Etüdensommerpausenintermezzo 02 2019

Weiter geht es mit meinen Lieblingsetüden, mit einem lieben Gruß an Christiane, die sich immer wieder etwas Neues einfallen lässt und nicht müde wird die Etüden zu betreuen. Herzensdank dafür und auch an alle Mitschreibenden!

Im September 2018 gestaltete schon Christiane die Einladungskarten. Ludwig Zeidler, der den Anstoß für die Etüden gegeben hatte, sie moderierte und die Einladungskarten dazu gestaltete war 2018 schon nicht mehr dabei (s. vorherigen Beitrag). Ich finde es noch immer schade, dass er nicht mehr blogt und auch sonst gerade nicht mehr im Netz zu finden ist.

Sein Same aber ist aufgegangen, die Etüden leben noch immer, dank Christianes Engament.

Die Etüde

Sie trägt einen alten Koffer in der Hand, einen Rucksack auf dem Rücken. Heute hat sie sich ein rotes Kleid gekauft. Rot, das ist neu. Mit geradem Rücken schreitet sie die Gangway des Kreuzfahrtschiffes hinauf. Sie dreht sich nicht um. Ihr Blick geht geradeaus.

Sie mag keine Kreuzfahrtschiffe, wollte nie mit einem fahren, aber jetzt. Weil jetzt alles anders ist. Sie hat sich rote Stöckelschuhe gekauft, gerade so hoch, wie sie noch in ihnen laufen kann. Wie gut es tut den geraden Rücken zu spüren, das rote Kleid umspielt die nackten Beine, die roten Stöckis tragen.

Rot liegt sie an Deck im Liegestuhl. Möwen kreisen. Bronzen schimmert ihre Haut, roter Stift auf schmalen Lippen, Spiegelsonnenbrille. Mehr Zeichen setzt sie nicht. Kein Koffer, kein Rucksack, keine Kamera, kein Buch, kein Getränk, keine Zigarette, kein Heft, kein Stift, keine Bewegung. Das Zwerchfell hebt und senkt sich. Vorüberschlendernde werfen kurze Blicke, dann schlendern sie weiter. Sie sieht sie. Sie sehen sie nicht. Sie spiegeln sich in ihren Sonnengläsern.

Wie manche herumstelzen, als gehöre ihnen die ganze Welt! Diese ganze gemeingefährliche Touristenbande!

Wieso denkt sie das jetzt? Sie kennt keinen von ihnen, sie will auch niemanden kennenlernen. Nicht jetzt und auch nicht morgen. Sie will nur weg, weit weg. Die Anderen anders sein lassen. Aussteigen wird sie wenn der Ort stimmt, vielleicht in Island. Keine Pläne, raunt sie sich zu. Es kommt was kommt und ich werde wissen, wenn es stimmt. Jetzt erst einmal kreuz und quer.

Rot steht sie an der Reling, inmitten von grau, beige, blau, weiß und schwarz. Sie raucht. Möwen kreisen.

Sie wird freundlich sein im fremden Land, mehr nicht. Sie will alleine sein, nichts müssen, sich selbst eine gute Freundin sein, mehr nicht.

Nun hat sie doch einen Plan. Sie lächelt. Land in Sicht.

297 Wörter


Der Text ist Teil aus meiner Novelle: Die kleine Blaue Frau träumt Meer, allerdings habe ich ihn für die Etüde etwas abgewandelt. Ich habe diese Etüde vor allen Dingen aus dem Grund ausgesucht, weil sie bei ihr Ersterscheinung (s.Link unten) kontrovers aufgenommen wurde. Nun bin ich gespannt wie sie dieses Mal auf wen wirkt.

Da ich nun in Lothringen bin, kann ich eure Kommentare frühestens ab Sonntag, 04.08. moderieren, sorry. Aber dann … ich freu mich drauf!


