GedankenFäden 009

RoteFadenGeschichte 023

Da ist er, der Nagel in der Wand und der rote Faden spannt sich nach rechts und nach links und jetzt … wo wird er enden? Gehe ich nach rechts? Gehe ich nach links? Oder verharre ich in der Mitte? Wo ist nur die Mündung? Ich irre durch’s Dickicht. Was mal einfach erschien, ist jetzt ein Stolpergang. Berge rauf und runter, keine Machete für’s Dickicht.

Mitte Mai und noch immer Feuer im Ofen, wenigstens am Abend, auch am frühen Morgen. Die Kartoffeln sind jetzt in der Erde, der Knoblauch ist gesteckt, Salat gepflanzt, die Sonnenblumen auch, die Kräuterbeete sind gehackt. Ich staune über die vielen Ringel- und Kornblumen, die Schlafmützchen auch, die sich seit dem letzten Jahr selbst ausgesät haben. Die Tomatenpflanzen trage ich am Morgen auf die Terasse, am Abend wieder in die Stube, der Mond ist fast voll.

Nachher werde ich noch weiter in der Erde wühlen, werde säen und gießen, werde mit dem Haushängebauchschwein schwatzen, weil es immer an den Zaun kommt, wenn ich werkel. Sie liebt Löwenzahn, sie wird Löwenzahn bekommen! Die Ziegen kommen auch und schauen neugierig durch die Maschen, es wird Zeit, dass sie auf die Sommerweide kommen, hier haben sie nahezu alles abgegrast. Bald. Der Smaragdeidechse ist es noch zu kalt, den Brennnesseln nicht. Ich klatsche Fliegen, die sind lieber in der warmen Stube als draußen. Herrjeh! Mögen sie als geliebte Wesen wiederkommen. Ja, es tut mir leid, aber sie nerven.

Und eigentlich würde ich jetzt meinen gepackten Rollkoffer und meinen Rucksack nehmen und nach Griechenland fliegen … eigentlich und ach … sei nicht traurig … doch, ich bin traurig und dann weine ich und dann ist es.

Ich mag ihn nicht, den Satz, dass das Leben kein Ponyhof ist, aber ich mag das Leben, auch wenn es mir gerade ein Bein gestellt hat. Und ich mag den Satz, der hinfällt, das Krönchen richtet und weitergeht.

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Von Vorstellungen und vom Gehen

In der Vorstellung von Langzeitreisen Zufuß oder per Auto, Bus, Bahn sind Regen- und Winterzeiten an der Peripherie gelagert, Einsamkeit ist nur ein Wort.

Werner Herzog ging vom 23.11.-14.12.1974 von München nach Paris. Lotte Eisner war schwer erkrankt, es hieß sie könne sterben. Herzog ging gegen ihr Sterben an, er wollte sie noch nicht verlieren, persönlich nicht und auch nicht für den Film.

Er ging über die schwäbische Alb, den Schwarzwald, zum Rhein hinunter, durchquerte das Elsass und erreichte nach zweiundzwanzig Tagen Paris. Unwetter, Regen, Schnee, Eis, Hagel, Blizzards ziehen über ihn hinweg und durch ihn hindurch. Nur manchmal blitzte die Sonne auf, das war noch jedes Mal ein Fest.

Zweiundzwanzig Tage an denen er an jedem Abend den vergangenen Tag schreibt, eine Mischung aus Gesehenem, Erlebtem, Gedachtem, Gefühltem, Träumen, Erinnerungen, Geschichten.

Wenn Einer nur geht, nur ab und an eine Gaststätte aufsucht oder eine Pension, kleine Läden betritt für die tägliche Ration, nur wenige Worte wechselt, dann beginnt der Geist eigene, andere Wege zu gehen.

Herzogs Aufzeichnungen gleichen Kurzfilmsequenzen. Seine Sätze höre ich von Bruno Ganz intoniert. Es sind Sätze, die nicht vorüberziehen. Tief, schön und wahr stehen sie fest auf dem Papier, sie lassen sich festhalten. Dieses Mal ist es kein Film ohne Stopp-, Vorwärts- und Rückwärtstaste.

Seit gestern Nachmittag brennen meine Fußsohlen. Als ob sie begonnen hätten zu brennen, weil Werner Herzog zweiundzwanzig Tage über Stock und Stein gegangen ist. Anfangs hatte er Schmerzen und Blasen. Er musste sich eingehen, den Punkt erreichen von dem die Füße und Beine von alleine liefen und den Raum für die Gedanken freigeben konnten.

