Maisonntag 2020

Letzten Sonntag in meinem neuen Garten

Die Rosen an meinem Rosenbogen beginnen zu blühen. Ich war sehr gespannt in welcher Farbe sie sich präsentieren werden. Am linken Bogen öffnen sie ihre kleinen Blüten in einem warmen Dunkelrot und bilden zudem eine innige Symbiose mit einer Eiche.

Am rechten Rosenbogen kann ich die Farbe nur so beschreiben: lachsrosagelb mit zarten Rottönen. Oberhalb der Laterne hat sie sich mit dem rechts von ihr, etwas rüde beschnittenen Pflaumenbaum befreundet, der aber hier nicht mehr ins Bild passte.

Draufklick = große Bilder – please click to enlarge

Soviel zur spätnachmittaglichen Stimmung am letzten Sonntag. Im Kopf spukte ein Schreibprojekt, auf das ich durch einen Beitrag von Sofasophia aufmerksam geworden bin → https://sofasophia.wordpress.com/2020/05/16/erzaehlen-und-erzaehltbekommen/ .

Es geht darum zu erzählen wie wir unseren „Coronaalltag“ erleben. Eingeladen sind alle, die sich gerufen fühlen.

Mittlerweile habe ich eine Momentaufnahme dieses Sonntags an den Initiator geschickt. Von seiner Seite ist es in Ordnung, dass ich diese Geschichte mit euch teile, obwohl er plant aus den Zusendungen ein Buch zu machen: „Cronica Corona“. Wenn du mitmachen willst → https://cronica-corona.ch/mitschreiben/

Eine weitere Geschichte zum Projekt las ich bei Irgendlink → https://irgendlink.de/2020/05/16/bei-einer-ruhebank-ein-halber-hund/



Ein Sonntag im Mai im Jahr von Corona

Am Sonntag ist der Garten mein sicherster Ort. In Wald und Flur tummeln sich die Hungrigen – wer will es ihnen verdenken? Ich visoniere Wandermenschen mit Knickerbockern, roten Strümpfen und Mundschutz. Seitdem ich auf Instagram zig Fotos von Mundundnasenschutzmenschen aller Couleur gesehen habe, empfinde ich anders. Bedrohter?

Um Alltag ringen, den Tagen am Morgen ihre angestammten Namen zuordnen und die dazugehörigen Ziffern – als Halt. Ich denke an Zeiten, in denen es weder Tagesnamen, noch bezifferte Tage gegeben hat, nur Mond- und Sonnenläufe und Jahreszeiten. So unvertraut es uns auch ist, auch damals ging es um ein Dach, einen Menschen oder mehrere an der Seite, um Partnerschaften, Essen, Trinken, Sex, Liebe und Musik. Welche Geschichten Väter, Mütter, Großeltern wohl den Kindern zur Guten Nacht erzählt haben? Welche Melodien haben sie beim Wiegen gesummt? Welche Worte haben sie verliedert?

M sagt, sie sei schon ganz verlottert. Ihre Tage und Nächte verschwämmen ineinander. Wieder denke ich an die vier Tage und vier Nächte allein im Zelt – damals verschwammen Tage und Nächte auch. Ich schlief, wenn ich müde gewesen bin und machte Menschensachen, wenn ich wach und munter gewesen bin; ich fühlte mich frei – ich wollte nicht mehr zurück; ein tränenreicher Abschied, einer mehr. So kam ich zurück. Ein winziger Teil von mir blieb für immer dort, wir sind nicht getrennt voneinander.

Ewige Verbundenheit über mich hinaus ist ein Unsicherheitsfaktor, den ich schwankend betrachte und ich denke an die Taube mit dem verletzten Flügel. Ob er verheilte?

Worte der Verluste, des Scheiterns und Suchens, der Fragen und Sehnsüchte finden sich auf Bergen von Papier, sie füllen Buch um Buch und verliedern sich. Der Jubel des Glücks ist schnell erschöpft. Stetige Wasser von Vertrauen und wachsender Liebe strömen leise in tiefen Betten.

