Der Apfelbaum

Eine Buchempfehlung

Der Apfelbaum von Christian Berkel

Irgendwann muss es doch mal gut sein! Kann es je einmal gut sein, wenn es um die Greueltaten der Menschen gegen Mitmenschen geht? Ich finde nicht. Christian Berkel findet das auch nicht. Seine Frage ist auch meine Frage, seine Antwort ist meine Antwort und sein Apfelbaum ist auch mein Apfelbaum und dann doch vielleicht eine andere Sorte.

Christian Berkel ist hierzulande mehr als Schauspieler, denn als Schriftsteller bekannt. Manche haben mehrere Talente. Christian Berkel kann schauspielern und er kann schreiben. In seinem Buch „Der Apfelbaum“ beweist er es mit fein gedrechselten Sätzen und tiefen Erkenntnissen.

Der Plot ist Berkels Spurensuche nach seiner Familiengeschichte, seinen Ahnen und ihrem Sein. In seinen Vor- und Zurückblenden schafft er einen Spannungsbogen von den Ahnen zu seinem jetzigen Sein. Das ist nicht nur einfach eine klassische Familiensaga, es ist mehr. Mehr deswegen, weil es um die Traumen von Kriegs- und Nachkriegsgeborenen geht und wie mensch sich als Nachgeborener in diesem Dschungel der Widersprüchlichkeiten zurecht findet.

Meine Mutter erzählte ihre Geschichten auch immer wieder anders. Was konnte ich ihr glauben? Was war Wahrheit, was war Übertünchung? Nie kannte ich mich wirklich aus und mein Bruder auch nicht. Genau das schildert auch Christian Berkel. Wie war ich erstaunt! Zum ersten Mal las ich darüber. Zum ersten Mal deckte sich diese Wahrnehmung mit der eines anderen.

Berkel machte sich auf den Weg. Er ist weit gekommen, viel weiter als ich je kam. Seine Familiengeschichte ist nicht vergleichbar mit meiner, und dann eben doch wieder. Was haben unsere Eltern verdrängt, was geschönt, was schob sich zwischen die nackten Erinnerungen und ihrem Sein? Fragen, die niemand beantworten kann, die im Raum stehen bleiben, über den Tod hinaus. Was haben sie verschwiegen und warum? Kann ich als Nachgeborene ihre Qualen begreifen oder nur erahnen? Was weiß ich von Lagern, von Flucht, von Gefangenschaft, von Hunger und Durst?

Fremdsein im eigenen Land, plötzlich zu den Unerwünschten und den Verfolgten zu gehören, das vereint auf anderer Ebene. Das lässt Mitgefühl für Schicksale entstehen. Das lässt mich und auch Berkel sagen: „Es kann nicht gut sein. Vergebung vielleicht, aber kein Vergessen, solange ich lebe.“

„Vergebung ist der einzige Weg, um den irreversiblen Fluss der Geschichte umzukehren.“ Hannah Arendt

Mich haben viele Zeilen und Abschnitte in diesem Buch tief berüht, letztlich die ganze Geschichte. Denen unter euch, die wie ich finden, dass es noch immer nicht gut sein darf, der/dem möchte ich dieses Buch ans Herz legen und dieses Mal ganz ohne Zitate.

Nur einen kleinen Makel habe ich zu benennen: ich hätte gerne mehr über den Werdegang von Berkels Schwester Ada erfahren.

(Wie ich gerade gesehen habe, ist nun ein Buch von Berkel mit dem Titel „Ada“ erschienen. -M-)

Christian Berkel – Der Apfelbaum – ullstein Verlag ISBN 978-3-548-06086-6


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41 Gedanken zu „Der Apfelbaum

  1. Ah, danke! Die Hanna-Arendt-Fraktion grüsst Dich an diesem dunklen – Neumond-Morgen: „Vergebung ist der einzige Weg…….“ Wie schwer ist das! Mir geht es immer nur darum was ich nicht schaffte. Dir liebe Grüsse und ich weiss jetzt auch was ich am Schauspieler Berkel nicht so mag. Er erinnert mich wohl an Dinge an die ich nicht erinnert werden möchte. Ruth

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  2. Das Unklärbare in Familiengeschichten, sofern man alle Möglichkeiten zur Klärung ausgeschöpft hat, kann man nur in seiner Offenheit stehenlassen und damit Frieden schließen. Sonst wird es zum Alptraum, der alles vergiftet.
    Dein Buchtipp klingt interessant, Ulli. Hab einen guten Tag.

