
Panik
(Kurze Erklärung: ohne Punkt und Komma heißt für mich, meinen Gedanken möglichst ungefiltert Raum zu schenken. Da es mich aber mehr Konzentration kostet die Satzzeichen wegzulassen, als sie einzufügen, gibt es nun den Gedankenstrom mit Satzzeichen. So wird es für euch auch angenehmer. Und warum dann ohne Punkt und Komma? Weil es meine innere Kritikerin ausschaltet!)
Glumm schrieb letztens einen langen Text über seine Angst vor einer Kontrolluntersuchung Daran musste ich gestern denken, fühlte mich verbunden und nicht so ganz als Looserin. Danke Glumm!
Immerhin schaffte ich es ohne Angst oder gar Panik in das Kreiskrankenhaus, war ungewöhnlich entspannt und zu Scherzen mit dem liebsten Holzmann aufgelegt. Ich war auch immer noch ruhig, als ich dann nach zweistündiger Wartezeit auf dem OP-Stuhl Platz nahm. Es sollte mein grauer Star operiert werden, aber nur mit örtlicher Narkose. Ich hätte es wirklich besser wissen müssen. Wie bitte soll ich das eigentlich schaffen, mit einem Arzt, der mir von der ersten Minute an unsympathisch gewesen ist und einem Film von Bunuel und Dali im Kopf: Ein andalusischer Hund. Ich redete mir bei beiden Punkten gut zu. Schwatzte seit Monaten mit mir, seitdem ich wusste, wie die Prozedur vonstattengehen sollte, ich bin doch kein Weichei, ich doch nicht!
„Ich muss den Doc nicht mögen, der muss nur sein Handwerk verstehen und das tut er ja wohl, gilt er doch hier im Kreis als Koryphäe. Ich werde so vollgepumpt mit Beruhigungsmitteln sein, dass ich den andalusischen Hund locker vergessen werde …“ So schwatzte und schwatzte ich … Und wie war das, mit sich selbst ernst nehmen, die eigene Angst und eigenen Antipathien, egal, ob man die Triggerfigur dahinter erkannt hat oder nicht? Und wenn ich es dann schon nicht selbst kapiere, dann tut es eben mein System für mich.
Mein Auge war schon matschig von all den vielen Tropfen: zur Betäubung, zur Pupillenerweiterung und was weiß denn ich wofür noch … ich wurde auf dem Stuhl zurecht geruckelt. Das allein gefiel mir gar nicht. Und was hieß hier volle Dröhnung, das war gerade mal eine halbe Pille, als ob die mich wirklich beruhigen könnte, bei meiner Geschichte, über die ich jetzt und hier aber nichts weiter erzählen will. Also gut, ich war nicht wirklich müde, nicht ansatzweise. Der Doc kam mit der Spritze, redete wie immer im Onkelton, den ich so verabscheue, setzte sie, das konnte er. Dann kam wieder eine Flüssigkeit:
„Das brennt jetzt ein bisschen.“ Ein bisschen? Herrjeh, das brennt wie Feuer!
„So, und nun kleben wir Ihr Gesicht ab. Lassen Sie doch mal das Auge auf, schauen Sie einfach ins Licht.“ „Geht nicht, das brennt so.“ Schnauben seinerseits, er klebt mein Gesicht ab, ich fühle mich ausgeliefert. Ein Gefühl, das ich so gar nicht ab kann! Verschwommen sah ich seine Handbewegung hin zur Assistentin, gib mal … und aus war. Die Panik stieg, ich konnte nichts tun, sah immer wieder das Skalpell vor mir, das gleich in mein Auge schneiden sollte (Der andalusische Hund). Verkrampfung totale. Wenigstens das sah der Doc.
„Was ist denn mit Ihnen?“ „Ich krieg manchmal Panikattacken und das ist jetzt eine.“ „Aber davon haben Sie beim Vorgespräch nichts gesagt (Vorwurf in der Stimme- wie ich auch das verabscheue!).“ „Nein, habe ich nicht, weil ich noch nie eine Panikattacke auf einem Doktorstuhl hatte, nicht beim Zahnarzt, noch beim Gynäkologen, noch … aber jetzt habe ich eine und wenn ich jetzt noch bitte zwei Minuten einfach nur atmen darf, dann geht das auch wieder.“ „So operiere ich Sie nicht!“ Dann eben nicht und gut, das ist ein Wort. Panikattacke? Die war gerade eben. Jetzt ist sie vorbei!
Ich werde von dem Klebeverband befreit, mir wird aus dem Stuhl geholfen, sehen kann ich ja nur noch einäugig, mir werden Jacke und Rucksack gereicht und nix wie raus! Der liebste Holzmann schaut erstaunt: „Wie jetzt, du kommst alleine und ohne so einen dicken Verband auf dem linken Auge?“ „Ja, ja, ich erzähle es dir gleich.“ Jetzt bloß weg hier! Ich kämpfte jetzt nicht mehr mit der Panik, sondern mit den Tränen und der verdammten Scham, die hier so fehl am Platze war, wie blühende Schneeglöckchen im Januar auf dem Berg. Der Liebste wäre nicht der Liebste, wenn er mich jetzt nicht in den Arm genommen hätte und ruhig geblieben wäre, den Rucksack übernahm und mich Halbblinde an seine große Hand genommen hätte. Wie ich ihn in solchen Momenten liebe! Trotz aller Scham, dem Loosergefühl und der totalen Erschöpfung nach solch einem Morgen, an dem mich (mal wieder) die Welle ritt und nicht ich sie …
Und jetzt? Jetzt muss ich nach Freiburg … Vollnarkose und Laser, ein Skalpell kommt mir nicht ans sehende Auge, sei der Blick auch noch so verschwommen! Das kann jetzt eine Weile dauern, egal, ich sehe ja noch was!
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