Impressionen der letzten Wochen oder Nicht so geboren

Bevor ich meins schreibe, möchte ich aus dem Buch von Paul Auster 4 3 2 1 zitieren, das ich Zurzeit voller Begeisterung lese. Auster ist ein grandioser Erzähler (immer wieder). In diesem Buch verfolgt er konsequent die Idee, bzw. die Frage: Was wäre gewesen wenn…

Irgendwann werde ich einmal mehr dazu schreiben, jetzt nur ein Absatz, den ich auf Seite 751 fand, die Zeit ist 1965, der Ort New York – Morningside Heights:

… Auf den dreckigen Gehsteigen lag nicht abgeholter Müll, und die Hälfte der Leute, denen man begegnete, waren nicht ganz richtig im Kopf oder kurz davor, den Verstand zu verlieren, oder sie erholten sich gerade von einem Nervenzusammenbruch. Das Viertel war Sammelpunkt aller verlorener Seelen in New York, und täglich kam Ferguson an Männern und Frauen vorbei, die sich intensiv und unverständlich mit unsichtbaren anderen unterhielten, Leuten, die nicht existierten…

Paul Auster, 4 3 2 1

ISBN 978 3 498 00097 4  1. Auflage Februar 2017  Copyright © 2017 by Rowolth Verlag



Meins:

Gegenüber des Weihnachtsmarktstandes, an dem ich für drei Wochen eine Freundin unterstütze, ist eine Bushaltestelle, notdürftig überdacht, acht Sitzplätze auf der mir zugewandten Seite, acht Sitzplätze auf der anderen Seite, daneben steht ein Mülleimer, der, so alles gut geht, zweimal am Tag geleert wird. Wenn alles gut geht, geht aber nicht und am Sonntag sowieso nicht. Am frühen Morgen kommen dunkelhäutige Männer, die mit Stäben die Tonne nach Pfandflaschen durchsuchen, sie tragen Handschuhe, andere nicht, sie wühlen mit ihren nackten Händen zwischen Essensresten, Pappbechern und Zigarettenkippen nach Brauchbarem.

Vor dem Stand stehen die mehr oder minder Gutbetuchten, bewundern die reinen Wollpullover, kaufen Mützen, Schals, Handschuhe oder eben Pullover, Jacken oder Mäntel. Sie zucken zusammen, wenn wieder einmal der Mann, der mit sich selber spricht, auftaucht und lauthals beginnt zu deklamieren. Dabei hält er meist seinen Kopf zur Seite gewandt und spricht mit dem, den nur er sieht und dem er vieles zu sagen hat, nicht immer nur freundliches. Überhaupt ist er nicht immer nur freundlich, manchmal will er töten, oder Augen blau schlagen, ein anderes Mal ist er Gott und wir alle sollen uns vor seiner Rache in acht nehmen, denn die wird gar fürchterlich werden.

An vielen Morgenden ist er noch ruhig, dann hilft er mir die schweren Klappen des Standes hochzuhieven und zu halten, bis ich sie eingehakt habe, an anderen Morgenden kann er mich noch nicht einmal anschauen, wenn ich ihm einen „guten Morgen“ wünschen möchte.

Wo schläft er in der Nacht?

Der Mann, der mit sich selber spricht, ist Einer von Einigen, die dort, an eben dieser Bushaltestelle sich hinsetzen, mit sich allein oder auch in Ausnahmen mit anderen sprechen, die ihr Bier oder ihren Wein, ihren Schnaps trinken oder auch mal einen Joint rauchen, um dann in Tränen auszubrechen. Wie vor ein paar Tagen die dünne Frau, die noch am Anfang der Sitzung die „Jungs“ aufmunterte, bis dann eben dieser Joint die Stimmung kippte. „Ich fühl mich auch oft einsam, Mädchen. Nun komm, Kopf hoch“, tröstet einer der Jungs lauthals und schwankt dabei vor und zurück, während sie immer weiter unter ihrer großen Kapuze verschwindet.

Wo schläft sie in der Nacht?

