Der Versuch einer Buchbesprechung

Sansibar oder andere gebrochene Versprechen von Elke Engelhardt

Vor ein paar Wochen fand ich in meinem Briefkasten das neue Buch von Elke Engelhardt – Sansibar oder andere gebrochene Versprechen.

Dieses Buch beinhaltet drei Gedichtzyklen:

Sansibar

Einige sehr kurze Geschichten vom Glück, die kleine Frau zu sein

Die Lumpen meiner Erinnerung

Zunächst lag dieses Buch neben meinem Bett. Ein kleiner Schatz, so vermutete ich, den ich noch hütete. Aber dann trieb mich die Neugierde und ich begann zu lesen. Ja, von vorne, nämlich in dem Zyklus „Sansibar“. Schnell wurde mir klar, dass dieses Buch kein kleiner, sonder ein großer Worteschatz ist. Ich las und las, bis ich am Ende von Sansibar angelangt war. Aber was rede ich? Ein Anfang, ein Ende?

Physisch schon, aber inhaltlich? Sansibar schreibt sich von einem Gedicht zum nächsten fort. Ich nehme einen roten Faden wahr und ich lerne Sansibar ein bisschen kennen. Oder erahne ich ihn mehr, so wie ich die Schreiberin dahinter wieder ein Stückchen tiefer in ihrem Denken und Spüren erahne?

Ihr lest es, es stellen sich mir Fragezeichen in den Weg. Wie auch das folgende – Wie soll ich überhaupt dieses Buch besprechen? Ich müsste mir Gedicht für Gedicht, Seite für Seite vornehmen. Das kann und will ich nicht. Das kommt dem Buch nicht nahe, den Gedichten sowieso nicht. Alles wäre auch nur ein Spiegel meiner Empfindungen, meiner Sichtweisen, wie bei letztlich jeder Interpretation. Und mag ich Interpretationen? Nicht wirklich!

Ich mag rote Fäden, die ich auch bei der Kleinen Frau und in Den Lumpen der Erinnerung fand, filigrane, rote Fäden.

Filigran ist ein Wort, dass aus meiner Sicht zu dem neuen Buch von Elke Engelhardt passt. Es sind die feinen, leisen Töne und die vielen Zwischenräume, die mich an filigran denken lassen. Nach jeder Seite kann ich weiterdenken und Tiefes spüren, mir wird nichts in den Mund gelegt, nur ins Herz und in meine eigene Schreibeseele hinein.

Mehr mag ich nicht schreiben, nur einige wenige Passagen aus Sansibar zitieren, um euch Lesende neugierig auf dieses Buch zu machen, damit ihr Lust auf die Lyrik von Elke Engelhardt bekommt. Lyrik ist lange nicht gleich Lyrik und lesenswerte Lyrik ist lange nicht so reich gesät, wie es manchmal erscheinen mag – aus meiner Sicht.

Ich kann die Tage rückwärts zählen

und andere von mir erzählen lassen

Solche die behaupten

etwas zu verstehen

von meinem durchsichtigen Leben

 

Jeder der an Dinge denken kann

die es nicht gibt

kann mich erkennen

 

Sansibar mag Flüsse

das Wasser das unter

der Schneedecke fließt

wie diese Gedanken die keiner versteht.

 

Als Kind wollte ich Räuber werden

sagt Sansibar

Die guten Worte stehlen und die schlechten vergraben

die einen wachsen und die anderen verblühen

Aber dann wurde ich ein Held

Ich ließ meinen Schatten hinter mir zurück

Ich vergaß meine Zukunft

Und folgte dem Wort

Nur ab und zu verberge ich mich

In den Falten aus denen Geschichten sind

 

Lieber Gott

sagt Sansibar

Lange habe ich das Wort nicht mehr

an dich gerichtet

Wir haben diese Tage in Stummheit verlebt

Ob du mich manchmal vermisst hast

mich und mein unlauteres Gebet


Elke Engelhardt – Sansibar oder andere gebrochene Versprechen – Eilif Verlag – ISBN 978-3-946989-32-5


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Der blaue Weg zum Zweiten

Der blaue Weg ist ein Buch von Kenneth White. Er schrieb es in den 1980er Jahren und beschreibt hier seine Reise nach Labrador. Labrador? Ich hole meinen Atlas zur Hilfe, es ist eine Provinz im Nordosten Kanadas. Kalt ist es dort und auch etwas unwirtlich. Einst Wohngebiet der Inuits und anderer nordamerikanischer Ureinwohner*innen.

Kenneth White, geb. 1936 in Glasgow, studierte französische und deutsche Literatur, Latein und Philosophie. Sein „Reisebericht“ ist philosophisch beobachtend, manchmal auch sarkastisch, wenn es um die Besiedlung und Missionierung/Christianisierung durch die Europäer geht.

Es ist auch ein Buch, das von der eigenen Suche erzählt, der Suche nach Stille, nach Natürlichkeit, dem Lied der eigenen Seele.

Es beginnt mit neun Stelen, dies sind neun Zitate anderer Literaten, hier sind sie:

Reisen scheint mir eine nützliche Übung. Die Seele ist dabei in ständiger Bewegung.

Montaigne

Zu jedem Preis und mit allen Tönen, selbst auf metaphysischen Reisen.

