Krieger *in sein

Gerda hat am 09.01. zu den abc-etüden zwei Gedichte zum Soldatenleben eingestellt und bebildert. Im Kommentarstrang folgte eine Debatte zwischen ihr und Christiane über den Archetyp „Krieger“. Ein Krieger, eine Kriegerin ist aus meiner Sicht nicht mit einem Soldaten, einer Soldatin gleichzusetzen. Gerda schrieb im Kommentarstrang:

Ich sage: heute (wie immer) stellen sich gigantische Aufgaben für den Krieger. Wer in sich den Archetypus des Kriegers fühlt: Nur zu, ergreife deine Waffen, kämpfe! Aber werde nicht Soldat, um im Auftrag andere Menschen zu töten. Das hat nämlich nichts mit Krieger, aber viel mit Mörder im Auftrag zu tun. Und stelle keine mörderischen Waffen her, sondern Waffen des Friedens und der Wohlfahrt. Da hast du genug zu tun, deine jugendlichen Kräfte zu verausgaben, bis auch du alt und weise und ein senex wirst. So spreche ich, das alte Weib, zu den Soldaten.

Ich möchte euch nun einladen obigen Vortrag zu hören, der sich mit der Shambalakriegerin, dem Shambalakrieger beschäftigt, dessen zwei Waffen das Mitgefühl auf der einen Seite, auf der anderen die Weisheit/Klugheit sind und freue mich auf einen Austausch darüber. Willkommen!

M = Mitgefühl

Alphabet – mutig geträumt

chenrezig-thangka

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, mehr gibt es an sich nicht zum Mitgefühl zu sagen- an sich … eigentlich…

Mützenfalterin schrieb im Kommentarstrang zu H = Hilfe:

Viele sehr komplexe Verwicklungen in ein paar kurze Sätze gepackt. Noch kürzer und prägnanter steht es nur in diesem Gebot in der Bibel „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ Vermutlich eines der wichtigsten und am schlechtesten verstandenen Gebote. Andererseits, wer bringt uns denn auch bei, uns selbst zu lieben?

Meine Antwort an sie:

Als hätte dieser Satz heute noch in der Luft gehangen, samt der Schlussfolgerung- heute Mittag unter der Dusche ging es mir genauso wie du es schreibst durch den Kopf… Wenn ein Weg wirklich richtig lang in meinem Leben war, dann der hin zur Selbstliebe, sie darf allerdings immer noch gerne reifen und wachsen. Es war eigentlich zur selben Zeit, der Moment, als ich mich zum ersten Mal liebender Weise im Arm hielt und der Moment, als ich lernte, dass ich mir Hilfe holen darf…

Je länger ich mich mit dem Alphabet des mutigen Träumens beschäftige, umso deutlicher wird mir einmal mehr, wie alle diese Themen, die ich hier in den Raum stelle, miteinander verwoben sind, wie eines vom anderen abhängig ist.

So ist auch jede und jeder Einzelne abhängig vom anderen und den Gegebenheiten in der Welt, egal, wie unabhängig Einzelne sein wollen oder sich fühlen. Simple Beispiele hierfür sind der Bäcker: ohne Bäcker kein Brot, oder der Bauer: ohne Bauer kein Korn, kein Gemüse, kein Fleisch- ihr lest es, diese Reihe lässt sich noch viel weiter führen! Alleine, ohne die anderen, ist man nichts. Das gilt auch in der Kunst, in der Literatur, in der Musik, in der Wissenschaft. Hier bezieht es sich besonders auf die Inspiration und das Wissen derjenigen, die vor mir waren oder auch hier und jetzt leben.

Wenn nun wirklich alles voneinander abhängig ist (ich nehme es als Wahrheit zu mir), dann darf das Mitgefühl nicht fehlen.

Mitgefühl schwingt mit Dankbarkeit, mit Wohlwollen, mit Kenntnissen über das menschliche, das zwischenmenschliche und insbesondere über das eigene Sein mit all seinen Höhen und Tiefen, Qualitäten und Talenten, Emotionen und Gefühlen.