Dann der dünne Mann, der immer telefoniert, dabei hält er seinen Zeigefinger ans Ohr und spricht sehr leise, lauscht und spricht. Aber manchmal scheint das unsichtbare Gegenüber etwas zu sagen, das er nicht hören will, dann wird er lauter, allerdings nicht verständlicher, aufgeregt streicht er sich die Haare hinters Ohr, sein sonst blasses Gesicht verfärbt sich rot, bis der Druck zu groß wird, er springt auf und rennt rastlos hin und her. Der Mann wird wieder blass, setzt sich erneut, flüstert erneut in sein nicht vorhandenes Telefon und…

Wo schläft er in der Nacht?

Zwei ältere Damen stehen am Stand und schauen sich die bunten Tücher an, als der Mann, der mit sich selber spricht, laut wird, sie schauen ihn an. Die eine Dame schaut mich an:

„So, wird niemand geboren.“

Wie gut mir dieser Satz tut. Ich habe schon ganz andere Sätze gehört, die ich nicht beantwortet, nicht kommentiert habe, mit der Dame kam ich ins Gespräch.


Künstler *in unbekannt

Weihnachtsmarkt, Dideldumm, Glühweinstände, Lachsbrätereien, Lebkuchenherzen, Anisbonbons, Eierlikörpunsch, Lakritze, Pommes mit Mayo, Fisch oder Wildschweinbratwurst im Brötchen, viele sehr dicke Menschen essen viel Fettiges. Kerzen, Glöckchen, Kunsthandwerk und Zeug, was eigentlich niemand wirklich braucht, aber eben doch gekauft wird. Am Rand der Massen knien Menschen auf dem Bürgersteig, einen leeren Pappbecher vor sich. Auf dem Weg zum Parkhaus entdecke ich einen Schlafsack auf einem Lüftungsschacht, darin eingewickelt ein Mensch.

Die Armut ist auch in Deutschland nicht neu, aber sie ist sichtbarer und größer geworden. Die Schere öffnet sich immer weiter, auch die in meinem Kopf.

Wenn ich könnte, würde ich jedem und jeder einen dieser feinen Wollpullover schenken, dazu einen Schal oder eine Mütze, ein Paar Handschuhe oder ein Paar Stulpen, bis der Stand leer wäre, dann würde ich den Freund, der so wunderbare Geschichten erzählen kann, bitten mit all diesen Menschen eine seiner Geschichten zu teilen und dann würde ich ihn unterhaken und mit ihm zum Parkhaus gehen und lächeln…



In diesem Zuhammenhang möchte ich euch noch einen Link zu tikerscherks Artikel „Lamettalos“ senden: https://kreuzbergsuedost.wordpress.com/2017/12/08/lamettalos/

Auch Irgendlink hat gestern einen Artikel mit ähnlichem Inhalt veröffentlicht: http://irgendlink.de/2017/12/11/bahngleisgossenhamlet/

Die Springerin hat vor einigen Wochen sehr berührende Fotos von Menschen auf der Straße gemacht, leider kann ich sie nicht finden…

Liebe Springerin, falls du dies hier liest, wäre ich dir dankbar, wenn du einen Link zu deinen Bildern in den Kommentarstrang schreibst, dann füge ich ihn hier ein – herzliche Grüße und danke –

P.S. Nun hat die Springerin den Link gesendet, die Serie heißt: heimliche Lehrer – secret teachers, es entstanden 6 Bilder, sie hat den Link zum ersten geschickt, wenn euch mehr interessiert, dann könnt ihr den Titel dieser Serie in ihre Suchmaschine eingeben, nochmals meinen herzlichen Dank an dich!

Heimliche Lehrer / Secret Teachers (1)

72 Gedanken zu „Impressionen der letzten Wochen oder Nicht so geboren

  1. „Die zerbrochenen Menschen“, nenne ich sie, die kein Heim haben, keinen Plan und keine Zukunft. Ja, es werden mehr und im Gegensatz zu früher, stehen Massen bereit ebenfalls jeglichen Halt zu verlieren. Danke für deinen sehr bewegenden Text liebe Ulli und lass dich drücken, damit du in deinem Stand die Wärme spürst, welche Menschen geben können, im Gegensatz zu den vielen Ungebliebten, die nicht einmal eines Blickes würdig sind …

