draufklick = große Bilder – please click to enlarge
-2-
Orte also – Wohnorte, Ortschaften, Aborte, Handelsorte und Orte der Handlung. Ortung, sich verorten, Begegnungsorte, ein geweihter Ort, auch ein gesegneter und nicht zu vergessen ein entweihter Ort. Orte, die vorüber ziehen, andere, die festhalten, laute und leise Orte, Heimatorte, versunkene Orte, wachsende Orte und verlassene Orte. Standorte und Sitzorte, hässliche und schöne Orte, Traumorte mit und ohne Ortskern – und eine Straßenbahn, die von einem Ort zum anderen fährt. Kurbeln, bimmeln, gleiten, manchmal auch ein Ruckeln.
Stell es dir doch einfach mal vor … ja, genau, das könnte sehr witzig werden.
Lediglich im Winter ist sie seßhaft, die Nomadin. Wenn der Schnee kommt, braucht sie ein solides Dach und schützende Wände. Wenn … Stürme und Frost kommen immer. Auf sie kann sie sich verlassen. Zeit für die Nomadin am Feuer zu sitzen, dem Innen zu lauschen, der Behaglichkeit zu frönen.
Doch jetzt, in den Monaten der frostfreien Nächte. der warmen bis heißen Tage wollen die Füsse laufen, will die Nase den Tag und die Nacht riechen. Unverblümt. Ein Zelt ist Haus genug. Genug ist auch ohne Wen. Es reicht, wenn sie, mit sich im Arm, unter der Sternendecke liegt, unter ihr ein Moosbett. Ein Körnchen vom Ganzen, ein Facettchen.
Nicht, dass sie plötzlich den „Chens, Les und Leins“ frönen würde. Das nicht. Es geht um den Unterschied vom Korn zum Körnchen. Von einer Sicht aus einer Linse zum dreitausendteiligen Facettenauge einer Libelle. Man stelle sich das vor!
Dreitausend Facettchen. Kaleidoskopbilder. Eine winzige Bewegung, ein kleines Schütteln oder Verrutschen, ein neues Bild.
Leben in Scherben. Scherben zu Mosaik. Mosaik mit einem Verrutschtem. Einem, der den Blick hält, ihn weitet, der beginnt zu kreiseln, am Verrutschtem entlang. Eine neue Geschichte oder wenigstens eine andere. Allein, der Standort ist geblieben.
Es wechselt. Irgendetwas wechselt immer. Muss es tun. Etwas muss verrutschen, sich verschieben, unscharf werden, brechen. Sonst rutscht er ab, der Blick, stürzt ins Leer, ohne Geschichte, weder eine neue, noch eine andere.
Sprung
Eine Straßenbahn
Der Platz direkt hinter dem Straßenbahnfahrer. Kurbeln, bimmeln, gleiten, manchmal auch ein Ruckeln. Escalator over the hill, eine Seilbahn zum Gipfel, eine Straßenbahn ins Weit hinein. Ein Gleiten.
Erinnerung
Männer in tadellosen Anzügen, mit tadellos geputzten Schuhen, tadellos rasiert, mit tadellosen Aktenmappen, stehen an der geöffneten Türe, das Ziel fest im starren Auge. Ein Gleiten. Kurbeln, bimmeln, ruckeln. Aussteigen. Frauen im tadellosem Kostüm, mit tadellosem Make-up, tadellosen Stöckelschuhen und tadellosen Aktenmappen steigen ein, das Ziel im starren Auge. Nächster Halt. Es wexelt sich. Männlich, weiblich, manchmal auch kindlich, auf alle Fälle ziemlich kindisch. Die Starre. Endlosschleife.
Stopp
Keine Kurbel, keine Bimmel, kein Ruckeln.
Der Atem hält an.
Etwas passiert. Es wird passieren. Etwas.
Die eine Sekunde … ein Auto explodiert. Dann brennt es aus. Ein Saxophon schreit. Tadellose Menschen verlieren ihre tadellosen Minen. Und auch mal einen Schuh. Beim rennen. Masken zerfallen in aufgerissene Augen und Münder ohne Schrei. Angst macht nackt.
Pause
Blitzschnelles Aufräumen. Kurbeln, bimmeln, kurzes ruckeln. Dann gleiten. Kostümröcke werden glatt gestrichen, Haare an den Kopf gelegt. Ohren und Münder schliessen sich, der aufgerissene Blick findet seine Starre wieder. Er hat nichts gesehen.
Ende …
ist nie ein Ende.
Der Faden hängt nicht lose im Raum. Es ist nur eine Facette verrutscht.
Eine Geschichte über die Faszination von Facettenaugen und einem Straßentheaterstück, gesehen in den Neunzehnhundertneunziger Jahren in Amsterdam. Die Erinnerung kam plötzlich, so plötzlich wie damals die Straßenbahn und alles andere und genauso plötzlich war es auch wieder vorbei. Unvergessen.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.