Für die Impulswerkstatt von Myriade

Myriades Impuls

Nummer drei soll meine Nummer eins sein.

Zu jedem der eingestellten Bilder von Myriade fiel mir gleich ein bildliches Pendant ein. Das ist das eine, das andere ist der heutige Beitrag von Gerda und ihren Arbeiten zu dem Doppelgesicht.

Jede und jeder ist Viele, in uns wohnen viele Anteile, das Kind, die Jugendliche, die Heranwachsende, die Mutter, die Lehrende, die Lernende, die Ängstliche neben der Mutigen, die Wilde neben der Schüchternen, die Närrin neben der Miesmacherin … mein Boot hat viel Passagiere.

Sehr verbunden bin ich mit meinem inneren Mädchen. Vor einigen Jahren gestaltete ich ein Bild von uns Zwei.

Unsere Ahnen leben in uns weiter – im Guten, wie im Schlechten – und sind weitere Anteile, die in uns leben.

Meine Großmutter und ich

Die Bilder wie wir gerne wären, versus wer und wie wir sind.

Eine Vision von mir im Alter:

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Ping Pong 056

Ping 055

GERDA AN ULLI→ DER MALER MALT FLÜGELWESEN, ABER …

PONG 055

ULLI AN GERDA → … SEINE FRAU IST DES THEMAS MÜDE, SIE SEHNT SICH NACH MODERNER KUNST.

PING 056

ULLI AN GERDA → KLEINE FLUCHTEN KÖNNEN …

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HIER GEHT ES ZU DER GALERIE ALLER BISHERIGEN PING PONGS → https://cafeweltenall.wordpress.com/galerien/ping-pong/

DIE IDEE→ https://cafeweltenall.wordpress.com/2019/02/05/ping-pong-001-2019/

Etüde 002b 2019

Unruhig rutschte Hannah auf ihrem Stuhl vor der Tür hin und her. Sie ermahnte sich ruhig zu bleiben, zu vertrauen, zu atmen, jetzt bloß keine Schwächen zeigen, die waren hier, in diesem Glasbetongemisch, fehl am Platz.

Man hatte sie gebeten vor der Türe Platz zu nehmen und sich einen Moment zu gedulden. „Man“ waren drei geschniegelte Herren in Maßanzügen, sportlich, attraktiv und sehr smart. Von ihnen hing alles ab.

Auch Hannah hatte sich nicht lumpen lassen, sie war beim Friseur gewesen, hatte sich ein sündhaft teures Kostüm mit passender Bluse gekauft, ihre Füße steckten in schwarzen High Heels. Sie hatte Zuhause geübt, so, dass es aussah, als wäre sie nie in anderen Schuhen über Flure und Straßen gegangen. Ihr Make-up war perfekt. Ihre Haltung suggerierte Selbstbewusstsein. Ja, auch das hatte sie geübt, Frau Z. hatte sie gecoachet, nach dem Motto, was es braucht, um erfolgreich in dieser Welt zu sein. Wochenlang hatte sie kaum Kohlehydrate gegessen, ihre Salatschüssel hingegen war immer gut gefüllt gewesen. Sie fröstelte.

Leise seufzte sie, es ging doch nur um einen Job als Buchhalterin, allerdings mit einem Spitzengehalt.

Endlich öffnete sich die Tür. Einer der Aalglatten bat sie wieder einzutreten und Platz zu nehmen.

Fräulein Schikowsky … äh, Entschuldigen Sie bitte … Frau Schikowsky, natürlich“, verbesserte er sich mit Blick auf ihre unberingten Finger, „leider muss ich Ihnen mitteilen, dass wir Sie nicht übernehmen können …“ Mehr hat Hannah nicht mehr gehört, er redete noch eine Weile, sie aber hörte nur Rauschen im Kopf, gab sich einen Ruck, stand auf und verließ türeknallend den Raum. Auf dem Flur schleuderte sie diese scheißunbequemen High Heels von sich, öffnete die zwei obersten Knöpfe ihrer seidigen Bluse und konnte endlich wieder frei atmen. Wie ist sie nur auf die saudumme Idee gekommen, sie könnte eine andere sein.

298 Wörter



geschrieben für das Etüden-Projekt → https://365tageasatzaday.wordpress.com/2019/01/20/schreibeinladung-fuer-die-textwochen-04-05-19-wortspende-von-myriade/

Nordlied

0194a 17.08.16 nordlied

Der Norden ist im nordamerikanischen Medizinrad, das als eins der ältesten Psychologiemodelle gilt, der Platz, an dem der erwachsene Mensch verortet ist. Hier wohnt der Büffel (oder ganz allgemein die Gehörnten), die Zähigkeit, das Durchhaltevermögen, das Sorgetragen für den eigenen „Stamm“ (Familie, Freundeskreis in der heutigen Zeit), die Vernunft, die Verantwortung für sich, das eigene Handeln und die Reaktionen, für die eigenen Gefühle und Wahrnehmungen, sowie die Verantwortung für alle anderen Lebewesen. Hierhin gehört auch der Winter.

