräche sind ohnehin sehr lesenswert, von den sonstigen Dialogen mit viel Spruchwitz und Sarkasmus ganz zu schweigen. Das ebenso chaotische wie famose Finale lässt nichts zu wünschen übrig.

Ich bin gespannt auf den Film, der anscheinend bereits vorbereitet wird. Wie zu lesen ist, spielt Peter Dinklage (bekannt als Tyrion Lannister in Game of Thrones) die Rolle des Shorty.

Joe R. Lansdale: Das Dickicht, Suhrkamp, Berlin 2013. Aus dem Amerikanischen von Hannes Riffel, Tropen, Stuttgart 2014, 330 S.

(c) belmonte 2016

Link zum Datensatz im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek

Interview mit Joe R. Lansdale über The Thicket

Joe R. Lansdale über die Geschichten, die ihn zu seinem Buch inspiriert haben

Rezension zu Joe R. Lansdales Roman Gluthitze

Literatur im Januar

spielen

Drei Bücher habe ich im Januar gelesen, das erste war: Spielen von Karl Ove Knausgård, der mich durch seine Erinnerungen an seine Kindheit in meine trug und mit der Frage zurückliess, ob es eigentlich wirklich etwas zu verbergen gibt? Wie ich schon einmal schrieb, Knausgård benennt, was es zu benennen gilt, ohne Schnörkel und Beschönigungen. Er macht sich nicht zum Helden. Er erzählt von seinen Ängsten und Nöten in Bezug auf seinen Vater, von den schönen Stunden mit der Mutter, seiner Liebe zum grossen Bruder, seinen Freunden, aber eben auch von seinen Problemen mit ihnen.  Kindheit wird bei ihm nicht mit rosarotem Zuckerguss übergossen, sie bleibt, was sie war, eben Kindheit, mit allen Höhen und Tiefen.

Zurück bleibt aber auch die Frage wie es den Kindern von heute einmal gehen wird, wenn sie sich erinnern. So vieles wird heute verboten oder gilt als gefährlich, so vieles an Freiräumen wurde und wird beschnitten. Ob sich die Kinder von heute dann nur noch an ihre liebsten Computerspiele und TV-Sendungen erinnern werden?


 

streeruwitz

Dieses Buch habe ich letzten Herbst gewonnen, meinen herzlichen Dank noch einmal an Buzzaldrin.

Lange lag es auf meinem Stapel der noch nicht gelesenen Bücher … Zunächst waren die sehr kurzen Sätze von Frau Streeruwitz gewöhnungsbedürftig, aber das dauerte nicht lang, dazu war die Geschichte zu gut! Ich habe den Eindruck gewonnen, dass es in diesem Buch auch um Autobiographisches geht, ihren Erfahrungen mit dem heutigen Literaturbetrieb. Ich sah mich wieder auf der Leipziger Buchmesse herumstolpern, allein gelassen von der Verlegerin, enttäuscht von all ihren nicht gehaltenen Versprechungen …

Frau Streeruwitz schreibt schnörkellos und ehrlich, ganz so wie Knausgård auch, nur in ihrer sehr eigenen Sprache, die ich zu schätzen gelernt habe! Hier einige Sätze:

  • Die Welt war in die Sprache genommen …
  • Wie interessant das war. Wie er an den vielen Jahren würgte. Wie er die Jahre sprechen wollte …
  • Da war nichts zu machen, und das Schlaraffenland nicht vegetarisch.
  • Er hatte eine Herztransplantation abgelehnt. Ein Lyriker könnte nicht mit einem fremden Herzen sterben …
  • Die wollte das Geld abschaffen, weil es der Gegenwart in Schicksal gerechnet eben das Leben kosten konnte. Weil Geld in Gefühle umgerechnet tödlich enden konnte. Musste …

 

diebe

Das ist das dritte und letzte Buch, das ich euch empfehlen kann. David Benioff ist ein grossartiger Erzähler. Die Geschichte spielt im Winter 1943/44 im von Deutschen besetzten Leningrad. Was weiss ich schon wie es den Menschen dort damals erging? Jetzt weiss ich ein bisschen mehr. Und vielleicht war dies mit ein Grund warum ich gestern an all die frierenden und hungernden Menschen in den Kriegsgebieten dieser Erde denken musste …

Eine Woche des Lebens von Lew und dann auch von Kolja kann die Leserschaft in diesem Buch miterleben. Eine Geschichte die zeitlos ist, die gerade eben irgendwo auf dieser Welt passieren kann. Die von dem Hunger und der Kälte, den Erniedrigungen der einen erzählt, ihren Ängsten, Nöten und Verlusten und den vollgefressenen Bäuchen der Machthabenden, ihrem Sadismus und dem Ideologienwahnsinn der anderen. Und trotzdem ist es ein Buch voller Humor. Vielleicht lässt sich ja der Wahnsinn der Welt nur mit Humor ertragen und mit ihm den Hunger für ein paar Stunden vergessen?!