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    • Liebe Arno, Wärme ist so nötig, vorhin sass ein sehr alter und auch gepflegter Mann auf dem Boden, ich gab ihm zwei Euro, sein Strahlen hättest du sehen sollen! Und der Mann, der mit sich selber spricht trank heute dankbar einen Kaffee, den ich ihm angeboten habe … das alles sind minikleine Gesten, mehr geht leider nicht.
      Ich danke dir für deine Umarmung,
      liebe Grüsse, Ulli

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    • Gleich stelle ich noch den Link zu Irgendlinks Artikel ein, der ja verwandt ist, aber natürlich so ganz irgendlinkaesk…
      herzlichen Dank und Gruss an dich,
      Ulli (heute sehr erschöpft)

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  2. Ja, so ist es. Zum Glück sperrt man all diese „verlorenen Seelen“ heute nicht mehr weg, sondern mutet sie den ordentlichen Menschen zu. Besser wäre es natürlich, es gäbe Mitmenschen, die sich kümmern. Ist aber ein schwerer Job, wenn der andere gar nicht so leben will wie ich und du, sondern es vorzieht, in seiner Welt zu leben. Kennst du Bunuels Film „Viridiana“ von 1961? (italienische Version https://www.google.gr/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=5&cad=rja&uact=8&ved=0ahUKEwiO7-Hti4TYAhWJZFAKHU0jACUQtwIISTAE&url=https%3A%2F%2Fvimeo.com%2F155746185&usg=AOvVaw3YpSYDNKbPwwYNJeRZ-K2f)
    Kürzlich sah ich einen dunkelhäutigen dünnen Mann, der einen Müllcontainer durchsuchte (hier werden sie, wenn überhaupt, einmal die Woche geleert), ich griff mir in die Tasche und fand 2 E, die ich ihm fast zornig in die Hand drückte. Er schaute mich mit einem seltsam belustigten Ausdruck an. Ich, immer noch zornig: „damit du mal was isst!“
    Warum war ich zornig? Weil ich es hasse, Menschen zu sehen, die in Mülltonnen kramen, während ich satt bin. Warum war er seltsam belustigt? Weil er mich durchschaute, vermute ich.
    Halt die Ohren steif, liebe Ulli! Gerda

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    • Das meinte ich, als ich schrieb, dass meine Schere im Kopf auch immer größer wird. Ich werde nicht zornig, eher traurig und in mir mldet sich dann immer sofort mein Helferinnensyndrom, obwohl ich ja weiß, dass es nicht geht, dass dahinter Schicksale stehen und es Gründe hat, warum eine oder einer so oder so wird –
      den Film von Bunuel kenne ich nicht, ich schaue später einmal, ob ich ihn vielleicht in deutscher Sprache finden kann, heute bin ich früh Nachhause, mir ist so uselig…
      herzliche Grüße,
      Ulli

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      • Ist schon recht, liebe Ulli. Warmherzigkeit hat noch nie geschadet – weder dem Spender noch dem Empfänger
        Ich glaube nicht, dassdu den Film auf deutsch findest. Du bekommst einen Eindruck, wenn du erst den Anfang, dann die zweite Hälfte anschaust, auch ohne die Dialoge zu verstehen.

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  3. Liebe Ulli,
    berührend, erschreckend und so real. Genau jetzt kommen diese Abgründe in unserer Gesellschaft so sichtbar zutage und ich habe solche Menschen jahrelang erlebt, als ich während meines Studiums nachts in der Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo gearbeitet habe.
    Es hat mich oft verfolgt, was sie mir erzählten, wenn sie sich bei Carokaffee und einer Butterstulle bei uns aufgewärmt haben…

    Herzlich,
    Anna-Lena

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    • Liebe Anna-Lena, diese Geschichten gehören doch auch in ein Buch, oder? Ich finde es nach wie vor wichtig, dass wir auch die Schattenseiten benennen und wer könnte es besser als eine, sprich gerade eben du, die das Elend hautnah miterlebt hat?!
      Liebe Grüße,
      Ulli

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      • Ich nehme solche Geschichten immer in meine Bücher, denn die Welt ist nun mal so wie sie ist und nur jeder Einzelne von uns kann ein wenig Licht ins Dunkle bringen, in der Hoffnung, dass sich daraus doch ein größeres Licht entwickelt.