Viele Menschen mögen den Winter nicht und ich beobachte viele Menschen, die nicht erwachsen geworden sind, die nicht gelernt haben für sich und ihr Handeln, ihre Reaktionen, ihre Gefühle, ihre Wahrnehmungen und ihren „Stamm“ Verantwortung zu tragen. In ihrem gemeinsamen Buch „Die vier Schilde“ von Steven Forster und Meredith Little zeigt Meredith Little auf, was es heisst ein gesundes Nordschild zu tragen oder ein beschädigtes. Sie bestätigt darin meine Wahrnehmung, dass viele nicht erwachsen wurden oder werden wollten oder es nicht konnten.

Zu einem verletzten Nordschild im Hinblick auf das Frausein schreibt Meredith: „Traumatische Erlebnisse, die nie wirklich angeschaut wurden, anerkannt und assimiliert wurden sind Narben im Gewebe, die dazu führen, dass es ihnen nicht gelingt zu erkennen, dass Narben in Wirklichkeit Zeichen der tiefsten Mysterien des Frauseins sind, Gaben der Kraft und der Heilung. Sie verweigern sich selbst die Bestätigung ihrer Reife und verharren lieber in der Dunkelheit des Opferdaseins und der Untauglichkeit.“

„Es ist recht weit verbreitet, dass die Frau sich hinter dem Sommerschild des Mädchens und dem Herbstschild der Jugendlichen versteckt, sich fürchtet herauszukommen und zu tun, was zu tun ist, sich der Verantwortung zu stellen, der Pflicht und der Notwendigkeit, Opfer zu bringen. Unter Druck wird sie panisch, hysterisch, gewalttätig, passiv, entschlusslos, resigniert, hilflos, ein Opfer. Manchmal täuscht sie sich in ihren Werten oder verliert ihre persönliche Mitte aus den Augen. Liebe und Schöpferkraft, ihre grössten Gaben, werden vielleicht zu Gunsten ihres Körpers, der materiellen Sicherheit oder der eigenen Gefühle vergeudet… “

Es gibt auch die Absätze zu den verletzten Schilden in Bezug auf die Männer. Aber ich habe sehr bewusst diesen Abschnitt ausgewählt, da ich mit den „Mutterbildern“ beschäftigt bin. Damit, was von Mutter zur Tochter weitergegeben wird, ob nun bewusst oder unbewusst und wie gut wir daran tun in unsere Geschichten wieder und wieder einzutauchen, um aufzulösen oder zu verwandeln, was nicht zu uns gehört. Auch gilt es die Verletzungen innerhalb unseres eigenen Lebens anzunehmen, als Chance für das eigene Wachstum zu begreifen, anstatt uns von ihnen in einer ewigen Opferrolle festhalten zu lassen. Das dient niemanden.

Nordlieder nenne ich all das und so heißt auch meine obige Fotomontage. Das, was wir heute verromantisieren war in Wirklichkeit auch nichts anderes, als das, was es heute ist: Strategien zum überleben mussten gefunden und angewendet werden.

Dass ich ein großer Fan von den Nordländern bin ist für meine langjährigen Leser_innen kein Geheimnis, dass ich immer mal wieder mit dem Winter hadere auch nicht…

Ich erinnere mich gut an die Ausbildung und an die vier Tage und Nächte in denen wir das Nordschild kennenlernten. In der theoretischen Stunde wurde nicht nur ich immer kleiner, bis S., unsere Lehrerin, plötzlich in die Runde schaute und lachte: „Nur Mut Frauen, es gibt immer noch etwas, dass in uns erwachsen werden will.“ Mit diesem Satz tanze ich seitdem. Er ist für mich Tröstung und Aufforderung in einem.

Und weil es so gut passt, stelle ich heute dieses Lied hier ein, dass ich gestern bei Karfunkelfee wiederfand, sehr zu meiner Freude! Jan Garbarek und Mari Boine sind beide in Norwegen geboren, Garbarek verehre ich schon lange, Mari Boine lernte ich erst vor ein paar Jahren kennen.