Rimbaud

Unsere Zeit ist besonders dadurch gekennzeichnet, dass sie schal ist – schal wie die Literatur. Vordringen in eine neue Welt und dort Bewegungsfreiheit, Neuheit erleben.

William Carlos Williams

Ich bin Rothaut, blauer Bauch, goldener Kopf … Ich mache mich auf, ich haue ab, ich gehe in den Untergrund … den Untergrund der Seele.

Delteil

Echte Kultur kann nur im Raum gelernt werden … Kultur im Raum heißt Kultur eines Geistes, der unablässig im Raum atmet und sich leben fühlt und der Körper des Raums als Gegenstände seines Denkens zu sich ruft.

Artaud

Er muss immer ein bisschen weiter weg gehen, da ist sein einziges Zuhause.

Bataille

Blaue Seele, dunkles Wandern.

Trakl

Wer fremd ist, wandert vorwärts. Er irrt nicht ohne jede Bestimmung ratlos durch die Welt. Er ist auf der Suche nach dem Ort, wo er eine Bleibe finden kann.

Heidegger

Der Weg vollendet sich. Der Schnee fällt in tausend Flocken. Mehrere Rollen blauer Berge sind gemalt worden.

Shōbōgenzō

Kenneth White selbst schreibt im Vorwort:

Was ist denn ein blauer Weg? wird man fragen. Ich weiß es selbst nicht genau. Da ist natürlich das Blau des weiten Himmels, da ist das Blau des Flusses, des mächtigen Sankt-Lorenz-Stroms, und weiter weg dann das Blau des Eises. Aber all diese Bilder und noch ein paar andere, die mir einfallen, wenn sie zu mir, zu meinen Sinnen und meiner Einbildungskraft, sprechen, reichen bei weitem nicht aus für die Tiefe des „Blaus“.

Ist es also etwas Mystisches?

Ich möchte mich hier nicht auf eine Diskussion über dieses abgedroschene Wort einlassen (etwas viel Lebendigeres ruft uns), aber wenn ich im Geist einen Augenblick in der Sphäre verweile, fällt mir ein, dass in gewissen alten Überlieferungen vom wandernden Mystiker die Rede ist und davon, dass ein Mann, der in „westlicher Verbannung“ lebt und seinen „Orient“ finden will, den Norden passieren muss …

…Der blaue Weg, das ist vielleicht einfach der Weg des Möglichen.

Jedenfalls wollte ich hinaus, dorthin, und sehen.

Und weiter schreibt er:

Seite 11 und 12

Lange Zeit habe ich versucht, mich eines dicken Buches, eines der dicksten, die es gibt, und das mich erdrückte, zu entledigen und der ganzen geistigen Verwirrung, die es gestiftet hat. Ich wollte der Besetzung der Welt durch Jehova und ein paar anderen entfliehen. Das ist vollbracht. Aber ich muss auch weitergehen. Nach Labrador. Ja, dort schließt sich der Kreis, dort kehre ich an meinen Ausgangspunkt zurück, schlucke meine Geburt, entwickle alle Negative meiner Adoleszenz und werf einen ernsthaften Blick auf mein ursprüngliches Gesicht.

Was ich im Moment brauche, ist Raum, ein großer Lebensraum für die letzte Meditation.

Seite 22 und 23

Institutionen und Individuen werden nie dieselbe Wellenlänge haben. Deshalb bin ich Anarchist. Ein lachender Anarchist.

Seite 33

Der Indianer wird nach und nach verdrängt. Der Eindringling wird zum Einwohner, und der Eingeborene wird unerwünscht.

Seite 44

Wir fahren durch den Kenogami Wald, dann den Lac Saint-Jean entlang.

Ich frage mich, wann wir diese ganze biblische Toponymik endlich loswerden. Den indianischen Namen dieses Sees kenne ich nicht, aber ich möchte wetten, dass er schön war und genau. Vielleicht hieß er Blauer-Wellen-See oder Sommerstürme-See oder Viele-Bäume-See. Benannt von Leuten, die ihn wirklich kannten, die mit seiner physischen Realität in Berührung kamen. Aber Lac Saint-Jean, ich bitte Sie! War der heilige Johannes denn hier? Von wegen! Er latschte durch Galiläa. Und die Leute, die den See Lac Saint-Jean getauft haben, waren auch nie wirklich hier. Ihre Hinterköpfe klebten an einem dicken schwarzen Buch. So verpassten sie der Wirklichkeit Namen aus diesem Buch und gingen hin und arbeiteten und vermehrten sich, wie das Gesetz es ihnen befahl. Das ist Kultur, um welches Buch oder Gesetz auch immer es sich handelt. Und das hat nichts zu tun mit all ihrer Schönheit empfundenen Wirklichkeit. Deshalb konnte Flaubert sagen, dass „die Kultur eine Verschwörung gegen die Poesie“ ist.

Seite 57



Dieses Buch hat mich zu einem eigenen Text inspiriert, der dieser Tage folgt.



Kenneth White – Der blaue Weg – Eine Reise ISBN 3-596-25343-8 – das Buch ist nur noch antiquarisch zu bekommen, man muss etwas forschen, damit es erschwinglich ist.