Heute wandere ich durch meine inneren Wälder und Wiesen, sitze am Ufer von Bruder Fluss, den nur ich so nannte und noch nenne. Ich lausche seinem stillen Lied. Die zwei Fische, den kleinen und den großen, hat der Fluss schon längst zum Meer getragen. Dort sind sie untergegangen.

Isolation also – freiwillig und unfreiwillig. Verschwimmende Tage, Verlotterung, Freiheit, Vermeintlichkeit, Struktur in Nichtstruktur knüpfen, von Knoten zu Knoten hangeln, die inneren Dialoge werden lauter.

Ach, ihr armen Kinder! Immerzu gefilmt, fotografiert und behütet – die Einen. Die Anderen … es ist eine Grausamkeit in unserer Menschenwelt! Mehr denn je. Autos zählen mehr als Kinder, Technik mehr als intakte Natur. Besinnung zur Umkehr ist eintragslos. Schwere Zeiten, nachdenkliche Zeiten, Tage mit roten Freudepunkten, willig meine Freude teilen und säen, für den Widerstand. Um den Ängsten, der Schwere, den Unsäglichkeiten standzuhalten. Den Rücken gerade halten, den Kopf oben, jegliche Häme und Gehässigkeit aus dem Gesicht streicheln, behutsame Schritte nach vorne gehen, Geheimnisse sind die Begleiter.

Einmal noch die Halskette anlegen, die Perlenohrringe und das beste Kleid anziehen, das ich Aschenputtel nicht mehr besitze, noch einmal zur Schiffskapellenmusik mich auf der Tanzfläche drehen und dann sinken; tief sinken – in den feuchten Meeresgrund hinein. Dort den kleinen und den großen Fisch wiedersehen, mich zu ihnen legen, dann still – Vergessen und Verlockung.

Ich möchte nie mehr von hier weg, erzähle ich heute dem Garten. Ich möchte weit weg, erzähle ich später den Zimmerwänden. Überall Wände. Hier nicht hindürfen und dorthin auch nicht. Die Zelle ist weitläufig, Sicherheitstürme sind keine zu sehen. Keine Kontrollaugen in der Nachbarschaft. Was weiß ich schon?

Doch ja, es ist Sonntag, der siebzehnte Mai im einundzwanzigsten Jahr des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Die Sonne wandert hinter die Bäume. Ich war heute spät dran, bis ich den Weg von drinnen nach draußen fand.

Ich höre dein Flattern. Wie schön! Dein Flügel ist verheilt.

Sechsmal schlägt die Kirchenglocke. Ich brate Kartoffeln und mache einen Salat. Die Mahlzeit, die nichts von Vermählung hat, nehme ich auf dem linksseitigen Stuhl am Tisch ein. Auf dem Stirnseitenstuhl sitze ich, wenn ich frühstücke, der rechtsseitige Stuhl ist für die Gäste, die jetzt ausbleiben. Nach dem Essen werde ich gesellig. Ich öffne ein Bier und stoße mit mir an. Ich lächel mir zu und wünsche uns ein gutes Leben.



To my English speaking readers: You can read every article of me in English, if you’ll go to the end of my blog page, you’ll find the button „Google Translater“. Enjoy!