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  3. Liebe Ulli, ich schließe mich Deiner Leseempfehlung voll an, hatte mir den Apfelbaum gleich nach Erscheinen gekauft und war auch tief berührt, von dem was er so schonungslos beschreibt. Ada wird folgen, ich bin nach dem Enkelbesuch noch nicht wieder ganz da und noch weit weg von den Neuerscheinungen. Ich mag im übrigen Berkel auch als Schauspieler. Einen lieben Gruß zu Dir, Karin -vollerfüllt vom Enkel, aber noch ein wenig erholungsbedürftig -:)))

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    • Erst einmal möchte ich dir zur Großmutterschaft von Herzen gratulieren, liebe Karin.
      Ada ist jetzt wohl raus, las ich gestern auf Twitter. Ich werde es auch lesen.
      Gutes dir und liebe Grüße
      Ulli

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      • Liebe Ulli, es war seine erste große Reise allein ohne Familie und er steckt mit seinen 6 Jahren voller Energie und vor allem Kraft, aber für mich waren es Tage, von denen ich lange zehren werde und die nachklingen. Er hat schon beschlossen, dass er im nächsten Jahr, wenn die Schule für ihn anfängt, er jedes Jahr einmal allein zu mir kommt -:)) Sein kleiner Bruder von 14 Monaten ist genauso ein temperamentvoller Fratz, ihn durfte ich ja bei der Tochter genießen.

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  4. Guten Tag

    In der Verstrickung, mit den Ahnen in mir selbst, von Mutter, Vater und Geschwistern, ist Vergebung ein mir unerfüllter Wunsch zur Versöhnung geblieben.

    Die Geschichte in der Seele verankert, geschrieben, lässt sich nicht umkehren.

    Liebe Grüße
    Hans

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    • Lieber Hans, durch Vergebung kann man nichts löschen, aber Frieden finden. Allerdings gelingt mir das lange nicht in allen Feldern. Ich übe.
      Liebe Grüße
      Ulli

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      • Liebe Ulli,

        Ich kann anderen, ihrem sogenannten „Vergehen“, ihre Schuldenlast nicht nehmen.

        Ausserdem, bin ich nicht imstande, ein Urteil über Gut und Böse fällen.

        Die Vergebung, die jemand für sich selbst erwartet; es gibt „ihn“ in Erwartung, sich selbst gemacht, erdacht, keinen Erlöser.

        Die Banalität des Bösen, dies wäre mir ein Freibrief für mein Tun und Lassen.
        – Keine Sühnetat, die mich von meinem Schattendasein, meinem Übel befreien könnte.

        Zwischen böse und gut, das ist mir der Zwiespalt; die Einsicht, kommt immer nach der Tat; dem Nichtstun, in einem später.

        Den „Frieden“ für mich selbst nicht finden zu können, ist mir Übung und Mahnung zugleich, keinem anderen.

