die Nähe der Liebe

DSC05728 Seite für Seite zog mich Hanns-Josef Ortheil in seinen Bann. Er stieß Seelesein und Schreibeseele zart, aber unüberhörbar an. Es ist das Feine und Genaue bei ihm, dass ich schon in seinem Buch „Die Erfindung eines Lebens“ empfand und dann in „Liebesnähe“. Er ist mir Heimat und Verortung in einem. Verortung … ein Wort, das ich bei ihm fand und er bei Gary Snyder, so lernt man voneinander und lässt sich inspirien. Dieser Schriftsteller, ein großartiger Erzähler, berührt mich, schenkt mir Heimat in den Worten. Ortheil der Bildersammler und Bilderhüter, der Spaziergänger, der Sinnliche. Seine Stille kann ich atmen. Seine Berge und Täler bin ich schon gewandert. Seine „Liebesnähe“ lässt mich eine Tuschezeichnung denken: ein Berg, ein Fluss, ein Baum – eine Kiefer vielleicht, eine knorrig gewachsene – an seinem Ufer. Kiefer schneidet den Fluss in zwei Teile. Wohlwissend, dass es ein Fluss ist, der aus den Höhen herunterströmt, um, im Tal angekommen, den Fuß des Berges zu umschmeicheln.

Und immer ist ein Mond, ein Vogel, ein Baum ein Flüstern von Lebendigkeit.

Gestenreiche Nähe spinnt Sehnsucht im Wortlosen nach Geschmeidigkeit

Ortheil fand seine Inspiration in dem Kopfkissenbuch der Hofdame Sei Shogun, in Matsou Bashos: Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland und bei Issa: Die letzten Tage meines Vaters. Nicht zu vergessen in der Performance von Marina Abramovic: The Artist Is Present. Hier betrat ich, während des Lesens. ein gemeinsames Feld. Noch bis Anfang des Jahres wusste ich fast nichts von und über Marina Abramovic, dank Mützenfalterin erfuhr ich vieles und teilte sofort ihre Faszination. Neugierig begann ich selbst zu forschen und konnte nun Ortheils Metaphern verstehen. Gleichzeitig erinnerte ich mich an meine Collage:

Entmaskierung

Selbstporträt - Entmaskierung

Liebe blüht nicht in zu engen Korsetts, nicht unter Masken und nicht, wenn  Angst regiert …Liebe braucht Weite und Mut. So las ich und dachte an die Närrin, die einst ein Narr gewesen ist, die vom Sockel stieg, um ins Weit zu schreiten. Nichtswissend. Nichtsahnend. Ortheil holt mich bei mir im Jetzt ab, er schrieb:

… Die Lektüre sollte einfach passen, das ist es. Nicht jede Lektüre passt, auch wenn das Buch, für sich genommen, noch so gut ist. Man braucht gar nicht einmal viel Zeit, um jeweils herauszufinden, was passt. Man beginnt einfach zu lesen, und schon nach kurzer Zeit zieht einen das Buch in sich hinein oder eben nicht. Und die Folgen dieses Kontakts bestehen dann darin, dass man von sich selbst zu sprechen beginnt und sich über dies und das klarer wird. Die Lektüre dringt in einen ein, sie verleiht einem Worte, ja, sie lässt einen über Sachen und Dinge sprechen, über die man sonst niemals gesprochen hätte. Das ist das ganze Geheimnis. …

Es ist die Geschichte von einer Frau und einem Mann, die zur selben Zeit in einem Hotel in den bayrischen Bergen ankommen. Sie, um zu arbeiten. Er, um zu verweilen und seine Freundin, die Buchhändlerin im Hotel, zu besuchen. Die erste Begegnung zwischen ihr und ihm findet im Aufzug statt und so spinnt sich ein leiser Faden von Seele zu Seele. Die Buchhändlerin, auch ihre Freundin, ist Zuschauerin und schmunzelt …

Ich fand  Weite und offenen Raum, weitere japanische Tuschezeichnungen bebilderten die Buchstaben. Selbst mein schon lang erträumtes Gartenhaus fehlte nicht:

… Das Zimmer (im Gartenhaus) hat sich stark verändert, es wirkt jetzt nicht mehr wie ein kleiner Wohnraum, sondern wie ein weiter,offener Raum …

Der Raum, den es braucht, um sich in Liebe zu begegnen, um dem Sehnen Gesten folgen zu lassen.

