Alphabet – mutig geträumt

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, mehr gibt es an sich nicht zum Mitgefühl zu sagen- an sich … eigentlich…
Mützenfalterin schrieb im Kommentarstrang zu H = Hilfe:
Viele sehr komplexe Verwicklungen in ein paar kurze Sätze gepackt. Noch kürzer und prägnanter steht es nur in diesem Gebot in der Bibel „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ Vermutlich eines der wichtigsten und am schlechtesten verstandenen Gebote. Andererseits, wer bringt uns denn auch bei, uns selbst zu lieben?
Meine Antwort an sie:
Als hätte dieser Satz heute noch in der Luft gehangen, samt der Schlussfolgerung- heute Mittag unter der Dusche ging es mir genauso wie du es schreibst durch den Kopf… Wenn ein Weg wirklich richtig lang in meinem Leben war, dann der hin zur Selbstliebe, sie darf allerdings immer noch gerne reifen und wachsen. Es war eigentlich zur selben Zeit, der Moment, als ich mich zum ersten Mal liebender Weise im Arm hielt und der Moment, als ich lernte, dass ich mir Hilfe holen darf…
Je länger ich mich mit dem Alphabet des mutigen Träumens beschäftige, umso deutlicher wird mir einmal mehr, wie alle diese Themen, die ich hier in den Raum stelle, miteinander verwoben sind, wie eines vom anderen abhängig ist.
So ist auch jede und jeder Einzelne abhängig vom anderen und den Gegebenheiten in der Welt, egal, wie unabhängig Einzelne sein wollen oder sich fühlen. Simple Beispiele hierfür sind der Bäcker: ohne Bäcker kein Brot, oder der Bauer: ohne Bauer kein Korn, kein Gemüse, kein Fleisch- ihr lest es, diese Reihe lässt sich noch viel weiter führen! Alleine, ohne die anderen, ist man nichts. Das gilt auch in der Kunst, in der Literatur, in der Musik, in der Wissenschaft. Hier bezieht es sich besonders auf die Inspiration und das Wissen derjenigen, die vor mir waren oder auch hier und jetzt leben.
Wenn nun wirklich alles voneinander abhängig ist (ich nehme es als Wahrheit zu mir), dann darf das Mitgefühl nicht fehlen.
Mitgefühl schwingt mit Dankbarkeit, mit Wohlwollen, mit Kenntnissen über das menschliche, das zwischenmenschliche und insbesondere über das eigene Sein mit all seinen Höhen und Tiefen, Qualitäten und Talenten, Emotionen und Gefühlen.
Wieder wähle ich ein simples Beispiel, wenn Eine/Einer weint, so kann ich mitfühlen, weil ich selbst Traurigkeit kenne, deswegen muss ich aber nicht mitleiden! Mitleid und Mitgefühl werden gerne in einen Topf geworfen, unterscheiden sich aber grundsätzlich. Wenn ich mitleide, kann ich nicht unterstützend oder hilfreich sein, fühle ich aber mit, dann bleibt eine Distanz erhalten, die mir ermöglicht nährend zu sein. Gerade in meiner Arbeit als Prozessbegleiterin ist dies unabdingbar (weiter unten gibt es wieder eine Buchempfehlung).
Das oben gezeigte Bild eines Thangkas zeigt Chenrezig, auch Avalokiteshvara genannt. Er gilt als Bodhisattva (nicht als „Gott) des Mitgefühls, im (tibetischen) Buddhismus glaubt man nicht an einen universalen Schöpfergott, noch an Götter und Göttinnen an sich, auch wenn diese Begriffe immer mal wieder in übersetzten Texten auftauchen, was aber schlichtweg falsch ist. Mehr gibt es hier nachzulesen →
Chenrezig als Meditationsobjekt dient dazu unsere eigene Fähigkeit des Mitgefühls zu stärken. In dem Namen Avalokiteshvara steckt „die Wahrnehmung der Welt“. Die Haltung ist offen, beobachtend, zuhörend, erkennend, was wiederum ein Hinweis darauf ist, dass das Mitgefühl Erkenntnis des Selbsts und der Welt in ihrem Sein braucht. Ich kann nicht mitfühlen, wenn mir etwas absolut unbekannt ist.
Kurz und gut, wenn ich meine Gefühle nicht kenne, keine Erfahrungen, kein Wissen über und mit der Welt habe, mich nicht reflektiere, nicht in der Lage bin in den Spiegel zu schauen, kann ich nicht mitfühlen.
Vielleicht fragt sich jetzt die Eine oder der Andere wieso ich nun im mutig geträumten Alphabet beginne buddhistische Weisheiten aufzunehmen: weil es nicht getrennt voneinander ist. Ein Boddhisattva ist ein Mensch, der nach höchster Erkenntnis strebt, Vollkommenheit bei den Tugenden anstrebt, um dann hilfreich für alle Lebewesen tätig zu sein. Nichts anderes will die Schamanin, der Schamane. In meinem Artikel L = Liebe zitierte ich Serge Kahili King, hier noch einmal sein Schlusssatz:
Mögen Frieden und Liebe uns Führer und Ziel sein, während wir daran arbeiten, unsere Welt zu heilen.
Auch wenn Heilung und heilen mittlerweile inflationär gebraucht werden und ich schon manchmal eine Abwehr spüre, wenn ich es lese oder höre, geht es dennoch aus meiner Sicht, sowohl in Gerdas griechischem Alphabet des freien Denkens, wie in meinem Alphabet des mutigen Träumens, genau hierum. Gespeist von dem Wunsch und dem Bedürfnis den Zustand der Welt zu verbessern und der Suche oder Findung von Werkzeugen, die dies bewerkstelligen können. Gerda schrieb in ihrem Artikel: O wie ΟΡΑΜΑ (Vision):
Wenn wir alle Aspekte zusammengebracht haben – auch die, die in den Kommentaren hinzugefügt wurden -, dann haben wir vielleicht einen ersten gemeinsamen Entwurf von der Karte, die uns zeigt, wohin wir steuern wollen, welche Klippen und Gefahren zu vermeiden sind und welche Mittel uns zur Verfügung stehen.
Nichts anderes machen Praktizierende des Buddhismus und/oder des Schamanismus. Immer geht es um das Wohl und um die Befreiung aller Lebewesen, sprich um Methoden und Techniken, die dies begünstigen. Es geht ebenso darum die Klippen und Gefahren nicht aus den Augen zu verlieren. Bei allem was jede und jeder Einzelne umsetzt, wie tief und gut die eigene Motivation auch ist, es gibt immer auch das Außen, wie ich in meinem Artikel K = Kommunikation versucht habe darzustellen.
Alles ist mit allem verbunden, alles bedingt einander und ist abhängig von einander, darum tun wir Menschenwesen gut daran unsere Tugenden, zu denen ich auch das Mitgefühl zähle, und unser Wissen zu nähren, für das Wohl aller.
Gib negatives Handeln auf, tue Gutes, zähme deinen Geist – das ist die Lehre des Buddhas
Dafür muss ich keine Buddhistin/kein Buddhist sein, genauso wenig, wie ich Schamanin/Schamane sein muss, um den mutigen Träumen zu folgen. Jede und jeder auf ihre und seine ganz eigene Weise und schon bekommt die Welt ein freundlicheres Gesicht.
Buchtipp
Amy Mindell – Die Weisheit der Gefühle – Metafähigkeiten – die spirituelle Kunst in der Therapie – ISBN 3-928632-45-0
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