Nachtrag zu meinem gestrigen Artikel

Ich lese gern am Wochenende dicke Zeitungen, sei es die Zeit oder die taz zum Wochenende. Letztere war es heute.

Auf Seite 06 unten finde ich unter „Stadtgespräch“ einen Artikel der Journalistin Irina Serdyuk aus Kiew:

ICH HABE KEINE ANGST ZU SPRECHEN

Die ukrainische Aktivistin und Journalistin Nastja Melnitschenko veröffentlichte vor einigen Tagen einen kurzen Text auf ihrer Blogseite: „Ich will, dass heute wir, die Frauen sprechen. Dass wir über die Gewalt reden, die den meisten von uns angetan wurde. Ich will, dass wir uns nicht rechtfertigen, weil es nicht nötig ist. Wir sind nicht schuldig. Schuld trägt immer der Gewalttäter. Ich habe keine Angst zu sprechen.

Soweit der erste Abschnitt. Im weiteren wird über eine Lawine an Kommentaren berichtet. Tausende von Frauen berichten über ihre Gewalterfahrungen. Jede dritte Frau, heisst es, hat Gewalterfahrungen mit Männern erlebt. Nun muss die Regierung handeln! Erwähnt wird auch, dass es wahrscheinlich für viele Frauen einfacher ist anonym, unter Pseudonym ihre Erfahrungen im Netz mitzuteilen, als darüber zu sprechen.

Warum wohl …?

Und genau darum schreibe ich solche Artikel wie gestern und genau darum schreibe ich die Miniaturen. Und bitte sag jetzt nicht, die Ukraine ist weit weg! Es gibt nichts herunterzuspielen, nichts gut zu reden und ich überlege was hier los wäre, wenn ich sagen würde: „Ich habe keine Angst zu sprechen!“

Ich atme aus …

Und: Verzeiht auch mir, dass ich von Zeit zu Zeit von uns, den Frauen, rede und davon, dass wir nicht sehr weit gekommen sind, weiter, ja, aber nicht weit.

20 Gedanken zu „Nachtrag zu meinem gestrigen Artikel

  1. Liebe Ulli, ich will dir das „Wir“ mal ausnahmsweise, weil du es bist und weil ich es auch oft verwende, verzeihen ;). Gerne tue ich es nicht, denn das Wir gehört zu den am meisten missbrauchten Wörtern. In der Regel steht dem Wir ein ausgeschlossenes Nicht-Wir gegenüber, das sich nicht selten zu einer neuen „Wir-Faust“ zusammenballt – und schon hast du den schönsten Krieg.

    Ganz herzliche Grüße aus einem windig-heißen südlichen Tag. Gerda

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    • Liebe Gerda, nicht ich schrieb „wir“, sondern die Aktivistin und Journalistin Nastja Melnitschenko, der grüne Balken bedeutet immer, dass ich hier ein Zitat einsetze. Manchmal mache ich es nur durch die sogenannten „Gänsefüsschen“ – Ich verstehe dieses „wir“ als „wir Frauen, die wir Gewalt erfahren haben“ …
      Ansonsten stimme ich dir zu.
      herzliche Grüsse
      Ulli

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      • Aha! Ich bezog mich auf die Zeile „Verzeiht auch mir, dass ich von Zeit zu Zeit von uns, den Frauen, rede und davon, dass wir nicht sehr weit gekommen sind, weiter, ja, aber nicht weit“. Wenn man drauftippt, kommt man zu deinem gestrigen Artikel, der ja auch ein „wir“ enthielt. – Umso mehr freue ich mich, dass du mir grundsätzlich zustimmst: das „Wir“ ist mit Vorsicht zu genießen.

        Inhaltlich: Die Gewaltbereitschaft vieler Männer ist auch für mich ein schwer zu verdauendes Thema. Und frage mich: welche Rolle spielen dabei wiederum die Mütter (die bekanntlich an allem schuld sind)?

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      • Gerade eben fiel es mir auch auf, liebe Gerda, als ich nochmals las … ich gelobe mehr Achtsamkeit mit diesem kleinen Wörtchen. Danke! Und das meine ich absolut ehrlich.