Wieder wähle ich ein simples Beispiel, wenn Eine/Einer weint, so kann ich mitfühlen, weil ich selbst Traurigkeit kenne, deswegen muss ich aber nicht mitleiden! Mitleid und Mitgefühl werden gerne in einen Topf geworfen, unterscheiden sich aber grundsätzlich. Wenn ich mitleide, kann ich nicht unterstützend oder hilfreich sein, fühle ich aber mit, dann bleibt eine Distanz erhalten, die mir ermöglicht nährend zu sein. Gerade in meiner Arbeit als Prozessbegleiterin ist dies unabdingbar (weiter unten gibt es wieder eine Buchempfehlung).

Das oben gezeigte Bild eines Thangkas zeigt Chenrezig, auch Avalokiteshvara genannt. Er gilt als Bodhisattva (nicht als „Gott) des Mitgefühls, im (tibetischen) Buddhismus glaubt man nicht an einen universalen Schöpfergott, noch an Götter und Göttinnen an sich, auch wenn diese Begriffe immer mal wieder in übersetzten Texten auftauchen, was aber schlichtweg falsch ist. Mehr gibt es hier nachzulesen →

Chenrezig als Meditationsobjekt dient dazu unsere eigene Fähigkeit des Mitgefühls zu stärken. In dem Namen Avalokiteshvara steckt „die Wahrnehmung der Welt“. Die Haltung ist offen, beobachtend, zuhörend, erkennend, was wiederum ein Hinweis darauf ist, dass das Mitgefühl Erkenntnis des Selbsts und der Welt in ihrem Sein braucht. Ich kann nicht mitfühlen, wenn mir etwas absolut unbekannt ist.

Kurz und gut, wenn ich meine Gefühle nicht kenne, keine Erfahrungen, kein Wissen über und mit der Welt habe, mich nicht reflektiere, nicht in der Lage bin in den Spiegel zu schauen, kann ich nicht mitfühlen.

Vielleicht fragt sich jetzt die Eine oder der Andere wieso ich nun im mutig geträumten Alphabet beginne buddhistische Weisheiten aufzunehmen: weil es nicht getrennt voneinander ist. Ein Boddhisattva ist ein Mensch, der nach höchster Erkenntnis strebt, Vollkommenheit bei den Tugenden anstrebt, um dann hilfreich für alle Lebewesen tätig zu sein. Nichts anderes will die Schamanin, der Schamane. In meinem Artikel L = Liebe zitierte ich Serge Kahili King, hier noch einmal sein Schlusssatz:

Mögen Frieden und Liebe uns Führer und Ziel sein, während wir daran arbeiten, unsere Welt zu heilen.

Auch wenn Heilung und heilen mittlerweile inflationär gebraucht werden und ich schon manchmal eine Abwehr spüre, wenn ich es lese oder höre, geht es dennoch aus meiner Sicht, sowohl in Gerdas griechischem Alphabet des freien Denkens, wie in meinem Alphabet des mutigen Träumens, genau hierum. Gespeist von dem Wunsch und dem Bedürfnis den Zustand der Welt zu verbessern und der Suche oder Findung von Werkzeugen, die dies bewerkstelligen können. Gerda schrieb in ihrem Artikel: O wie ΟΡΑΜΑ (Vision):

Wenn wir alle Aspekte zusammengebracht haben – auch die, die in den Kommentaren hinzugefügt wurden -, dann haben wir vielleicht einen ersten gemeinsamen Entwurf von der Karte, die uns zeigt, wohin wir steuern wollen, welche Klippen und Gefahren zu vermeiden sind und welche Mittel uns zur Verfügung stehen.

Nichts anderes machen Praktizierende des Buddhismus und/oder des Schamanismus. Immer geht es um das Wohl und um die Befreiung aller Lebewesen, sprich um Methoden und Techniken, die dies begünstigen. Es geht ebenso darum die Klippen und Gefahren nicht aus den Augen zu verlieren. Bei allem was jede und jeder Einzelne umsetzt, wie tief und gut die eigene Motivation auch ist, es gibt immer auch das Außen, wie ich in meinem Artikel K = Kommunikation versucht habe darzustellen.