        Liebe Grüße auch zu dir und danke, dass du dieses Thema so klar ansprichst,
        Anna-Lena

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        • … und nur jeder Einzelne von uns kann ein wenig Licht ins Dunkle bringen, in der Hoffnung, dass sich daraus doch ein größeres Licht entwickelt. – das hast du schön gesagt, liebe Anna-Lena! Danke dafür und dir einen schönen und lichtvollen Tag, herzlichst, Ulli

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  4. Erstmal Glückwunsch zu Deiner Fotomontage anfangs.

    Ja, die Einsamkeit. Die kann dazu führen, daß man mit jemandem imaginären spricht oder sprechen muß.
    Aber oft werden die Gespräche nur eine Wiederspiegelungen von zwanghaften Gedanken sein, einer Gedankenfolter. Und diese Art Folter ist einer der Schlimmsten. Wer kennt sie nicht bisweilen?
    Ich jedenfalls habe sie des Öfteren gekostet.

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    • Lieber Gerhard, erst einmal danke für dein Lob in Bezug auf die Fotomontage.
      Solcherlei Gedankenfolter habe ich nie kennengerlnt, ich stelle mit dann vor, wenn ich diese Menschen sehe und höre, dass sie Stimmen in ihrem Kopf haben. Im Schwarzwald lebt eine ehemailge Lehrerin, die seit dem Tod ihrer Mutter darunter leidet, oft ist sie vollkommen „normal“, sie malt wunderbar zarte und lebendige Aquarelle, sehr gerne von Tänzern und Tänzerinnen oder von Blumen, und dann schlägt plötzlich ihre Stimmung um und sie wird grantig und aggressiv. Dem Himmel sei Dank ist sie in der Lage alleine in einer Wohnung zu leben und für sich zu sorgen, hoffentlich noch lange!
      Herzliche Grüße
      Ulli

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      • Ich denke, da gibt es graduelle Unterschiede: Wir all kennen verworrene Gedanken kurz vor dem Einschlafen – kritischer wird es, wenn es im Alltag passiert.
        Ich selbst erlebe oft abstruse Gedankenfetzen, die mich zwar stören, aber nicht zu Stimmen werden. Es ist für mich aber leicht vorstellbar, dass jemand davon voll in beschlag genommen ist.

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        • O, verrückt zu werden ist leicht! Schwerer ist es, den Kopf über Wasser zu halten und den Alltag trotz allem, was darin herumspukt, zu bewältigen. Man muss sorgsam mit sich umgehen. Es ist eine Gratwanderung.

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          • So sehe ich es auch, dass es eine Gratwanderung ist, aber wie ich gerade schon an Gerhard schrieb, wir haben die Möglichkeit des Geistestrainings = Meditation, mir hat es bis hierher gut geholfen, aber eine Sicherheit gibt es eben auch nicht…

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            • Leider kenne ich Menschen, die trotz aller Meditation „verrückt“ geworden sind. Aber du hast schon recht, meditieren hilft oft, ein inneres Gleichgewicht wiederzufinden, indem man sich als Teil des Ganzen erlebt. Und das Ganze ist von Liebe durchwaltet,.

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              • Stimmt, die kenne ich leider auch, bei uns gab es eine Frau, der die Meditation verboten wurde, danke Gerda für diesen Hinweis, vielleicht ist es von daher wichtig, dass man erst einmal unter Anleitung beginnt und nicht in Eigenregie…

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            • Richtig, liebe Ulli. Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass mich eine (geführte) Meditation in einen Todesprozess hineinbrachte, aus dem ich ohne die Hilfe der Therapeutin nicht heil herausgefunden hätte. Mit ihrer Hilfe aber war es für mich ein Durchbruch, der mir mein Leben zurückgab.

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        • Ich glaube zwar auch, dass die Grenze schmal ist und doch gibt es ja die Möglichkeit eines Geistestrainings = Meditation (wenigstens für uns)…
          ich wünsche dir einen schönen Tag, lieber Gerhard, herzlichst, Ulli

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            • Anfangs schon, aber die Übung ist ja die, die Gedanken ziehen zu lassen, wie die Wolken am Himmel ziehen und sich nicht einzuhaken, sondern auf die Atmung zu konzentrieren – ein – aus – ein – aus und mit der Zeit merkt man, dass das Gedankenkarussel sich beruhigt, aber wie gesagt, es braucht ein bisschen Übung und die tägliche Disziplin, man kann mit 10 Minuten am Tag anfangen und dann die Zeit ganz langsam ausdehnen – ich habe sehr gute Erfahrungen damit machen dürfen.

