Miniatur – Silentium

0155 23.06.16

Ich umkreise den Kern des Seins und bin der zu- und abnehmende Mond meines nichtigen Universums.

Was wäre gewesen, wenn ich nicht einmal eine der verbotenen Blumen gepflückt, was, wenn ich nie durch die Schlüssellöcher der verschlossenen Türen geschaut und nicht wenigstens einmal von den verbotenen Früchten genascht hätte? Wer verbietet, wer verschließt, wer erlaubt? Konzepte von Moral und Tugend und erlassene Gesetze der Zeit und der Gesellschaft, in der wir gerade eben leben, fesseln die freie Entfaltung.

Atemnot und Ohnmachten sind Folgen von zu eng geschnürten Korsagen. Mir steht so vieles nicht. Inmitten von Verbotsschildern und Wegweisern wähle ich den anderen Weg. Hier und dort leuchtet eine Laterne. Ich folge noch lange nicht jedem Irrlicht, verirren ist menschlich und Rückwege müssen manchmal sein. Missing links treiben sich in den nächtlichen Straßen herum, da bin ich froh über jedes noch so kleine Licht, den Schlüssel mit dem blank geputztem Bart und dem freundlich schauenden Auge in der linken Hand.

Hohe Fensterflügel stehen weit, weiße Stores wehen in der sommerlichen Brise, ein blauer Vogel singt am Morgen. In der Vase auf dem Boden leuchtet eine der verbotenen Blumen, in der Schale daneben liegt angebissen eine der verbotenen Früchte. Wie süß sie war! Verschlossene Türen waren einmal, nur Dunkelkammern bleiben einen Schritt entfernt.

Eine Frau in einem weißen Sommerkleid durchquert die Räume, ihre Füße sind nackt, auf ihrer Schulter sitzt ein kleiner, blauer Vogel. Er singt leise, nur für sie. Sie tanzt kleine Schritte, nur für ihn.

36 Gedanken zu „Miniatur – Silentium

  1. Die Musik passt zum Text sehr schön.
    Das weiße Sommerkleid hängt allerdings bei 12 Grad am Schrank und wartet auf wärmere Tage.
    Deine Worte bringen mir Bilder aus wärmeren Zeiten, wenn ich durch die verbotenen Schlüssellöcher vergangener Jahre blicke und das Obst in der Schale lockt mit verbotenen Genüssen, denen zu widerstehen sich jedes weitere Jahr etwas älter und reifer anfühlt, doch nicht süßer sondern bitterer. Doch bitter heilt gut, sagen die Alten…

    Morgengrüße zu Dir
    von der Fee ✨

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    • Liebe Fee, dir verdanke ich die Entdeckung von Arvo Pärt, dafür bin ich dir unendlich dankbar, es öffnete sich eine weitere Klangdimension für mich.
      Bitter bringt die Säfte in den Fluss und fliessen soll es in uns und wir mit und gegen ihn, je nachdem. Manch angebotene Frucht, sei sie auf den ersten Blick noch so verführerisch, bleibt besser in den Händen des anderen. Wir folgen nicht mehr jedem Irrlicht, weil wir älter geworden sind und vielleicht ein kleines bisschen weiser.
      Ich danke dir für deinen feinen Kommentar und grüsse dich sehr herzlich
      Ulli

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      • …und ich verdanke Arvo Pärt dem Disputnik, es eröffneten sich mir neue Klangwelten, es ist Friedlichmusik…die weidet mich auf grünen stillen Auen. Die bitterste Frucht der Welt, die Handalfrucht ist eine sehr starke Wüstenmedizin, die sogar Skorpionstiche heilen kann. Sie ist so bitter, dass man sie nur kurz im Mund behalten kann, weil sie alles zusammenzieht. War mir als Kind übel, musste ich bei meiner Großmutter Tausendgüldenkrautee oder ersatzweise Wermuttee trinken. Oh, war das Gebräu bitter! Mir zieht sich alles im Mund zusammen, nur bei der Erinnerung dieses Geschmacks! Doch es halt es sehr gut und ich überlegte mir als Kind sehr genau, ob mir wirklich übel war.😇

        Die verbotenen Früchte, das lernen wir, erscheinen uns nur süß. Beißen wir hinein stellen wir schnell fest, dass sie sauer und noch ganz unreif sind. Irrlichter sind wir selbst und erkennen uns in den anderen wieder, trösten uns und manchmal halten wir uns über dem Moor treibend mit Händen aus Licht.