Alles ist mit allem verbunden, alles bedingt einander und ist abhängig von einander, darum tun wir Menschenwesen gut daran unsere Tugenden, zu denen ich auch das Mitgefühl zähle, und unser Wissen zu nähren, für das Wohl aller.

Gib negatives Handeln auf, tue Gutes, zähme deinen Geist – das ist die Lehre des Buddhas

Dafür muss ich keine Buddhistin/kein Buddhist sein, genauso wenig, wie ich Schamanin/Schamane sein muss, um den mutigen Träumen zu folgen. Jede und jeder auf ihre und seine ganz eigene Weise und schon bekommt die Welt ein freundlicheres Gesicht.

Buchtipp

Amy Mindell – Die Weisheit der Gefühle – Metafähigkeiten – die spirituelle Kunst in der Therapie – ISBN 3-928632-45-0

Irvin D. Yalom: zwei seiner Bücher oder Gedanken zu Leben und Tod

0189 19.11.13 leben und tod

 

(den Tod auf dieser Collage  habe ich aus dem Bild „Apokalypse“ von Vasnetov ausgeschnitten)

Irvin D. Yalom ist ein amerikanischer Psychoanalytiker, der nicht nur Sachbücher schreibt. In den letzten zwei Wochen las ich von ihm: die rote Couch und die Schopenhauer-Kur.

In der roten Couch geht es vornehmlich um die Diskussion, ob die Psychoanalyse im Gegensatz zu den, in den letzten Jahrzehnten neu entstandenen Therapierichtungen, die einzig wahre Methode sei. Yalom selbst scheint da seine Zweifel zu haben, würde er sonst einen der Protagonisten, Analytiker der alten Schule, derart arrogant erscheinen lassen? Und wieso sonst lässt er den Gegenspieler so erfolgreich in seinen neuen Methoden sein? Es gibt viele Wege, wir haben die Wahl, was auch Yalom nicht anders darstellt.

In der roten Couch geht es auch um Missbrauch der Therapeuten an ihren Klientinnen, sowie der Erhöhung des eigenen Selbstwerts dadurch, dass man für andere hilfreich ist. Ich mochte die kritische Haltung, die Yalom eingenommen hat. Noch mehr mochte ich die nicht vorhersehbare Entwicklung seiner Geschichte. Gleichzeitig erinnerte mich das Buch an meine eigene Werkzeugkiste, die es in manchen Momenten gilt aus der staubigen Ecke hervor zu holen. Allein dafür hat sich dieses Buch gelohnt zu lesen.

Nachhaltiger aber beschäftigt mich die Schopenhauer-Kur. Nein, ich habe Schopenhauer nicht gelesen und habe es Zurzeit auch nicht vor. In dem Buch von Yalom wird Schopenhauers Leben gezeichnet und die einzelnen Kapitel hat Yalom mit Zitaten aus Schopenhauers Werken überschrieben. Hierfür hat sich der Autor, wie im Verzeichnis nachzulesen ist, selbst mit vielen Werken von und um Schopenhauer auseinander gesetzt. Unbestritten ist Schopenhauer ein großer Denker gewesen, aber seine Haltung gegenüber seinen Mitmenschen, besonders den Frauen gegenüber, ließ mich erschauern. Der Grund hierfür liegt in seiner Kindheit (wo auch sonst …) und dass er sich zeitlebens der geistigen Welt verschrieben hat und nur ihr. Hier genau beginnt auch die Diskussion des Buches: wenn doch der Tod allgegenwärtig ist und mit Beginn eines jeden Lebens das Sterben beginnt, wofür lebe ich? Gilt es nicht, neben allem lernen und hinterfragen, das Leben zu genießen, seine Freuden, seine Schönheit?
Yalom ist es wunderbar gelungen diese Fragen einzukreisen, er stellt Erkenntnisse aus der Psychologie, der Philosophie, den Religionen und des Buddhismus gegenüber.
(ich führe den Buddhismus absichtlich nicht unter den Religionen auf, für mich ist es immer noch Philosophie, zumal es keinen Gott, keine Göttin weit und breit gibt, auch wenn fehlerhafte Übersetzungen genau dies, besonders im tibetischen Buddhismus, sagen … sprechen wir lieber von Meditationshilfen, von personifizierten Geisteshaltungen, die wir mit diesen Hilfen entwickeln können … – ferner ist das Wort „Buddhismus“ selbst schon ein Übersetzungsfehler, nehmen wir seinen Ursprung, dann heißt es Buddhas Lehren.)
Nebenbei bemerkt, soll auch Schopenhauer seine goldene Buddhastatue sehr geschätzt haben.