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  5. Ein berührender Post, liebe Ulli,
    arm und reich…
    warum kein Ausgleich???
    MÖGLICH wäre das ja schon längst!!!
    Aber die Menschen WOLLEN ja diese Ungerechtigkeit!
    Genauso wie alle Herrscher aller Länder
    Waffen und Krieg wollen und niemandem
    über den Weg trauen!
    Herzliche Grüße
    vom Lu

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    • Ja, lieber Lu, es ist wahrlich genügend Geld im Umlauf, damit niemand mehr hungern oder frieren müsste, das haben ja schon andere berechnet, solange aber die Reichen nicht teilen wollen, die Gier die Menschheit bestimmt, solange wird sich wohl nichts ändern, was mehr wie traurig ist!
      Ich danke dir für deins und sende dir herzliche Abendgrüße,
      Ulli

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  6. Ach liebe Ulli, da sprichst du mir wiedermal aus der Seele. Jeden Abend, wenn ich mich ins Bett einmummele denke ich an Die, die keine Bleibe haben. Ich hab ja kurz gesehen, welche verlorenen Gestalten dort an der Haltestelle leben. Dabei heißt es doch „Haltestelle“. Wer oder was gibt ihnen Halt? Das Bild passt. Toll, dass du neben der Arbeit noch kreativ sein kannst. Herzensgrüße von Marie

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    • Liebe Marie, das Bild habe ich schon im Januar gemacht und fand gestern, dass es ausgezeichnet zum Thema passt, manchmal schlummern meine Arbeien in meinen Archiven, bis der passende Tag/Artikel kommt.
      Wenigstens schreiben gelang mir gestern noch, ich habe in den letzten zweieinhalb Wochen ein bisschen meine Eindrücke gesammelt und aufgeschrieben, unterstützt hat mich Paul Auster, damit ich es in Form bringen konnte.
      Ja, wer gibt ihnen Halt? Da fragst du was … hier zeigt sich, dass es eben nicht stimmt, dass jede und jeder sich selbst halten kann, traurige Geschichten schreibt das Leben eben auch…
      Nun grüße ich dich sehr herzlich zum Abend,
      Ulli

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  7. In einer Welt, in der ein 13jähriges behindertes Kind in eisiger Kälte mangels Fahrschein von der Zugbegleiterin aus der Bahn geworfen wird, in einer Welt, in der ein alter Mann in einem Bankvorraum stirbt, weil die Kunden ihn für einen betrunkenen Obdachlosen halten, in einer Welt, in der schutzsuchende Obdachlose, die auf einer Bank einer Bushaltestelle saßen, wegen Zweckentfremdung vom Ordnungsamt verjagt werden… Wie kalt ist es geworden!

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  8. Ich vergaß, dir besonders warme Grüße zu senden, liebe Ulli. Aber ich dachte auch gerade an den Beitrag meines Sohnes über den verstorbenen Obdachlosen Waldemar und mir ist das Herz gerade sehr schwer.

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    • Ich habe den Link nicht mehr zu dem Blog von deinem Sohn, ich bin ihm mal gefolgt, aber in meinem reader taucht er gar nicht mehr auf, ich möchte diesen Artikel sehr gerne lesen, magst du mir den Link senden?!
      Ja, die Welt ist richtig kalt geworden, traurig obendrein, ich denke an so viele Menschen von früher, die aber wenigstens am Abend noch ein Bett hatten und nicht alleine waren…
      liebe Elvira, ich grüß dich von Herzen,
      Ulli

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  9. Danke für Deinen wunderbaren Artikel, liebe Ulli.
    Leider ist die Haltestelle keine Stelle, die Halt gibt, nur eine notdürftige Auffangstelle für verlorene Seelen, die auf Menschen wie Dich hoffen und manchmal ist da auch einer, der so handelt, wie wir es alle tun müssen, denn wie recht hat sie: So wird keiner geboren. Ein Windhauch, der die Seele umwirft und schon ist es geschehen
    Beide Töchter befassen sich mit solchen Menschen und ich bin froh, daß sie es tun, denn sie tun viel.
    Tochter Nr. 2 als Sozialarbeitein erzählt manchmal und endlich hat sie den Abstand, den sie vor einigen Jahren verlor und selbst in eine Klinik mußte. Nun ist sie in der Bewährungshilfe und sie erzählt wieder… So viel