54 Gedanken zu „Maisonntag 2020

    • Du Liebe, ich freue mich und bleibe an dem Wort „verwunschen“ hängen. Es ist ein schönes Wort. Ich spüre ihm nach, in Bezug auf meinen Text, um zu verstehen, wieso meins auf dich so wirkt.
      Ich danke dir.
      Liebe Grüße
      Ulli

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      • „Heute wandere ich durch meine inneren Wälder und Wiesen, sitze am Ufer von Bruder Fluss, den nur ich so nannte und noch nenne. Ich lausche seinem stillen Lied. Die zwei Fische, den kleinen und den großen, hat der Fluss schon längst zum Meer getragen. Dort sind sie untergegangen.“ Das klingt zum Beispiel für mich sehr verwunschen – es transportiert so eine ganz bestimmte Schwingung – nicht ganz real, aber auch nicht ganz mystisch. Ich kann es schlecht erklären ,,,,, Aber mich freut, dass es dich freut 🙂
        Liebe Grüße
        Sabine

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        • Ah, das verstehe ich nun gut – gerade hinter dieser Passage stecken natürlich auch Erlebnisse und eine Geschichte, die sich aus ihnen „gesponnen“ haben – dazu gehören z.B. die zwei Fische … manchmal versymbolisiere ich, dadurch entsteht dann wohl diese verwunschene Stimmung –
          Liebe Grüße an dich
          Ulli

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    • Oder über ein Aschenputtel 😊
      Ich wollte ihn eigentlich Dreizeitig nennen, aber hierzu fehlte dann doch der Blick über das Jetzt hinaus.
      Auf alle Fälle habe ich mir damit einen Platz in der Anthologie erobert, was mich natürlich sehr freut.
      Liebe Grüße
      Ulli

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  1. es sind schöne, „verdichtete“ passagen im text, das ist gut, bringt tiefe … insgesamt bin i (auf einer anderen ebene meines lesens) a bissl besorgt: wegen den resignativen elementen, wegen der traurigkeit, die da aus den zeilen schaut, wegen dem (wie meine mutter es genannt haben würde) „hoimwee“, das mehr ist als das platte, kahle “ heimweh“ und ganz fein und fest und dicht das herz durchwurzelt, so dass es beinah nicht mehr schlagen kann … die rosen aber, die den text einleiten, auch (für mich) der herzkraft zugeordnet, die rosen sind lebendig und stark …

    nun hab ich (zu?) viel geschrieben, muss weiter eilen durch den tag …
    dir einen ❤ – gruß, liebe ulli!
    pega

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      • Ach, weil ich die beiden Sachen im gleichen Artikel erwähnt hatte. Ich verstehe. Ne, war nicht so gedacht. Sind zwei verschiedene Sachen. Aber jetzt wo du es sagst: Eigentlich wäre sein Text durchaus passend für Manuels Buch. Ha! Ich frage ihn mal.

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        • Ich finde ihn sehr passend, aber er ist natürlich ziemlich lang – Manuel hat ja diese Vorgabe von 2800 Zeichen, mit Leerzeichen, dafür ist meiner auch zu lang, aber er schien flexibel 🙂 hatte einen netten Mailaustausch mit ihm, ich dachte, dass ich ihn vom Noverberschreiben 2007 vielleicht kennen würde, aber dem ist nicht so – na, auf jeden Fall ist das eine tolle Idee und du hast einen tollen Freund 🙂

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  2. Wie bedachtsam du beschreibst, wo welche Rose erblüht, in welcher Gemeinsamkeit (Eiche und Pflaumenbaum) – das klingt schön und richtig. Dann aber du selbst, die leeren Stühle, es ist, als sei das Gewebe zerrissen, da können dann allerlei Gedanken hineinwuchern, von ertrunkenen Fischen, zu denen man sich legen möcht. Wie Pega sagt, da ist ein Hoimweh, eine Sehnsucht nach Verbundenheit „über mich hinaus“, die durch Umzug und vorgeschriebene Isolation schmerzhafter als sonst empfunden wird. So ohne Verbundenheit, zwar in sich selbst verwurzelt, aber ohne die Menschen zur Seite, wie die Rosen Pflaumenbaum und Eiche haben, da ist der Mensch nicht verortet, gerät ins Taumeln, in den Sog seiner inneren Bilder, die kommen und gehen.
    Du hast dafür einen sehr starken Ausdruck gefunden. Liebe Grüße! Und wenn du magst, setze ich mich nachher mal auf deinen Besucherstuhl und wir plaudern ein wenig miteiander. Gerda

