Eine neue Etüdenrunde startete am Sonntag. Christiane hat wieder dazu eingeladen, die Wortspende stammt dieses Mal von Agnes Podczeck.
Wie immer herzlichen Dank an dich, Christiane, für deine Unermüdlichkeit, die feinen Bilder und an dich, Agnes, für die Wörter, die ich sofort toll fand und die nun ganz anderes hervorbringen als ich zunächst dachte.
Hier nun also meine (erste) Etüde.
Sie dreht den Satz in ihrem Mund, wie eine heiße Kartoffel. Wort für Wort, Biss für Biss.
Es kann gut sein, dass er sie für anzüglich halten wird. Viele Männer sehen sich noch immer als Eroberer. Undenkbar, dass der zu erobernde Kontinent, nämlich sie, den ersten Schritt tut. Sie aber will es, sie will auf ihn zugehen und ihm ins Ohr flüstern: Ich will mit dir schlafen. Jetzt.
Sie will seine Reaktion sehen, das wird alles entscheiden. Wie herrlich es in ihr kribbelt!
Die Kartoffel ist abgekühlt, zerkaut, runtergeschluckt und fährt nun als Kartoffelbrei durch ihren Verdauungskanal. Sie schaut auf die Uhr.
-Wieder Einer, der nicht pünktlich sein kann! Noch fünf Minuten, dann bin ich weg.
Erotik verwandelt sich in Ungeduld und Frust. Gleichmäßig tickt der Zeiger seine Runden.
Als sie ihn in der Ferne mit wehendem Mantel näherkommen sieht, dreht sie auf ihrem Absatz um. Die fünf Minuten sind um, fünfunddreißig sind zusammenkommen. Sie geht die Treppen zum U-Bahnhof hinunter.
-Ich lasse mir meine Zeit nicht mehr stehlen! Ich lasse mich nicht mehr bevormunden! Sex hin oder her.
Sie streichelt über ihren Bauch. Die Schmetterlinge sind ausgeflogen, sie lacht in sich hinein, über sich, die Welt und alle Eroberer in Einem. In ihrem Bauch wächst ein Kartoffelbaby.
208 Wörter
Sie möchte ihm ihren Körper schenken, aber nur zu ihren Bedingungen. Okay, ihr gutes Recht.
Trotzdem hinterlässt die Etüde bei mir offene Fragen. Wird es ihr nicht leidtun? Hätte er nicht die Chance verdient, ihr zu erklären, warum er so spät ist? „Wieder einer, der“ hört sich so an, als ob sie die Spezies über einen Kamm schert. Liegt ihr überhaupt an ihm oder ist er nur praktisch?
Oder, umgekehrt: Wenn die beiden noch in einer ganz frühen Phase sind, heißt sein (absichtliches) Zuspätkommen dann nicht, dass er ihre Werte (Pünktlichkeit) nicht respektiert (vielleicht sogar unbewusst), dass er dominieren will, dass er sich nicht viel aus ihr macht? Sollte sie also froh sein, dass sie rechtzeitig weg ist?
Wir werden es nie erfahren …
(Ich kenne Männer, die, wenn sie meinen Kommentar lesen würden, der Meinung wären, so etwas könne sich typischerweise nur eine Frau ausdenken.)
Liebe Grüße
Christiane 😉
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Liebe Christiane, ich tendiere zu deinen zweiten Überlegungen. Ich habe das Gefühl, dass sie sich gerade in sich selbst aufrichtet und ihren Selbstwert und ihre Unabhängigkeit nährt (ihr Kartoffelbaby) 🙂
Frauen zeigen oft Verständnis und kommen dann am Ende zu kurz.
Meinst du echt, dass manche Männer so über deinen Kommentar denken? -M-
liebe Grüße
Ulli
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JAHA! Das ist ein Grund, warum Männer Frauen für „kompliziert“ halten und Frauen „komplizierte“ Männer lieben – sie glauben, endlich mal jemanden gefunden zu haben, der komplex denkt!
Gut, trifft bestimmt nicht auf alle Herren zu, aber … 😉
Ich dachte mir, dass du mit deiner Etüde zum zweiten Teil tendieren würdest.
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Das gefällt mir sehr! Diese *Etüde* hat schon fast symphonische Qualitäten!
Liebe Grüße, Werner
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Oh …
Dankeschön, lieber Werner.
Herzliche Grüße
Ulli
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Leicht und erdig in einem. Mag ich sehr !