        Bin sehr gern Gast bei Dir, Ulli

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      • Von der Handalfrucht habe ich noch nie etwas gehört, aber das Tausendgüldenkraut und den Wermut, ja, den kenne ich auch, aber da greife ich doch lieber zur Schafgarbe, die auch bitter ist, aber nicht sooo. Aber klar, manchmal braucht es eben richtig bitter.

        Und was du noch schriebst, das lasse ich jetzt mal in mich hinein und dort darf es in mir kreiseln, sich ausbreiten und vielleicht schlägt es ja Wurzeln und treibt im nächsten Jahr richtig süsse Früchtchen 😉
        herzlichst
        Ulli
        und so, wie du gerne mein Gast bist, so habe ich dich gern zu Besuch

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  2. Deine Texte sind wie Klangbilder, die verzaubern. Es ist gar nicht nötig, sich bei der jeweiligen Bedeutung aufzuhalten und sie zu ergründen. Und doch fühle ich unter dem süßen Klang eine Rauheit, eine Widerständigkeit, eine Bitterkeit auch, die zwischen den Zähnen knirscht wie der Kaffeesatz, den man mit dem süßen Getränk in den Mund bekam.

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  3. arvo pärt werde ich immer mit meiner verstorbenen lebenspartnerin in verbindung bringen. sie wünschte sich von mir, dass sie in ihrem gang von da noch dort «spiegel im spiegel» von arvo pärt hören kann, da sie diese musik beruhige, sagte sie mir fürs verstehen. ich konnte ihr ihren wunsch glücklicherweise erfüllen. seitdem habe ich zu pärts musik eine noch speziellere beziehung und bin von seinen klägen immer fasziniert. lieber gruss. barbara

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    • Danke barbara, das du dies mit mir teilst, das ist für mich keine Selbstverständlichkeit! Zu „Spiegel im Spiegel“ machte ich eine Fotomontage, die zeige ich bald …
      herzliche Grüsse
      Ulli

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      • Liebe Babsi, es ist doch gut, dass du schreibst, wie es dir geht, ich hatte dich schon erstanden, wollte nur noch einmal klar machen, dass ja nicht jede alles mögen muss, auch wenn ich mir denke, dass du das weisst. Die Musik ist ja auch nur eine Unterlegung des Textes, der hier Vorrang für mich hatte…
        schöne Morgengrüsse vom blauen Berg
        Ulli

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  4. wundervoll dieses Sanctuary…
    Unsere heutigen zu eng geschnürten Korsagen sehen anders aus, aber sie sind ebenso einschränkend wie einengend.
    Verbotene Blumen und verschlossene Türen, die Blicke in die dahinter liegenden geheimnisumwitterten Räume sind doch so dicht vor unseren Nasen, wie sollten wir keine Sehnsucht nach ihnen empfinden? Liegt da etwa die Freiheit, die wir ersehnen, liegt da der Gang aus dem Trüben heraus? Reizvoll ist es auf alle Fälle und wen es nie anrührt, dem fehlt das Sehnen nach dem Menschlichen, das wir zu finden hoffen, dem, was manche Liebe nennen und das vielleicht nur ein inniges Miteinander ist, Frieden und Freude in erdigem Leid.

    Und am Ende errkenne ich Dich, liebe Ulli. Du bist es, die die Räume durchschreitet, die mit dem hellen und lichten Blick – wenn sich die Türen geöffnet haben und sie werden es tun.
    Hab noch ein wenig Geduld, dann wirst Du sehen *lächel*

    Liebe Abendgrüße von mir

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    • Liebe Bruni, vielleicht geht es ja, denke ich gerade, nachdem ich deins gelesen habe, um Weite, statt um Freiheit? Freiheit ist ja so eine Geschichte für dich, ich tanze dann noch eher mit der Unabhängigkeit, durch sie kann ich Momente der Freiheit erfahren.
      Ach und so … ich freue mich immer sehr über deins und danke dir
      herzliche Grüsse
      Ulli, heute sehr müde …

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  5. Sind Freiheit und Weite, die wir um uns mögen, nicht sehr ähnlich?
    Frei sein bedeutet doch, Weite um sich zu spüren und keine einengenden Grenzen
    Oder irre ich mich etwa?