        Gewalt bei Männern, da haben viele Faktoren ihre Finger im Spiel, denke ich: Mütter UND Väter, aber auch Gesellschaft und Medien, wie und wo jemand aufwächst etc. Ich denke gerade an den Film: Das weisse Band https://cafeweltenall.wordpress.com/2012/08/27/das-weise-band-ein-film-von-michael-haneke/

        Mich hat der heutige Artikel dermassen umgetrieben, dass ich dazu etwas schreiben musste, dazu bald mehr …
        denn jetzt ist mal gut mit schweren Themen, heute Abend und morgen mache ich Pause, sonst bewahrheitet sich noch ein doofer Unkenruf aus meiner Jugend am Ende: „Wenn du nicht aufpasst, wirst du im Alter Hosenträger für deine Unterlippe brauchen“ heute lache ich, damals schmerzte es.
        herzliebe Grüsse von einem traumhaften Bergsommerabend
        Ulli

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  2. Ach Ulli, das ist traurig und ich hätte es nicht gedacht, dass sovielen Frauen noch Gewalt angetan wird. Vielleicht ist es für mich so unvorstellbar, weil die betroffenen Frauen es natürlich nicht kommunizieren und weil ich so behütet aufgewachsen bin. Und weil ich in Berlin wohne, einer Stadt, die emanzipierter ist als ein Dorf.
    Trotz allem einen schönen Tag von Susanne

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    • Liebe Susanne, dein Kommentar tut mir gerade richtig gut, denn ich bin leider nicht behütet aufgewachsen und ich weiss worüber dort geschrieben wird, auch wenn ich nie eine Vergewaltigung erlebt habe, aber Gewalt gegen Frauen kennt viele Gesichter! Ich bin auch nicht auf dem Land sozialisiert, sondern in einer Stadt, aber Emanzipation war zu meiner Zeit, als ich gross wurde, noch kein Thema, da galten noch ganz andere Regeln, leider.
      Ich habe heute einen neuen Artikel geschrieben, den ich noch überschlafen und überdenken werde. Insgesamt aber denke ich, dass er gut ist, wenn auch sehr bekennerhaft, aber habe ich etwas zu verlieren? Nein!

      Vielen herzlichen Dank und ebensolche Grüsse an dich,
      ab jetzt wende ich mich erfreulicheren Dingen zu, wenigstens für diesen Abend
      Ulli

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  3. Die Zahl von Frauen denen Gewalt angetan wird ist grösser, als wir alle, die es noch nicht erlebt haben, sich dass je vorstellen können.
    Es passiert hinter verschlossenen Türen und das durch alle Gesellschaftsschichten und Nationalitäten.
    Und ich finde auch, dass wenn man bedenkt, wie lange schon Frauen für ihre Rechte kämpfen müssen, wir nicht so weit gekommen sind.
    Klar fühlen sich nicht alle Frauen angesprochen, weil sie mit fraulichen Nachteilen vielleicht noch nie konfrontiert wurden, aber alle Frauen profitieren von dem, bis jetzt erreichten Kampf der Frauenrechte.
    Kann man in Anbetracht dessen, also vielleicht doch von wir sprechen?

    LG Babsi

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    • Liebe Babsi, ich freue mich über alles, was du schreibst, von Herzen DANKE!
      Hinzufügen möchte ich, dass Gewalt ja sehr viele Spielarten kennt, Vergewaltigung ist eine der schlimmsten, hinzu kommen verbale Herabwürdigungen und Demütigungen, Ignoranz ob eigener Kompetenz und dann etwas, was nur sehr schwer zu entlarven ist: subtile Gewalt.
      Ich werde mich in den nächsten Tagen nochmals äussern, aber jetzt bin ich reif fürs Wochenende und bereit für die Freude.
      Auch dir wünsche ich ein freudiges und entspanntes Wochenende
      herzliche Grüsse
      Ulli

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  4. Ich habe deinen gestrigen Artikel nicht kommentiert. Zu viele schlechte Erinnerungen schnürten mir die Kehle zu. Erinnerungen aus meiner Kindheit und jungen Mädchentagen. Wobei meine Kindheit trotz allem nicht ausschließlich schlecht war. Es gab viele glückliche Momente. Einer Vergewaltigung mit vorgehaltenem Messer eines Jugendlichen entkam ich dadurch, dass in dem Haus, in dem mich der Täter die Treppe hochschleifte, plötzliche eine Wohnungstür aufging. Ich werde diese Angst, diese Hilflosigkeit, diese Ohnmacht nie vergessen. Fast noch schlimmer aber war das Schweigen danach. Das Schweigen meiner Oma, die ich damals besuchen wollte, und das Schweigen meiner Mutter. Die stummen Schuldzuweisungen machten mich zum zweiten Mal zum Opfer. Auch daran scheitert unser Rechtssystem. Die Opfer werden zu Tätern gemacht. Weil sie provoziert, sich zu sexy angezogen hätten, oder was weiß ich. Vielen Frauen fehlt der Mut. Denn in der Öffentlichkeit müssen sie sich nicht nur gegen die Täter behaupten, sondern auch gegen „Daran ist sie doch selber Schuld“.
    Wie schlimm es aber in Gesellschaften zugeht, in denen Frauen Menschen zweiter Klasse sind, können wir uns wahrscheinlich nicht wirklich vorstellen. Die Gleichberechtigung ist noch Lichtjahre entfernt.
    Herzliche Grüße,
    Elvira