Während ich lese befinde ich mich immer intensiver in den 1970er Jahren. Ich gehe nicht oft in ihnen spazieren. Jetzt kann ich diese Jahre wieder riechen, sehe Straßendörfer, Dorfstraßen, Feldwege, Kastanienalleen und der Krieg hockte noch überall zwischen den Gemäuern, den Wegen, in Orten, in den Gesichtern, er war noch nah, auch bei Werner Herzog. Jetzt hat sich der Zweite Weltkrieg in die Falten der Geschichte gelegt, er bleibt ein Mahnmal. Wer lässt sich von vergangenen Leiden und Gräuel mahnen, wenn es um Pfründe geht?

In der Vorstellung läuft Einer leichtfüßig von München nach Paris, weil er will, dass Lotte Eisner weiterlebt, weil er alleine sein will. Er denkt nicht an Begegnungen, an Tiere, an Wetter, nicht an Einsamkeit, sie kommen über ihn.

Im Wirtshaus

Als ich aus dem Fenster sah, saß auf dem Dach ein Rabe mit eingezogenem Kopf im Regen und bewegte sich nicht. Viel später saß er immer noch da, reglos und frierend und einsam und still an einem Rabengedanken. Da fuhr ein brüderliches Gefühl in mich hinein und eine Einsamkeit füllte die Brust. (S.23)

Dörfer

Die Dörfer stellen sich beim Näherkommen tot. (S.24)

Weil ich so einsam bin, schenkt mir die rundliche Bedienung über das lauernde Schweigen der Männer hinweg ein fragendes Wort. (S.63)

Mäuse

Mäuse sehe ich so viele. Wir haben alle keine Ahnung mehr davon, wieviele Mäuse es auf der Welt gibt, es ist unvorstellbar. Die Mäuse rascheln ganz leise im niedergedrückten Gras. Nur wer geht sieht die Mäuse. ( … ) Mit Mäusen ist Freundschaft möglich. (S.56)

Vom Gehen

Die Sohlen kochen von dem glühenden Kern im Innern der Erde. Die Vereinsamung ist heute noch tiefer als sonst. Ich entwickle ein dialogisches Verhältnis zu mir selbst. Vom Regen kann man erblinden. (S.75)

Vögel

Vögel habe ich aus einem leeren Acker aufsteigen sehen, es wurden immer mehr, die Luft war schließlich ganz angefüllt mit ihnen, und ich sah, sie kamen aus dem Innern der Erde hervor, von ganz tief innen, wo die Schwerkraft ist. Dort ist auch das Kartoffelbergwerk. (S.86)

Wald

Heute sage ich oft Wald zu mir. Die Wahrheit geht selbst durch Wälder. (S.87)

Weitergehen

In Savieres in der Dorfschule überlegte ich, nach Paris zu fahren. Welchen Sinn hat das. Aber so weit gekommen zu Fuß und dann fahren? Lieber die Sinnlosigkeit, wenn es eine ist, bis zur Neige gekostet. (S.92)

Werner Herzog – Vom Gehen im Eis – Fischer Taschenbuch Verlag F.a.M. 1987 – ISBN 3-596-25198-2


Die 1970er Jahre, der Krieg immer noch nah, Dörfer, die sich tot stellen, lauernde Männer im Wirtshaus – welch eine Enge! Ich spüre sie noch, mitten in meinen damaligen Aufbruch hinein.


Es sind solche schmalen Bändchen, die mich immer mal wieder nachhaltig beschäftigen, die etwas bei mir ins Schwingen bringen und Worte eine eigene Melodie entwickeln.


Dieser Artikel ist Irgendlink gewidmet, dessen Radelreiseberichte ich so schätze …

Samen, Wind und weitergehen

001 samen

Und immer so viel Wind, in diesem frühen Jahr! Viele kleine und größere Winde zubbelten in meinen Haaren und an den Kleidern.Und dann wurde er groß, der Wind. Groß und mächtig. Er fauchte und brauste und grummelte und schrie und tobte und rüttelte und schüttelte an den Fenstern, Türen und Bäumen. Ich dachte an Brandung, sah Wellen sich türmen, spürte Gewaltiges um mich herum, während der Bauwagen, der in den letzten vier Wochen mein Zuhause gewesen ist, hin- und herschwankte. Ich sah ihn abheben, sah mich mit ihm in den Himmel aufsteigen und hörte den kleinen Hävelmann in mir rufen: mehr, guter Mond, blase mehr … während ich auf der Erde blieb und dachte, manchmal ist etwas weniger doch mehr.

002 samen

Noch hingen Herbstsamen an Rohrkolben, standen volle Gräserfruchstände am Wegesrand. Noch …

003 samen

Wandelzeit, von schwarz-weiss zu bunt, von Frost zu mild. Noch ist es närrisch da draussen, noch streiten sich die Eisigen mit den Leichten. Ich lege Samen in die Schalen und gieße Wasser dazu. Es wird sich zeigen, was in diesem Jahr wachsen will und wird …

004 gräser

Wohin geht`s, fragen sich die einen. Wohin geht`s, fragen sich die anderen … weiter geht`s, immer weiter, mit und ohne Wind …

005 bauwagen