    Schön, daß Du diesen Artikel geschrieben hast
    Liebe Grüße am Abend von Bruni

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    • Du kennst das also auch, liebe Bruni, was es bedeutet, ein „hilfloser Helfer“ zu sein. Ein Glück, dass deine Tochter No 2 langsam gelernt hat, den nötigen Abstand zu gewinnen. Es ist manchmal nicht leicht. „Man darf nicht helfen wollen“ – so lernte mein Lehrer der Aufstellungsmethode durch eine schwere eigene Erkrankung . Man muss seine Arbeit so gut tun wie irgend möglich, mit ständig verbessertem professionellem Wissen und voller Herzensbeteiligung, aber am Ende des Tages muss man sagen: Ich habe getan, was mir möglich war. Jetzt lasse ich es los. Was daraus wird, das geht mich nichts mehr an.
      Ohne solche bewusste Verabschiedung von dem fremden Schicksal schleppt man es mit sich herum und läuft langsam leer. Man wird erschöpft, verzweifelt und nutzlos. Liebe Grüße dir! Gerda

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      • Liebe Gerda, genau das hat sie alles erlebt und vieles erlebte ich mit. Es war ihr erster Job damals und oft hatte ich Angst um sie, die kleine Zierliche. Inzwischen scheint sie das Loslassen ganz gut zu können, aber ohne eigene therapeutische Hilfe wäre das nicht gelungen. Es ist eine verblüffende Tochter
        Du hast alles so wundervoll auf den Punkt gebracht. Ich danke Dir.
        Liebe Grüße an Dich

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  10. Mir tun diese Bilder so weh.
    Dennoch – oder gerade deswegen – danke, dass Du sie zeigst, liebe Ulli, dass Du den Menschen ein Gesicht und eine Stimme gibst, dass Du sie aus der Unsichtbarkeit holst, in die wir sie oft verbannen.
    Ich glaube mindestens ebenso wichtig wie Pullover, Schal und warmer Kaffee sind doch das Wahrnehmen – das Wahrgenommenwerden, das Sehen – das Gesehenwerden, sind Dein lächelndes In-die-Augen-Blicken, sind die Geschichten, über die Dein Freund mit ihnen ins Gespräch finden könnte.
    Denn natürlich ist es einerseits „die Politik“ (wer auch immer das ist), die sie zu verlorenen Verlierern gemacht hat. Andererseits laufen wir alle täglich an ihnen vorbei. Wir. Alle.
    Vorbeischauend, oder jedenfalls nicht richtig hinschauend. Mit Emotionen der zumeist negativen Berührtheit, wenn nicht schuldgebender Verurteilung. Mitnichten solidarisch, von Mensch zu Mensch, einander in die Augen blickend.
    Die wärmende Jacke ist wichtig. Die Wärme des Dazugehörens in Würde wäre vielleicht noch wichtiger. — Vielleicht wäre es nicht genug, was wir auf diese Weise, uns verbindend, tun könnten.
    Und: Es ist nicht genug, was ich tue. (Ein Imperativ.)
    Auf der Straße Geld vor jemanden zu legen, ohne dass Augenkontakt da ist, fühlt sich für mich an wie von oben etwas in einen „Napf“ zu werfen. — Wenn ich es noch jemals im Leben schaffen sollte, meine schüchterne Scheu vor Begegnungen, ja selbst vor Blickkontakt mit Wildfremden in der Öffentlichkeit zu überwinden, wenn ich diesen Mut noch je finden sollte, dann weil ich es für mein Zugehen auf diese Menschen lernen möchte.
    Und ja, sie sind „heimliche Lehrer“. Drängen mit der Frage in mich, wie viel Mensch ich wirklich bin …
    Sei bedankt für diesen Text.
    Gute Wünsche für Seele und Herz zu Dir in diesen neuen Tag geschickt,
    Frau Rebis