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    • Liebe Elvira, danke, dass du dich mit diesem heiklen Thema hier zeigst. Ja heikel, weil es auch hier immer wieder noch so ist, dass die Frauen angeblich provozieren (durch Kleidung etc.) und selbst Schuld sind. Wir hörten es auch u.a. nach Köln und der Sylvesternacht.
      Im weiteren Verlauf des Artikels, den ich gestern zitierte, heisst es auch, dass viele Frauen, die sich jetzt in der Ukraine outen in daruf folgenden Kommentaren beschimpft werden oder abgecancelt mit dem Üblichen: selbst Schuld.
      Das war auch meine Falle, allerdings durch meine katholische Erziehung, in der die Frau ja sowieso schlecht und sündig war. So habe ich vieles erst gar nicht erzählt und mit mir selbst gerungen.
      erst vor kurzem las ich eine Trilogier von Ulla Hahn, auch hier geht es ab Ende des ersten Bandes um eine Vergewaltigung. Ich kaufte den zweiten Band allein deswegen, weil ich unbedingt wissen wollte, wie „Hilla“, die Protagonistin, aus diesem Schlamassel heraus gekommen ist. Auch sie fühlte sich schuldig, auch sie war katholisch sozialisiert und das noch 10 Jahre vor mir.
      Die Liste der Frauen, die in irgendeiner Form Gewalt durch Männer erfahren haben, wäre, würden wir eine aufsetzen, bestimmt auch ziemlich lang, vielleicht wäre es nicht jede dritte Frau, wobei selbst das für mich vorstellbar ist. Bei der Gewalt geht es in meinen Augen nicht nur um Vergewaltigung, das allerdings ist die schlimmste Form, die am schwierigsten zu überwinden ist, für manche nie.
      Ja, die Gleichberechtigung ist noch Lichtjahre entfernt 😦

      sonnige Grüsse an dich, ich war gerade schon im Garten Königskerzenblüten pflücken, in solchen Momenten kenne ich nur eins: Frieden und Freude und die schicke ich dir jetzt mit
      Ulli

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  5. Ich habe sie nie begriffen, diese Gewalt, die Männern Frauen antun.
    Immer war sie da, von Beginn an. In allen Kriegen war es gang und gäbe. Die männlichen Soldaten warfen ihr Menschkleid ab und wurden zu Bestien. Immer, nie war es anders.
    So unglaublich schnell wird der Mensch zum Barbaren, zum Tier und das Menschliche setzt aus für Minuten, Stunden oder auch längere Zeiten.

    Was passiert in diesen Köpfen, wieso schaltet das Gehirn auf Unterwerfung, auf Macht über das Schwächere, das sich in ihren Augen anbietet, allein weil es DA ist.
    Und dann das überaus eklige gierige Aufleuchten in den Augen mordlüsterner Männer, denn nichts anderes ist es doch, was sich da offenbart, das Weibliche wird gemordet, unterdrückt, nach Lust geschändet und zuhause haben sie oft Frau und Kind… zu denen sie lieb und nett sind, fürsorglich und väterlich, oder auch anders…

    Ich weiß gottseidank, daß es viele, viele andere Männer gibt und auch eine Menge gewalttäger Frauen, aber es ist eine Schande wie Frauen seit eh und je benutzt werden.
    Ich selbst habe auch Erinnerungen an Übergriffe, die ich aber schon sehr lange verdaut habe.

    Liebe Ulli, i ch hatte gestern abend schon gelesen, aber es wurde mir dann zu spät zum Kommentieren.

    Freudig herzliche Sonntagsgrüße an Dich von Bruni

    .

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    • Ich werde es auch nie verstehen und will es auch gar nicht mehr- mehr dazu am Dienstag, jetzt ist mal ausatmen und Sommerfreuden angesagt!
      Ich danke dir von Herzen und grüsse dich sonnig
      Ulli

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