        Herzlichen Dank für Deine Antwort

        liebe Grüße
        Hans

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        • Lieber Hans, ja, das ist ein schwieriges Feld, da stimme ich mit dir überein.
          Gut und böse: vielleicht kann man es so betrachten, dass ich mich (ich schreibe jetzt absichtlich nicht „man“) immer wieder meiner eigenen Motivation versichere und aus ihr heraus das Beste gebe. Mein Maßstab ist dabei: geht es danach den anderen besser oder schlechter? Wenn es ihnen besser geht, dann ist es gelungen. Streue ich aber Leid, dann muss ich innehalten und schauen was ich ändern kann.
          Bezogen auf die UNsäglichkeiten des dritten Reiches ist das natürlich noch einmal anders. Wie schon geschrieben, kann ich in dem Feld nicht einfach so vergeben und vergessen schon gar nicht, da es ja gilt zu verhindern, dass so etwas nie mehr möglich sein darf. Und doch verbreiten weiterhin Menschen viel Leid, da muss dann wieder Jede und Jeder einen Weg finden.
          Liebe Grüße
          Ulli

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          • Liebe Ulli

            Ja, so denke ich auch. Das „man“ gibt es für mich nicht.

            Mir scheint die Welt des Bösen ist genau so am Werk, unter der Fassade der richtigen Wahrheit an der wir festhalten wollen in uns allen. Dem Antrieb, das Bessere sei für mich und andere das Ziel, es zu erreichen mir und anderen, durch wahre Tugenden letztendlich möglich.

            Das Verhindern des absoluten Bösen durch den menschlichen Verstand, der reinen autonomen Vernunft ist den Philosophen, den Spirituellen, den Seelsorgern, den Mächtigen für das Bessere, für das Gute den Menschen, bis heute nicht gelungen.

            Ich kann auf meinem Weg mir keinen Maßtab finden. Die eigene Erziehung, ohne einen festen Halt, ohne das Abtasten der Befindlichkeit eines anderen, findet sich mir selbst kein Ende.

            Herzliche Grüße, vielen Dank für Deine Antwort.
            Hans

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  5. Wir Nachgeborenen mit den ererbten Traumata, die nicht aus eigenem Erleben entstanden sind, haben es diesbezüglich auch nicht leicht. Man kann nicht vergeben, was man nicht getan hat und anderen zu vergeben, was man viellwicht selbst auch getan hätte in ihrer Situation finde ich anmaßend…

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    • Liebe Myriade, ich verstehe Vergebung in diesem Punkt etwas anders. Durch meine Gespräche mit meiner Mutter und der intensiven Auseinandersetzung mit dieser Zeit, bin ich dazu gekommen, dass Vieles aus Unwissenheit passiert ist, so konnte ich zumindest meiner Mutter gegenüber ein Mitgefühl entwickeln, statt ihr Vorwürfe zu machen, wieso und warum …. wie es viele andere meiner Generation getan haben.
      Wir alle tragen an den Traumata mit und jede und jeder kann einen Weg finden das Ganze in sich zu befrieden, dazu braucht es aber auch gewisse Bewusstseinsprozesse, die nicht allen möglich sind. Ja, vielleicht wäre Befriedung das bessere Wort, statt Vergebung!
      Herzlichst, Ulli

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      • Ja, mit „befrieden“ komme ich besser zurecht. Ich denke, dass man jemandem nur dann Vorwürfe machen könnte, wenn man selbst in gleichen Situationen anders und besser gehandelt hätte. Aber befrieden kann man das eigene Leben

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        • Guten Tag

          Das Böse als Erbe
          ihr Schweigen zur Tat
          dem Wegschauen
          die Lüge der Ahnen

          dann, kommt das eigene noch dazu
          den Mut
          eigene Schuld
          beides zu ertragen
          auch wenn der lang ersehnte
          Friede nie Wirklichkeit werden mag

          lg Hans

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            • Guten Tag

              Die Gesichte der Zeit
              ist mit Blutwunden
              Leid, Krankheit
              Unterdrückung
              Mord und Totschlag
              vor allem der
              Frauen und Kinder
              übersät

              das wirkliche Leben
              sagt mir seit meiner
              Kindheit etwas anderes

              der Glaube
              die Hoffnung
              meine Gewissheiten
              nicht all zu sehr
              zu bemühen

              meine Schattenarbeit
              nur für mich selbst
              ohne Verheissung
              lässt mich täglich
              meine einfachen
              Schritte in meinem Alltag tun