„Liebesnähe“ ist feinste, erotische Literatur, wie ich sie schätze:

… Nichts mehr denken, nur noch blicken und schauen …, wie die Schutzschicht der Haut sich in feines, poröses Gewebe verwandelt und die Adern plötzlich wieder zu spüren sind. Das Strömen des Bluts, der tiefer werdende Atem, als würden alle Lasten endlich verschwinden. …

… Die Leere eines altjapanischen Raumes, die ausschließliche Fixierung der Liebenden auf die Bewegung ihrer Körper … – wie sie die Bewegungen langsam und allmählich vorantreiben, wie sie ihre Bewegungen studieren und auf jeden Reflex eingehen. …

… Die Liebe der Körper hat mit Sex wenig zu tun, sie spielt mit diesem Satz und mit dem lästigen, aufdringlichen Wort, sie möchte es verscheuchen oder wegkicken, und sie möchte neue Worte und Metaphern erfinden, um dieses Spiel zu beschreiben. Einverständnis! Einklang! – wären das solche Worte? Nein, sie sind zu passiv, zu matt und vor allem zu blass. Die Liebe der Körper ist nichts Harmonisches, nein, diese Liebe entwickelt sich langsam und entsteht aus dem Spiel all der kleinen Feuer, die sich während der letzten Tage entzündeten. In den Momenten des höchsten Glücks hat die Sprache sowieso nichts mehr zu suchen, nein, in solchen Momenten sind nur noch die Ur-Laute da, ein Lallen, ein Rufen, ein Bitten, ein Stammeln. Gegenüber solchen Lauten hat jeder Satz oder jedes Wort keine Kraft, sie kommen zu spät, sie stimmen mit der Empfindung nicht mehr überein, nein, sie haben etwas falsch Beschönigendes, Glattes.

Die Sprache der Glücksmomente ist aber in diesem Sinne nicht „schön“, sondern rau und abgründig, sie ist ein schallendes Echo des Körpers, sie ist seine Jägerin, die ihn belauert, verfolgt und schließlich stellt: orgiastisches Laufen, Verausgabung, ein lang anhaltender Taumel entlang der Grenzen zum Schmerz, der sich in pures Glück verwandelt, in reine Ekstase. …

… Keine Unterscheidungen mehr, keine Suche nach Abweichungen! Das Ende der ewigen Sucht nach einer Benennung der Differenz!

Wer spricht? Die Sprache der Liebe. …

0094 03.03.13 du

12 Gedanken zu „die Nähe der Liebe

  1. mir gefällt besonders das zitat mit dem passenden buch. das kenn ich sehr gut. manchmal gehts mir sogar beim bloglesen so.
    ob dieser autor aber grad jetzt zu mir passt? wer weiß … notieren tu ich in mir auf jeden fall.

    danke für deinie feinen gedanken zu buch und autor.

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    • danke für deinen feinen Kommentar, liebe Soso,

      ich kann dir die Bücher gerne ausleihen. Die Erfindung eines Lebens habe ich hier nicht besonders besprochen, aber ich glaube fest, dass dir dieses gefallen wird. Hier geht es um die Eroberung der Sprache … ein Buch, das mich immer noch beschäftigt! Liebesnähe ist sehr fein, um zu träumen, besonders in meiner Situation 😉

      liebe Grüße
      Ulli

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  2. „Ortheil der Bildersammler und Bilderhüter, der Spaziergänger, der Sinnliche. Seine Stille kann ich atmen. Seine Berge und Täler bin ich schon gewandert.“
    eine wunderschöne (!!!!) beschreibung eines buches, so sinnlich, wie das buch wahrscheinlich selbst.
    ich werde es bestimmt lesen.
    „Seine stille kann ich atmen.“
    toll!
    liebe grüsse,
    eva