Anmerkung

Steven Forster, Meredith Little – Die vier Schilde – Initiationen durch die Jahreszeiten der menschlichen Natur – Arun Verlag – ISBN 3-935581-72-6

Das Meer – la mar

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„La mar so nennt man die See auf spanisch, wenn man sie liebt … Der alte Mann dachte immer an sie als an etwas Weibliches, als etwas, was grosse Gunst gewähren oder vorenthalten kann, und wenn sie wilde und böse Dinge tat, geschah es, weil sie nicht anders konnte. Der Mond beeinflusst sie, wie er eine Frau beeinflusst, dachte er.“

Ernest Hemingway – Der alte Mann und das Meer

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gerader Rücken

die fremde

Es dauert nur wenige Minuten, dann setze ich mich aufrecht hin- dies ist kein Film bei dem ich mich gemütlich in die Polster kuscheln könnte. Die erste Empörung macht sich Luft. Die ersten Tränen rollen bald.

Wie kann es sein, dass der Mann, Umays Mann, Cems Vater, erst den Jungen in ein Loch sperrt und dann seine Frau besteigt?
Mit welchem Recht?
Mit keinem.
Wo ist Liebe?
Hier nicht. Eine Demonstration der männlichen Macht.

„Und ihr seid still!“

Aber Umay ist nicht still.
Sie packt in der Nacht ein paar Sachen, nimmt Cem auf den Arm und verlässt Istanbul, ihren Mann, seine Familie und fährt zurück nach Berlin, wo ihre Familie lebt und sie einst auch.
Lange währt die Wiedersehensfreude nicht. Nur solange, bis die Familie versteht, dass Umay ihren Mann verlassen hat. Dass sie in Berlin arbeiten, einen Hochschulabschluss machen und später studieren will.

„Du beschmutzt die Ehre unserer Familie.“

„Vater … er schlägt mich … Cem auch.“

„Umay … es ist dein Mann.“

Meine Wut wächst, irgendwo lauert auch die Ohnmacht, mir ist unwohl, ich trinke heißes Wasser … bin ganz nah bei Umay, die sich wehrt, die beginnt ihren Weg zu gehen, die eine Zuflucht findet, ihre alte Freundin, eine Arbeit, einen Schulplatz und einen Mann. Einen Mann, den sie beginnt zu lieben und er, sie.
Umay findet und dann verliert sie, ihren Vater, ihren älteren Bruder, später auch den jüngeren, ihre Mutter, ihre Schwester:

„Ich bin nicht wie du … “

Blut ist plötzlich nicht mehr dicker, als Wasser.

Einmal Hure, immer Hure.

Ich weine mit Umay. Ich wüte mit ihr. Ich spüre jede Ohrfeige, jeden Stoß. Umay ist stark. Sie behält den Kopf oben. Sie ist klug. Sie ist schön.

„Wäre sie doch als Junge geboren …“

Manchmal möchte ich schreien, etwas an die Wand werfen, ich sehe rot …
ich sehe Umay in ihrem rotem Kleid, dem geraden Rücken, ihren aufrechten Gang, Cem auf dem Arm …

Ich denke an „Das weiße Band“ von Michael Haneke, ich denke an meine Kindheit, an meine Jugend, meinen Kampf als Frau und Mutter, denke an meinen Rücken, spüre ihn, spüre, wie oft er sich aufgerichtet hat und doch sind es peanuts … und doch ist es nicht nur ein türkisches, ein arabisches, ein afrikanisches Problem … es ist direkt hier … hier, in meinen Zellen, in meinem Erbgut, in der Übertragung von Generationen:

das Frauenbild

Frau_Welt_Wormser_Dom_von_vorne_und_hinten

Es ist direkt hier …

Gestern, am Sonntagmorgen, als ich das Frühstücksgeschirr im Seminarhaus verräumte, erzählte eine Frau der anderen … ich sah ihre Gesichter, ich hörte ihre Worte, hörte:

goldener Käfig,
Übergriffigkeiten
Ohnmacht,
Angst,
den Schein aufrecht erhalten
der erste Tumor wuchs …

Gewalt ist in viele Gesichter geschrieben.
Gewalt kennt viele Gesichter.
Angst ist in die Augen geschrieben,
in Kinderaugen, Frauenaugen und in manche Männeraugen auch.

Ich denke an Umay … in ihrem rotem Kleid, dem geraden Rücken, ihren aufrechten Gang, Cem auf dem Arm …

Heute ist, wie jeden Tag, ein internationaler Tag, einer, der an die Gewalt gegen Frauen erinnern soll.
In Afghanistan gibt es Mädchen, die mit 12 Jahren verheiratet werden. Sie dürfen niemals ihr Haus verlassen. Nie.
Mädchen gebären Mädchen und Buben.
Mädchen werden beschnitten.
Mädchen werden missbraucht, misshandelt, benutzt …

Mein Herz klopft. Ich schreie nicht. Ich schreibe …