              lg Hans

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    • Liebe INes, das ist wohl wahr, dass so manches unter dem Teppich hervorkommt, wovon man dann auch nicht wirklich weiß, ob man das wissen wollte. Aber um zu gesunden und auch zu verstehen warum man selbst an der einen oder anderen Stelle wie fremdbestimmt reagiert, ist solch ein Stöbern wohl wichtig?!
      Dafür wünsche ich dir viel Kraft. Als ich mich sehr intensiv damit beschäftigt habe, flossen auch manche Tränen, gleichzeitig habe ich mehr verstanden. Jetzt bin ich dafür dankbar, da ich dadurch auch in mir das eine und andere wenden konnte.
      Herzliche Grüße
      Ulli

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    • Das Erbe geht eben weit über die körperliche Genetik hinaus. Ich spreche da immer gerne von Seelengenen, auch wenn dies nicht populär ist.
      Viele von uns tragen oder trugen schwer an den Traumata der Eltern, plus dieser unsäglichen christlichen Lehre. Steinige Wege waren das und sind es vielleicht hier und da immer noch. Nach einer Häutung steht die nächste schon in der Warteschleife.
      Ich danke dir und grüße dich herzlich,
      Ulli

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  6. Mein Apfelbaum von Herrn Berkel ist unterwegs zu mir. Müßte eigentlich morgen oder übermorgen schon ankommen. Wir haben wohl als Heranwachsende alle versucht, mit Eltern und Verwandten Gespräche über diese Zeit zu führen. Immer gelang es nicht, aber oft genug, wenigstens bei mir. Sie wußten weniger, als ich dachte.
    Auf dem Dorf bekam man nicht alles mit. Durch einen Onkel, der in der Stadt bei der Bahn arbeitete, erfuhr man dann doch mehr und es war schrecklich, was er weinend erzählte … Da zog dann die Angst auch im Dorf ein.
    Ich bin sehr gespannt auf dieses Buch und seine Geschichte. Bisher kenne ich Christian Berkel ja nur als Schauspieler.
    Liebe Grüße in die Nacht von Bruni

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    • Liebe Bruni, es ist und bleibt die Frage, wer was gewusst hat und was im Nachhinein verdrängt wurde. Was einem Trauma zugeordnet werden kann, was absichtlichem Verschweigen, was der Scham usw.

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        • Als ich die Stammbaumforschung gemacht habe, redete ich auch mit meinem Onkel, dem jüngeren Bruder meiner Mutter. Über einiges sprach er gerne, aber auf die Zeit der Flucht von hier nach dort und zurück angesprochen, sagte er ganz klar, dass er über diese Zeit nicht mehr sprechen will, wie meine Mutter übrigens auch. Es sei alles gesagt. Ich habe das respektiert, wollte nicht an ihren traumatischen Erlebnissen rühren.

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            • Meine Mutter hat mit etwas mehr als 70 Jahren versucht ihre Geschichte für uns aufzuschreiben, ist aber gescheitert, weil ihr die Trauer immer wieder dazwischen kam. Auch das habe ich respektiert. Es muss schrecklich gewesen sein! Bei so einer Vergangenheitsbewaeltigung braucht es vielleicht Fachpersonal für Traumata an ihrer Seite.

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              • Sie hätte es auf jeden Fall gebraucht.
                Meine Grosseltern väterlicherseits, die aus Niederschlesien vertrieben wurden,kannte ich nicht gut und sie starben früh. Meine Gespräche fanden ausschließlich mit den Eltern und Verwandten meiner Mutter statt.

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                • Es gab schon auch Auseinandersetzungen von meiner Mutter und den Verwandten in den 1960er Jahren, da war ich aber noch zu klein und wurde bei diesen Treffen immer in den Garten geschickt. Dann kam der Punkt, an dem meine Mutter befand, dass es für sie nun gut sei.
                  Wer möchte schon ein Leben lang in alten Wunden rühren?!

                  Gefällt 3 Personen

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