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da freue ich mich, liebe Myriade 🙂
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Alles muß timely kommen. Wie schnell kann etwas verfliegen, man wundert sich manchmal. 🙂
Schöne Geschichte!
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timely (?) heißt right in time? 😉
JA, kribbeln ist ein flüchtig Ding.
Schmunzelnde Grüße
Ulli
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wir stürmen dem Wochenende entgegen und lassen es uns gut gehen
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Sehr klasse, finde ich. Eine mutige Frau, die nicht mit sich spielen lässt. Danke fürs Schmunzeln in meinem Gesicht.
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Schön, dein Schmunzler 🙂
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Die Flut deiner Fantasie hat mich beinahe überwältigt, liebe Ulli. Und das mit nur 300 Worten. Wann kommt der große Roman über das Kartoffelthema zur Erbauung aller Männer, die noch in der alten, brüchigen Welt der einst dominierenden Klasse leben? Hab noch einen wunderschönen Tag! Peter
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ich lächeln dir zu, Peter und grüße dich herzlich
Ulli
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Danke, das Lächeln tut mir gut.
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Gefällt mir ganz außerordentlich, liebe Ulli! Danke für diesen Lesegenuss. Und mein Lächeln. Das Kartoffelbaby wird wachsen, es ist gut, dass sie auf sich vertraut.
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Och schön, liebe Agnes, das freut mich sehr. Bei den Etüden bin ich oft noch unsicher.
Liebe Grüße
Ulli
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Ob sie auch denkt: da hast Du mal wieder den (Kartoffel-)salat😔
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🙂 danke Karin, für deinen humorigen Kommentar!
liebe Grüße
Ulli
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hm, ist sie nicht zu krass in ihrer Reaktion, liebe Ulli? (Fast hätte ich Deine Etüde übersehen in meinem Frühlingsrausch…) Hätte sie ihm nicht eine Erklärung zugestehen müssen, wieso er zuspätkommt?
Es kann so vieles geschehen…. Kommt er tatsächlich 35 Minuten zu spät?
Eigentlich hätte er anrufen können, als er merkte, wie sehr er sich verspätet.
Ein Handy haben sicherlich beide dabei, oder?
Liebe Grüße zum Abend von Bruni
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Nun ja, sie hat ihre Erfahrungen mit Männern, die zu spät kommen, es heißt ja: „Wieder einer, der nicht pünktlich sein kann. Und sie will ihn auf die Probe stellen, wie wir zuvor erfahren. Es liest sich ja nicht so, als hätten sie schon eine tiefere Beziehung. Und ja, er kommt 35 Minuten zu spät. Sie hat sich ihr Limit von den letzten fünf Minuten gegeben und reagiert konsequent, weil es sie anscheinend auch an Erfahrenes erinnert, warum sonst sollte sie sich sagen, dass sie sich ihre Zeit nicht MEHR stehlen lassen will, wie auch nicht mehr bevormunden.
Bei deinem Kommentar lese ich nun eher eine Haltung heraus, die man bei guten Freunden oder bei Partnern einnimmt.
Herzliche Freitagnachmittaggrüße
Ulli
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*lächel*,vermutlich,liebe Ulli.
Es ist zu lange her, dass mich einer versetzt hätte 🌞🤔
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Wenn ich Geschichten schreibe, bin ich oft nicht die, um die es geht oder ich bin die, aber zu einer anderen Zeit, so wie ich sie mir dann phantasiere – ob Etüden oder Gedankenfäden oder Miniaturen oder … halten sich Authentisches und Fiktives die Waage, manchmal ist es auch nur Fiktion, manchmal nur von außen Beobachtetes –
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🌝so ähnlich ist es bei mir ja auch.
Manchmal authentisch, manchmal fiktiv und manchmal mischt es sich . Alles so wie es passt.
Herzlichst, Bruni
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SIE will doch erobern, und dann hat der Kontinent einfach da zu sein! Ist doch ganz einfach.
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Das ist ein sehr interessanter Einwand, Werner! Danke dafür. Ich glaub, ich muss noch einmal mit ihr sprechen. 🙂
liebe Grüße
Ulli
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Bei mir kommt es so an, dass sie schlicht die Schnauze voll hat. Davon, dass man (Mann) ihr die Zeit stiehlt, dass sie für selbstverständlich genommen wird, sie selbst sich nicht wichtig genug nimmt… Mir gefällt diese Geschichte von Dir sehr gut. Und trifft ehrlich geschrieben auch einen Nerv…
Liebe Grüße
Nicole
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Danke Nicole, so war es gemeint 🙂
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