
Es ist ein heisser Junitag, ich sitze im Schatten, der Sommer ist da, und doch war der Sommer auch schon vorher da. So frage ich mich, wann für mich der Sommer beginnt, was seine Attribute sind, jenseits von allen Festlegungen und Kalendern …

Sommer ist vor allen Dingen Fülle für mich. Kraft und Energie, Lust und Leidenschaft, Leichtigkeit und Eiscreme, Badesee und kühlende Bäche, ist Tanzschritt, der Drang die Stube zu verlassen, ist Verbundenheit mit dem Mädchen in mir, ist Kräuter für den Winter sammeln, Farben auch und …

Fülle beginnt für mich im Mai, wenn Wiesen satt und grün, bunt und leuchtend erscheinen, wenn die Obstbäume blühen, wenn ich am Mittag den Schatten aufsuche, am Abend am Feuer sitze, wenn Lerchen- und Amselgesang mich betören, wenn ich barfuss übers Land streife und meine nackten Beine vom Wind umspielen lasse …

Und so, wie im Mai für mich der Sommer beginnt, werden um den ersten Februar herum die ersten Frühlingsgefühle in mir wach. Immer dann, wenn das Licht spür- und fühlbar zugenommen hat, das Spriessen beginnt, Christrosen und Schneeglöckchen, Märzenbecher, wilde Krokusse und Narzissen die Bergwiesen schmücken, die Pulsatilla sich aus ihrem Flaumkleid dreht, oft noch inmitten von schmelzendem Schnee. Dann lassen mich die Erinnerungen an erste Frühlingskräuter durch Wiesen und Wälder streifen, und Worte, wie knackig und frisch, kehren zu mir zurück.

Erste Gedanken an den Herbst hege ich im August, wenn ich die ersten gelben Blätter an den Bäumen hängen sehe, Getreidefelder abgeerntet werden, Klaräpfel, Pflaumen und Mirabellen im Obstkorb liegen, wenn die Blaubeeren nur noch welkendes Grün tragen, wenn ich am Morgen die Wiesen nass vom Morgentau unter den Füssen spüre und die ersten Morgennebel mich frösteln lassen.


Und ist es dann erst einmal November und fällt das letzte Bunt auf braune Erde, sind die Gärten abgeerntet und die Vögel gen Süden geflogen, dann gedenke ich der Seelen, die vor Jetzt waren, zünde Kerzen an, trinke Sommerblütentee und begrüsse den Winter, der mich den Ahnen näher kommen lässt und versinke in weiß-grau-schwarzen Tönen.

Mittsommer heisst für mich in der Mitte des Sommers angekommen zu sein,

ganz so, wie ich mich mitten im Winter wähne, wenn die Sonne ihren tiefsten Stand erreicht hat.

Und was ist nun mit meinem eigenen Leben? Stehe und laufe ich noch mitten drin oder ist nun der Anfang vom allmählichen Ende? Auch wenn mich Tod in jedem Moment erwischen kann, ist es doch eine Frage. Eine Frage ans eigene Gespür, wieder jenseits aller Festlegungen und Allgemeinplätzen.
Schaue ich in den Spiegel, dann muss ich die Vertiefungen und Neugeburten meiner Falten akzeptieren (lernen), auch die neue/alte Haut, die sich an manchen Stellen nicht mehr prall und satt um meine Knochen schließt. Und gleichzeitig freue ich mich an meiner genaueren Wahrnehmung, wenn ich die Berge nicht mehr im Stechschritt, sondern im Schlendergang erklimme, über den Raum von Sehen und Spüren, der mir in jungen Jahren versperrt war. Wenn ich während bevorstehender Arbeitsphasen früher ins Bett gehe, um den Aufgaben und Herausforderungen gewachsen zu sein, dann lacht mir aus der Ferne schon die Alte, die ich noch werde, zu. Noch sind wir nicht miteinander verschmolzen, noch gehen wir uns entgegen. Neugierig betrachte ich ihr braunes Runzelgesicht.

Und plötzlich lache ich laut. Weil es Platz in mir gibt und weiten Raum, weil ich Fragen, die mich einst quälten, nicht mehr in mir bewegen muss. Ich muss mich nicht mehr fragen wer ich bin, was ich werden will und wofür ich auf diesen blauen Planeten gekommen bin: ich bin die, die ich immer schon war und sein werde, ich tue das, was ich kann und freue mich an dem, was andere können und ich nicht. Ich will keine Andere mehr werden und nicht anders. Ich weiß, was ich noch lernen möchte, was ich noch sehen und erleben will, und ja, ich habe noch viele Pläne. Und … ich habe Frieden mit mir geschlossen, bin dankbar für das, was war und ist.
Wenn ich nun nach diesen Zeilen in mich hinein horche und gleichzeitig die gelebten Jahre zähle, dann bin ich im Dreiviertel angekommen. Noch habe ich viele Träume, noch hat sich mein Säckchen nicht geleert. Ob ich nun gesund bleibe ist eine Verantwortung, die es zunehmend zu tragen und zu leben gilt, sollte es mich dann doch erwischen, dann habe ich eine neue Lernaufgabe. So einfach ist das!
Heute Morgen dachte ich, dass im Moment der Geburt das Sterben beginnt. Aber das ist eine falsche Formulierung, die dem Drang nach Wachstum und Reife, die jedem Lebewesen innewohnt, widerspricht. Leben und Tod sind Geschwister, sie gehen solange nebeneinander her, wie es eben dauert. Bei manchen kurz, bei manchen lang. Die Frage nach dem warum findet keine Antwort und darum bleiben Leben und Tod Mysterien, um die es sich wunderbar kreiseln lässt

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