    Sehr müde? Das glaube ich gerne, kenne dieses Gefühl zur Zeit auch sehr gut.
    Ich wünsche Dir eine gute und wohltuende Nacht, liebe Ulli

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    • Freiheit und Weite gehen schon ein Stückweit Hand in Hand, ja, aber was ist nun wirklich Freiheit? Gestern gab es bei Tristan Rosenkranz dazu einen guten Satz, sinngemäss: Freiheit leigt zwischen Reiz und Reaktion, soll heissen (in dem Fall), ich habe die Freiheit zu entscheiden, wie ich auf einen Reiz reagiere, ich stimme dem zu, wohlwissend, dass es ein hohes Mass an Achtsamkeit braucht, sowie ein Wissen um die eigenen Muster, um überhaupt bei dieser Freiheit anzukommen. Die nähste Freiheit ist die, die du benennst, die der nicht einengenden Grenzen … was ja auch ein Stückweit indiiduell ist, was mich einschränkt, muss es dich ja noch lange nicht und Grenzen gibt es nun einmal, egal, wie weit wir sie stecken. Ich denke hierei auch an die begleitung unserer Kinder, grenzenlos funktioniert nicht! Zu eng, aber eben auch nicht. Weisst du, liebe Bruni worin ich Freiheit sehe? Darin ja oder nein zum Leben zu sagen, mit allen Konsequenzen …
      Nun hatte ich eine kurze Nacht, bin schon seit 6h wach und fand den Schlaf nicht mehr, schade!
      Heute soll es sehr warm und schön werden, geniessen wir doch diesen Tag und sind dann am Abend wieder rechtschaffen müde 😉
      herzliche Morgengrüsse
      Ulli

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  6. Dieser Tag ist ein guter, ein befreiender, liebe Ulli 🙂
    Die Freiheit, mit Reizen umzugehen, ist doch eine eher *kleinere* Freiheit, sollte eine selbstverständliche sein.
    *die Freiheit zu entscheiden, wie ich auf einen Reiz reagiere, ich stimme dem zu,*
    lese ich bei Dir und natürlich stimme ich hier auch zu.
    Aber das, was Du mit Unabhänigkeit meinst, ist eine andere, eine völlige Freiheit von Konventionen, die möchte ich in Maßen, aber nicht unbedingt in aller Konseqenz.
    Das würde mir ein schlechtes Gewissen bereiten, wenn ich an meine Töchter denke.
    Da gibt es schon gewisse Dinge, da gebe ich meine freien Zeiten auf und springe ein,
    wenn ich gefragt werde und doch bin ich froh, wenn ich mich frei bewegen kann in einem
    weiten Rahmen, der mir Spielraum gibt, genügend, damit ich mich entfalten kann, liebe Ulli.
    Fehlen mir durch gewisse Umsände diese Freiheiten, dann geht es mir nicht gut und geht es
    länger so, rebelliert mein Körper und meine Seele eilt ihm hinterher…
    Dann sind Pausen angesagt, dringend.

    Sehr herzlcihe Grüße von Bruni an Dich

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    • Liebe Bruni, ja, einengen geht gar nicht, auch nicht von den Kindern bei den Eltern …
      Gestern habe ich mir eine Sonderausgabe der Zeitschrift „Philosophie“ gekauft: Hannah Arendt, da gibt es noch ganz andere Definitionen zur Freiheit, doch dazu ein anderes Mal mehr, ich denke noch und habe dieses Heft noch lange nicht ausgelesen, viel Gedankenfutter steckt darin, von einer Frau, die ich sehr verehre!
      Herzliche Grüsse
      Ulli

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  7. Liebe Ulli, oh ja, Hannah Ahrendt, lang hab ich nicht an sie gedacht, aber was für ein Geist!
    Was für eine Frau und doch litte auch sie an der Liebe *lächel*

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