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Ja, Buddha sagte, dass das Leben Leiden sei, so entwickelte er Methoden und Philosophie, um dem Leiden zu entkommen oder es zu schmälern.
Eine Falle, die ich sehe, ist das Thema der Anhaftung, das auch Yalom in seinem Buch aufnimmt. Es wird gesagt, man soll alle Anhaftungen aufgeben. Impliziert dies ein Leben nur auf sich gestellt, ohne tiefere Beziehungen und Bindungen, weil ja die Trennung, spätestens durch den Tod, vorprogrammiert sind und damit das Leiden? Entsteht also Leiden dadurch, dass das Leben endlich ist, dass wir während des Lebens mit Verlusten zurecht kommen müssen, neben auftauchenden Krankheiten und der Tatsache des Älterwerdens?
Dahinter steht für mich die Frage nach dem Umgang, der Haltung dem Leben und dem Tod gegenüber. Wieso soll ich den Tod als Feind betrachten, wieso ihm das Adjektiv grausam zuschreiben? Verluste schmerzen … ja! Ich darf trauern und vermissen und gleichzeitig darf ich mich am Leben und seinem Reichtum erfreuen. Darf staunen, darf tanzen und singen, darf der Freude und der Leichtigkeit die Türe öffnen und ich darf ein Leben leben an dessen Ende ich nichts zu bedauern habe. Immer war ich es, die die Weichen stellte, die ich mutig war oder feige, unwissend oder gefangen …

Ein weiteres Thema, das hier angeschnitten wurde, ist ein Leben, dass nur der eigenen Befriedigung und Erfüllung dient. Mitgefühl verträgt sich hiermit nicht und auch nicht die Verantwortung. Ich denke schon lange, dass beides Hand in Hand gehen sollte. Je gesünder und glücklicher ich bin, umso hilfreicher kann ich sein. Das Leben ist für mich ein Wechselspiel, die vier Jahreszeiten und ihre spezielle Qualitäten wunderbare Lehrmeister.

Im Herbst, so sagt man, werden die Grenzen zu den Ahnen durchsichtiger … wir denken aufgrund des Sterbens um uns herum verstärkt an die Menschen, die vor uns gelebt haben, die wir vermissen und doch setze ich den Herbst nicht mit dem Tod auf eine Stufe. Das Leben zieht sich lediglich für eine Weile zurück. Es ist das Sterben selbst, das wir Jahr für Jahr beobachten können. Besonders in diesem Jahr wünschte ich mir, dass doch auch ich, am Ende angekommen, noch einmal in meiner ganzen Farbenpracht aufleuchten möge, bevor ich zerfalle …
Auch denke ich an die Vogelmiere, die selbst noch unter dem Schnee weiter wächst. Ich denke an die weiße Christrose,

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auch Schneerose genannt, deren Hauptblütezeit von Februar bis April ist, bzw. je nach Schnee- und Höhenlage ab November bis Mai.
Wieso ich dies aufführe? Weil ich darin übereinstimme, dass es eine Lebenskraft gibt, die nicht nach Lebensformen fragt, nicht nach Zeit, nicht nach Ort, nicht nach du und ich, die sich selbst immer und immer wiedergebärt in millionenfachem Spiel. Und ist nicht genau das der Schmerz, das Leiden der Menschheit, dass das viel umhegte Ich nebensächlich ist?

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