Der ursprüngliche Beitrag → https://cafeweltenall.wordpress.com/2018/09/28/eine-etuede-sept-2018/

16 Gedanken zu „Etüdensommerpausenintermezzo 02 2019

  1. Ich mag Aufbruchsgeschichten immer noch. „Sich selbst eine gute Freundin sein“ – o ja! Aber heute würde ich auch Gerda zustimmen: Rot ist eine Signalfarbe – auch/gerade für andere. Wer in Rot geht (wobei ich ein strahlendes Rot vor Augen habe, kein Weinrot), wird gesehen, deshalb sind ja auch Ampeln rot.
    Wenn sie nicht hinter dem stehen kann, was die Farbe aussendet, wird sie Probleme mit Erwartungen bekommen, die sie (unbewusst) weckt, aber nicht erfüllen mag.
    Wie siehst du das heute?
    Liebe Grüße, lass es dir wohl sein in Lothringen
    Christiane

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    • Liebe Christiane, mir fällt auf wie schwierig es doch ist, wenn ich ein Teil aus einem Ganzen „schneide“ und für die Etüde benutze, ich weiss ja wie sie dahin gekommen ist und durch welche Wandlungsphasen die kleine blaue Fraue noch gehen wird. So muss ich mich nun in dich/euch als Leserinnen und Leser versetzen, was gar nicht so einfach ist. Ich kann heute sicherlich besser dein und Gerdas, aber auch Werners Einwand, Brunis Fragen dazu nachvollziehen – ja, Rot ist (auch) eine Signalfarbe, sie will ihren Auf-, bzw. Umbruch signalisieren/unterstreichen – es ist dieser eine Moment und sie scheint stark genug zu sein die Blicke, die sie wahrnimmt, nicht zu sich durchdringen zu lassen, bei sich zu bleiben.
      Liebe Grüsse
      Ulli

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  2. Ich habe das Rot gar nicht als Signalfarbe o.ä. wahregenommen, sondern als auffällige Farbe in Bezug auf das, was sie vorher trug. Sie will alles anders machen, nicht mehr angepasst sein. Wäre sie vorher wie ein Paradiesvogel rumgelaufen, vllt würde sie jetzt schwart tragen. 😉
    Ich finde die Stimmung toll. Einerseits Aufbruch, andererseits Flucht. Schön, dass du sie nochmal ausgegraben hast.
    Grüße, Katharina

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  3. Interessant, Deine Etüde, liebe Ulli, ich grübele über die Frau in Rot nach. Was möchte sie denn? Ein anderes Lebens als bisher, nehme ich an. War sie ein graues Mäuschen, unauffällig und niei beachtet?
    Und nun hat sie sich entschlossen, es allen zu zeigen? Oh, oh, das kann enttäuschend sein. so von einem Tag zum anderen, nun plötzlich anders sein zu wollen. Auf Lebensfroh kann man doch nicht einfach schalten? Und ihr Rot deutet für jeden auf eine lebhafte und mutige, eine weltoffene Frau. Kann sie ihrem eigenen Signal gerecht werden?
    Sie stellt sich einer Herausforderung. Ist denn ihr Innertes dazu bereit? Wenn ja, wird es gelingen, aber Du läßt sie im Zwiespalt, scheint mir. Schmale Lippen deutet vielleicht auf bisher verkniffene Lippen hin und nun leuchten sie in auffälligem Rot… Ulli rette sie. Nur Du kannst ihr eine Hilfe geben. Du weißt um sie, Du kennst sie.
    Eine gute Etüde, die sehr zum Nachdenken bringt.

    In Lothringen geht es Dir gut. Ich erinnere mich an letztes Jahr.
    Hab gute und schöne Tage, erhole Dich von allem, was belastend war.
    Komm gesund an Leib und Leben zurück.

    Ganz herzlich, Bruni

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    • Liebe Bruni, ich kann deine Fragen gut nachvollziehen, aber nun … es ist ein Ausschnitt aus meiner Novelle, die eine Geschichte der Wandlungen ist, es gibt etwas davor und natürlich dahinter und natürlich bleibt sie nicht in ihrem rotem Kleid stecken, aber für diesen Moment war es wichtig, wie die roten Schuhe (die sich auf Andersens Märchen beziehen, das ich nicht wirklich mag) und die roten Lippen, die vielleicht auch mal verkniffen gewesen sind, aber nie dauerhaft!
      Danke für deine Fragen, dein Empfinden 🙂
      Herzensgrüsse an dich,
      Ulli

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      • Du hast einen Ausschnitt ausgewählt, der sehr neugierig auf diese Frau macht, liebe Ulli
        Liebe Gutenachtgrüße von Bruni an Dich

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    • Als Ausdruck ihrer Energie! Diese Geschichte geht ja weiter und sie legt auch das rote Kleid wieder ab, es u.a. eine Geschichte der Wandlungen …
      liebe Grüsse
      Ulli

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