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    • Guten Morgen, liebe Frau Rebis, spontan denke ich: du hast nichts zu verlieren, nur zu gewinnen, wenn du lernst den Menschen in die Augen zu schauen, selbst wenn es traurige Augen sind oder vom Leben anderweitig gekennzeichnete – aber wir wissen ja beide, dass das Leben immer noch viel Gepäck hat, was wir lernen dürfen, können oder eben auch nicht, jede und jeder aus eigenen Gründen! Nun fühle dich aufs wärmste umarmt, wenn du magst, ich wünsche dir einen schönen Tag, herzlichst, Ulli

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      • Liebe Ulli,
        vielleicht war das missverständlich ausgedrückt: Nicht speziell bei diesen Menschen, sondern grundsätzlich habe ich eine wahnsinnige Scheu, auf fremde Menschen zuzugehen, insbesondere mit ihnen zu sprechen.
        Natürlich ist dabei nichts zu verlieren … der Kopf weiß das. Sag das aber mal meinem limbischen System (oder wo immer die Hemmungen sitzen), dem Herzrasen&Schwindelgefühl, welches mich umgehend überfällt, sobald ich mit Unbekannten in Kontakt treten soll. (Dies ist sicher schwer nachzuvollziehen, wenn man es nicht kennt.) Dies sind ja keine bewussten Prozesse. Ich kenne mich nicht anders, es hat sich über die Jahrzehnte wenig verändert, selbst durch meinen Beruf nicht.
        Und es hat nichts damit zu tun, dass ich vor diesen Lebenssituationen, Themen und traurig-gezeichneten Augen scheue, ü.ber.haupt nicht. Im Gegenteil: Mit solchen Augen ist es mir eher leichter.
        Jedenfalls – zum Thema zurück: Wie gern ich genau deswegen das Zugehen auf unbekannte Menschen doch noch lernen möchte … wer weiß, ob es nicht gelingt, wenn ich es nur wirklich will und geduldig mit mir bin?
        Und wenn wir alle dies versuchten, mehr und mehr, über all unsere Schatten zu springen, die einem wirklichen Aufeinanderzu im Wege liegen – wieviel wärmer es werden kann, wieviel wir alle gewinnen können …
        Schon wieder spät in der Nacht, ich umarme Dich und wünsche Dir einen ruhigen Schlaf
        Frau Rebis

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        • Guten Morgen, liebe Frau Rebis, ich verstehe und dachte tatsächlich, dass es dir nur bei bestimmten Menschen nicht gelingt. Danke für die Aufklärung.
          Ich seufze … all diese Schatten über die wir lernen sollten/müssten/könnten zu springen, jede und jeder über einen anderen, aber nun, ich übe weiter, mehr geht nicht.
          herzliche Morgengrüsse, nach sehr wenig Schlaf, Ulli

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  11. … Welch wunderbare Wirkung dieser Beitrag schon hat, erkennt man an all den Zuschriften, den Erkenntnissen, den Worten.
    oft ist das „Augen verschließen“ eine Art Selbstschutz. aber es ist trügerisch, es ist kein Schutz, es ist ein nicht wahrnehmen. sich selbst nicht wahrnehmen, seine Gefühle einfrieren… Und ja, es erfordert viel Mut, viel Kraft. aber jeder von euch hier von uns hier gibt seinen Beitrag dazu, das es in dieser Welt ein klein wenig heller und wärmer wird… Alleine schon dadurch, dass wir merken: A, es gibt noch andere Menschen die so fühlen wie ich.
    euch allen hier ein ganz herzliches Dankeschön dafür!
    ich schau euch in die Augen und spüre den Glanz
    es grüßt euch Dagmar

    auch ich habe mich mal mit diesem Thema beschäftigt, mit Menschen, die in ihrer Einsamkeit übersehen werden… Wer mag kann gerne einmal nachlesen

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    • Liebe Dagmar, hab herzlichen Dank fürs Lesen und für deinen Kommentar, ich glaube, dass gerade hier auf WP viele Menschen sind, die Wärme in die Welt senden, du bist auch so Eine!
      Herzliche Grüsse, Ulli

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  12. Pingback: Eine helfende Hand reichen – ein Sozialexperiment mit Grundschülern. | GERDA KAZAKOU

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