Zu den #Schattenklängen

Stachel im Kopf

Am 11. April hat Sofasophia die Blogaktion #Schattenklänge beendet. Dreiundzwanzig Beiträge konnte sie sammeln. Nun geht es darum ob sich genügend InteressentInnen finden, dass daraus ein eBook wird. Der Erlös soll einem Projekt für Menschen am Rande der Gesellschaft zugute kommen. Ich freue mich, wenn diese Idee zu einem Erfolg wird, ganz nach dem Motto: Kleinvieh macht auch Mist!

Bitte schaut doch bei ihr, dort könnt ihr unter verschiedenen Möglichkeiten wählen. Danke.

https://sofasophia.wordpress.com/2018/04/11/abschluss-der-blogaktion-schattenklaenge/

#Schattenklänge 01-2018

Friedensplatz

Menschen kamen und gingen, stiegen aus Bussen aus, stiegen ein, warteten auf ihre Linien.

Es war ein karger Platz, der Wind fand keine Brechung und das Plexiglas über den lieblosen Schalensitzen hielt nur notdürftig den Regen ab. Trotzdem, hierher kamen sie, mal der eine, mal die anderen, hier an die Bushaltestelle „Friedensplatz“.

Hier saßen sie, hörten weg oder sich gegenseitig zu, schauten sich an oder unter sich, schwiegen oder redeten, mit sich selbst oder anderen, rauchten und tranken.

Am Morgen kam immer als Erster der Mann, der mit sich selber sprach. Am Morgen war die Welt einfach nur die Welt. Bis hierher hatte er seinen abgeschabten, blauen Rollkoffer hinter sich hergezogen, Morgen für Morgen von Irgendwoher.  Immer setzte er sich an den äussersten Rand, kramte in seiner Jackentasche und begann zu trinken. Er redete. Er redete immer, über die Faulpelze, die ihre Arbeit nicht tun wollten und nicht dankbar waren, weil sie eine Arbeit hatten. Über damals … in Amerika und über einst … in Neuseeland, wohin seine Frau verschwunden war.

So … ließ man ihn. Kein Ordnungsdienst, keine Polizei, keine sich mokierenden Bürgerinnen und Bürger. Am Morgen wollte er niemanden bestrafen, sich nie rächen, das kam später, manchmal, manchmal nicht und wenn, dann mokierten sich eben doch die Bürgerinnen und Bürger, es folgten die Ordnungshüter *innen, Platzverweise, er ging. Er zog seinen abgeschabten, blauen Rollkoffer hinter sich her, sein halblanges Haar klebte in fettigen Strähnen an seinem Kopf, seine Turnschuhe hielten den Regen nicht ab. Er ging nach Irgendwohin.

Menschen kamen und gingen, stiegen aus Bussen aus, stiegen ein, warteten auf ihre Linien.

Manchmal kam ein kleiner, sehr dünner und sehr farbloser Mann. Auch er setzte sich an den äußersten Rand, an den anderen, wenn der Mann, der mit sich selber sprach schon angekommen war. Unruhig wippte er mit seinem rechten Bein, das er über das linke Bein geschlagen hatte. Er hielt seinen rechten Zeigefinger ans Ohr, er telefonierte, leise, sehr leise, lange, sehr lange, viele Minuten lang … mit seinem Zeigefinger. Man hatte ihn schon aus dem Blick verloren, wäre dann nicht plötzlich sein Gesicht hochrot angeschwollen, wäre seine, vorher kaum hörbare Stimme, nicht plötzlich laut geworden, hätte er sich nicht hektisch das Haar immer und immer wieder über das rechte Ohr gestrichen, so, als könnte diese Geste das Gehörte ungehört machen und wäre er nicht mir-nichts-dir-nichts aufgesprungen und im Dauerlauf von links nach rechts über den Friedensplatz gelaufen, heftig gestikulierend, schimpfend, rot im Gesicht. Kein Blick erreichte ihn. Niemand hielt ihn auf, manche schüttelten ihre Köpfe, alle gingen ihrer Wege.

Menschen kamen und gingen, stiegen aus Bussen aus, stiegen ein, warteten auf ihre Linien.

Gen Mittag kam der Stille. Er saß gerne auf dem vorletzten Platz, er war ein stattlicher Mann in ergrauten Jahren. Der dunkelblaue Dufflecoat spannte ein bißchen über seinem Bauch, sonst war alles pikobello. Er schaute geradeaus, ruhig, in sich gekehrt. Er hatte immer ein Päckchen von dem teuren Tabak dabei, drehte sich eine Zigarette, begann zu rauchen, dann nickte er ein, seine Finger waren gelb von der verqualmenden Zigarette, die ihn nie verbrannte. Manchmal schaute er auf, sah jemanden nach, als würde er sich erinnern. Manchmal schaute er auch auf den Mann, der mit sich selber sprach oder auf den kleinen, sehr dünnen, sehr farblosen Mann, schaute und schaute weg. Still saß er da, eine Stunde, zwei Stunden, drehte seine Zigaretten, nickte ein, schaute, sah jemanden nach und dann war er wieder weg, er hinterließ keine Spuren.

Menschen kamen und gingen, stiegen aus Bussen aus, stiegen ein, warteten auf ihre Linien.

Nicht immer war jeder für sich. Es kam auch der, der ein Handwerker hätte sein können, oder ein Gärtner. Er trank gerne eine Dose Bier, die er aus seiner olivgrünen Cargohose zog. Er war groß und schlank mit dunklen Haaren und hatte stets ein freches Grinsen im Gesicht, er gesellte sich ab und an zu dem Mann, der mit sich selber sprach. Der wurde dann ganz ruhig. Sie redeten miteinander, sie lachten, sie waren Zwei von vielen. So ließ man sie … kein Ordnungsdienst, keine Polizei, keine sich mokierenden Bürgerinnen und Bürger.

Menschen kamen und gingen, stiegen aus Bussen aus, stiegen ein, warteten auf ihre Linien.

Von Irgendwo nach Irgendwohin, Endlosschleife, kein Happy End, und plötzlich fehlt Einer. Menschen kommen und gehen, steigen aus Bussen aus, steigen ein, warten auf ihre Linien.



Anmerkung

#Schattenklänge ist ein Projekt von Sofasophia →, wer mehr erfahren möchte, lese bitte bei ihr, dort findet ihr die Spielregeln, es ist jede und jeder eingeladen eine Geschichte, einen Text, ein Gedicht oder ein Bild zum Thema beizutragen.

Das Foto von dem Monolithen im Vigelandpark in Oslo fand ich unter → https://www.visitoslo.com/de/produkt/?TLp=181601