Irvin D. Yalom: zwei seiner Bücher oder Gedanken zu Leben und Tod

0189 19.11.13 leben und tod

 

(den Tod auf dieser Collage  habe ich aus dem Bild „Apokalypse“ von Vasnetov ausgeschnitten)

Irvin D. Yalom ist ein amerikanischer Psychoanalytiker, der nicht nur Sachbücher schreibt. In den letzten zwei Wochen las ich von ihm: die rote Couch und die Schopenhauer-Kur.

In der roten Couch geht es vornehmlich um die Diskussion, ob die Psychoanalyse im Gegensatz zu den, in den letzten Jahrzehnten neu entstandenen Therapierichtungen, die einzig wahre Methode sei. Yalom selbst scheint da seine Zweifel zu haben, würde er sonst einen der Protagonisten, Analytiker der alten Schule, derart arrogant erscheinen lassen? Und wieso sonst lässt er den Gegenspieler so erfolgreich in seinen neuen Methoden sein? Es gibt viele Wege, wir haben die Wahl, was auch Yalom nicht anders darstellt.

In der roten Couch geht es auch um Missbrauch der Therapeuten an ihren Klientinnen, sowie der Erhöhung des eigenen Selbstwerts dadurch, dass man für andere hilfreich ist. Ich mochte die kritische Haltung, die Yalom eingenommen hat. Noch mehr mochte ich die nicht vorhersehbare Entwicklung seiner Geschichte. Gleichzeitig erinnerte mich das Buch an meine eigene Werkzeugkiste, die es in manchen Momenten gilt aus der staubigen Ecke hervor zu holen. Allein dafür hat sich dieses Buch gelohnt zu lesen.

Nachhaltiger aber beschäftigt mich die Schopenhauer-Kur. Nein, ich habe Schopenhauer nicht gelesen und habe es Zurzeit auch nicht vor. In dem Buch von Yalom wird Schopenhauers Leben gezeichnet und die einzelnen Kapitel hat Yalom mit Zitaten aus Schopenhauers Werken überschrieben. Hierfür hat sich der Autor, wie im Verzeichnis nachzulesen ist, selbst mit vielen Werken von und um Schopenhauer auseinander gesetzt. Unbestritten ist Schopenhauer ein großer Denker gewesen, aber seine Haltung gegenüber seinen Mitmenschen, besonders den Frauen gegenüber, ließ mich erschauern. Der Grund hierfür liegt in seiner Kindheit (wo auch sonst …) und dass er sich zeitlebens der geistigen Welt verschrieben hat und nur ihr. Hier genau beginnt auch die Diskussion des Buches: wenn doch der Tod allgegenwärtig ist und mit Beginn eines jeden Lebens das Sterben beginnt, wofür lebe ich? Gilt es nicht, neben allem lernen und hinterfragen, das Leben zu genießen, seine Freuden, seine Schönheit?
Yalom ist es wunderbar gelungen diese Fragen einzukreisen, er stellt Erkenntnisse aus der Psychologie, der Philosophie, den Religionen und des Buddhismus gegenüber.
(ich führe den Buddhismus absichtlich nicht unter den Religionen auf, für mich ist es immer noch Philosophie, zumal es keinen Gott, keine Göttin weit und breit gibt, auch wenn fehlerhafte Übersetzungen genau dies, besonders im tibetischen Buddhismus, sagen … sprechen wir lieber von Meditationshilfen, von personifizierten Geisteshaltungen, die wir mit diesen Hilfen entwickeln können … – ferner ist das Wort „Buddhismus“ selbst schon ein Übersetzungsfehler, nehmen wir seinen Ursprung, dann heißt es Buddhas Lehren.)
Nebenbei bemerkt, soll auch Schopenhauer seine goldene Buddhastatue sehr geschätzt haben.

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Ja, Buddha sagte, dass das Leben Leiden sei, so entwickelte er Methoden und Philosophie, um dem Leiden zu entkommen oder es zu schmälern.
Eine Falle, die ich sehe, ist das Thema der Anhaftung, das auch Yalom in seinem Buch aufnimmt. Es wird gesagt, man soll alle Anhaftungen aufgeben. Impliziert dies ein Leben nur auf sich gestellt, ohne tiefere Beziehungen und Bindungen, weil ja die Trennung, spätestens durch den Tod, vorprogrammiert sind und damit das Leiden? Entsteht also Leiden dadurch, dass das Leben endlich ist, dass wir während des Lebens mit Verlusten zurecht kommen müssen, neben auftauchenden Krankheiten und der Tatsache des Älterwerdens?
Dahinter steht für mich die Frage nach dem Umgang, der Haltung dem Leben und dem Tod gegenüber. Wieso soll ich den Tod als Feind betrachten, wieso ihm das Adjektiv grausam zuschreiben? Verluste schmerzen … ja! Ich darf trauern und vermissen und gleichzeitig darf ich mich am Leben und seinem Reichtum erfreuen. Darf staunen, darf tanzen und singen, darf der Freude und der Leichtigkeit die Türe öffnen und ich darf ein Leben leben an dessen Ende ich nichts zu bedauern habe. Immer war ich es, die die Weichen stellte, die ich mutig war oder feige, unwissend oder gefangen …

Ein weiteres Thema, das hier angeschnitten wurde, ist ein Leben, dass nur der eigenen Befriedigung und Erfüllung dient. Mitgefühl verträgt sich hiermit nicht und auch nicht die Verantwortung. Ich denke schon lange, dass beides Hand in Hand gehen sollte. Je gesünder und glücklicher ich bin, umso hilfreicher kann ich sein. Das Leben ist für mich ein Wechselspiel, die vier Jahreszeiten und ihre spezielle Qualitäten wunderbare Lehrmeister.

Im Herbst, so sagt man, werden die Grenzen zu den Ahnen durchsichtiger … wir denken aufgrund des Sterbens um uns herum verstärkt an die Menschen, die vor uns gelebt haben, die wir vermissen und doch setze ich den Herbst nicht mit dem Tod auf eine Stufe. Das Leben zieht sich lediglich für eine Weile zurück. Es ist das Sterben selbst, das wir Jahr für Jahr beobachten können. Besonders in diesem Jahr wünschte ich mir, dass doch auch ich, am Ende angekommen, noch einmal in meiner ganzen Farbenpracht aufleuchten möge, bevor ich zerfalle …
Auch denke ich an die Vogelmiere, die selbst noch unter dem Schnee weiter wächst. Ich denke an die weiße Christrose,

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auch Schneerose genannt, deren Hauptblütezeit von Februar bis April ist, bzw. je nach Schnee- und Höhenlage ab November bis Mai.
Wieso ich dies aufführe? Weil ich darin übereinstimme, dass es eine Lebenskraft gibt, die nicht nach Lebensformen fragt, nicht nach Zeit, nicht nach Ort, nicht nach du und ich, die sich selbst immer und immer wiedergebärt in millionenfachem Spiel. Und ist nicht genau das der Schmerz, das Leiden der Menschheit, dass das viel umhegte Ich nebensächlich ist?

0189ab 19.11.13 leben und tod