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    • Schön ausgedruckt, das gefällt mir auch sehr gut. Wie das neue Wort Verortung, das habe ich notiert! 🙂 Eine sehr gelungene Vorstellung; ich kannte das Buch nicht, werde es bestimmt holen, wenn ich übernächste Woche wieder in D bin. Dir einen schönen Sonntag, gute Reise und frohe Stunden, liebe Ulli.
      Herzliche Grüße
      Hanne

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  3. Liebe Ulli,
    ich habe die Liebesnähe vor ca. einem Jahr gehört und war/bin so fasziniert wie du. Ich habe mir auch das Kopfkissenbuch gekauft und lese immer wieder gerne darin.
    Diese kurzen prägnanten sms, aus der Liebesnähe, sind die nicht klasse! Ich habe mich oft gefragt, wie ich solche sms schreiben könnte, was ich in drei Worten sagen würde, wenn…..
    Dein Selbstportrait gefällt mir sehr, sehr gut. Es hat Charisma.und spiegelt deine Überlegungen wieder. Du erscheinst mir sperrig in deinen Gedanken, eckig und quälst dich, aber dein Mund, der ist da und du kannst darüber reden!
    Einen schönen Freitag abend von Susanne

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    • guten Morgen, liebe Susanne,

      das Kopfkissenbuch steht auch auf meiner Bucheinkaufsliste … es macht doch neugierig- überhaupt Japan, gerade eben begegnet mir die Kultur des Landes ständig, das gilt es ja dann immer ernst zu nehmen und den Winken zu folgen-
      stimmt, diese sms waren auch wunderbar, wie ich es machen würde … ich warte mal ab, bis Amor mal wieder schießt, wenn er denn noch einmal schießt 😉
      Dein Eindruck, dass ich auf dich in den Gedanken sperrig wirke, hinterlässt mich mit einem kleinen Fragezeichen … vielleicht nimmst du ja das Drama, das unter meinem Jetzt liegt, wahr?!

      ich wünsche dir einen feinen Tag
      herzliche Grüße
      Ulli

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      • Liebe Ulli,
        nein, das sperrig hast du selber in deinem Selbstportrait ausgesagt. So sehe ich die vielen Zacken in deinem Gesicht. Immer denkend, der neugier folgend,,, ich weiss nicht, wie ich es ausdrücken soll. es ist ein Gefühl, das ich schwer beschreiben kann, wenn ich das Portrait anschaue. Auch die dunkle und die helle Seite von deinem Foto aus gesehen….
        mmmmhhhhhhhhh
        Ja, die kleinen und großen Dramen, die uns umgeben… vielleicht nehme ich sie tatsächlich wahr?
        So ein Umzug in eine neue Umgebung ist ja auch meistens nicht spontan ….
        Ich freue mich schon sehr auf unser Kaffeetrinken….
        lg Susanne

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        • liebe Susanne, jetzt verstehe ich deine Sicht … nun, so gesehen … lach
          ich wollte eigentlich damit verdeutlichen, dass sich das zu eng gewordene Korsett geöffnet hat und ich dabei bin es abzuwerfen … denn dieses war wirklich sperrig- Korsetts sind ja eh einengend, nicht wahr?!

          du hast Recht, so ganz spontan passiert das alles in diesem Jahr nicht, es gibt Gründe, aber ich übe mich in Vertrauen und Zuversicht was den Neuanfang betrifft.

          und auf den Kaffee freue ich mich auch … SEHR

          herzliche Grüße Ulli

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          • Liebe Ulli,
            die Dinge passieren manchmal von einem Tag zum andern und man hat das Gefühl, man muss sich schütteln und man fragt sich, wie die Dinge gekommen sind….
            Ein Neuanfang öffnet immer neue Türen, hinter denen geheimnisvolles und schönes zu entdecken ist.
            Eine schöne Zeit dir von Susanne

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