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  3. Liebe Ulli, wenn das eine Petition von Greene Peace oder einer anderen Institution wäre, die die Natur schützen und erhalten möchte – ich würde sie sofort unterschreiben.
    Liebe Grüße aus den vielen Wänden von Clara

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  4. Klare romantische Beschreibung Deiner äußeren und inneren Welt. Traurig ja melancholisch der Rythmus. Gerne wäre ich Dein Gast um Dich zu erheitern, ein Glas klingen zu lassen und dann auch traurige Lebensabschnitte auszutauschen.

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    • -M- romantisch? Ist lyrisch/symbolisch = romantisch? Traurig/melancholisch, ja, damit kann ich tanzen, das trifft die Stimmung. Und ein Glas am Küchentisch, ob hier oder dort wäre wirklich mal dran, Tom! Wir kriegen das noch hin, mit traurigen und fröhlichen Lebensabschnitten 🙂
      Liebe Grüße
      Ulli

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  5. Gerade eine wunderschöne Reise gemacht… Weißt du wohin?! Und jetzt wieder zu Hause in meinen vier Wänden… Und eine Tasse Kaffee wartet auf mich.

    nur noch den Moment nutzen, Liebe Ulli, um mich bei dir für einen Besuch anzukündigen. auf dem Stuhl für Gäste… für ein ne Begegnung während meiner virtuellen #TraumSommerReise

    vielleicht, so hoffe ich, öffnest du mir die Tür.
    💚liche Grüße in deinen wunderschönen Sommergarten

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    • Aber klar öffne ich dir meine Tür – Willkommen!
      Wohin du aber gereist bist, ist mir gerade nicht so ganz klar, es sei denn, dass du mit mir gereist bist- magst du es mir verraten?
      Herzliche Grüße Ulli

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  6. Wie schön, Deine Rosen mit den besonderen Farben, über die ich nun nachdenke und mich frage, ob sie meinen etwa ähneln oder doch anders wirken. Bei Dir schaut es viel ordentlicher aus als hier. Hier wurde ein Gerüst aufgestellt und Renovierungsarbeiten an den Balkonen sind im Gange und alles schaut unmöglich aus. Aber wenigstens scheinen meine Pflanzen heil zu bleiben. Lavendel und Rosmarin sind robust, nur die Rosen weinen still vor sich hin.
    Du sehnst Dich nach einer Zeit, die war und nun vergangen ist, liebe Ulli. Wie gut verstehe ich Dich, Abstriche an
    den Träumen, die alles so verwunschen aussehen ließen… Aber verlottert, wieso denn? Entspannt sind sie nicht, diese Tage? Vielleicht ist da ein Warten in Dir und noch ist es nicht sicher, wo die Reise hingeht…?
    Ich setze mich auch zu Dir und wir erzählen ein bisschen oder auch ein bisschen mehr vom Meer, seinen Fischen und Bruder Fluß, der auch noch auf der Reise ist, denn noch ist er nicht dort, wo er münden möchte. Er sucht diese Sehnsuchtsstelle, die sich manchmal in Nebel hüllt. Doch der Nebel hebt sich und alles wird gut.
    Ganz herzlich, Bruni am Abend

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    • Liebe Bruni, es heißt ja im Text: M sagt sie sei schon ganz verlottert.
      Also nicht ich.
      Sehnsucht? Vielleicht auch, eher ging es mir um Verbundenheit, um einen Ort, der immer bei mir ist.
      Auch du bist willkommen in meiner Küche 😉
      Ganz liebe Grüße
      Ulli

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  7. Ich werde mich niederlassen wo ich ein Plätzchen finde.
    Wie gut, daß nicht DU verlottert bist, liebe Ulli. Daran hatte ich beim Kommischreiben gar nicht mehr gedacht.
    Liebe Grüße zur Nacht von Bruni

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