Etüde 002b 2019

Unruhig rutschte Hannah auf ihrem Stuhl vor der Tür hin und her. Sie ermahnte sich ruhig zu bleiben, zu vertrauen, zu atmen, jetzt bloß keine Schwächen zeigen, die waren hier, in diesem Glasbetongemisch, fehl am Platz.

Man hatte sie gebeten vor der Türe Platz zu nehmen und sich einen Moment zu gedulden. „Man“ waren drei geschniegelte Herren in Maßanzügen, sportlich, attraktiv und sehr smart. Von ihnen hing alles ab.

Auch Hannah hatte sich nicht lumpen lassen, sie war beim Friseur gewesen, hatte sich ein sündhaft teures Kostüm mit passender Bluse gekauft, ihre Füße steckten in schwarzen High Heels. Sie hatte Zuhause geübt, so, dass es aussah, als wäre sie nie in anderen Schuhen über Flure und Straßen gegangen. Ihr Make-up war perfekt. Ihre Haltung suggerierte Selbstbewusstsein. Ja, auch das hatte sie geübt, Frau Z. hatte sie gecoachet, nach dem Motto, was es braucht, um erfolgreich in dieser Welt zu sein. Wochenlang hatte sie kaum Kohlehydrate gegessen, ihre Salatschüssel hingegen war immer gut gefüllt gewesen. Sie fröstelte.

Leise seufzte sie, es ging doch nur um einen Job als Buchhalterin, allerdings mit einem Spitzengehalt.

Endlich öffnete sich die Tür. Einer der Aalglatten bat sie wieder einzutreten und Platz zu nehmen.

Fräulein Schikowsky … äh, Entschuldigen Sie bitte … Frau Schikowsky, natürlich“, verbesserte er sich mit Blick auf ihre unberingten Finger, „leider muss ich Ihnen mitteilen, dass wir Sie nicht übernehmen können …“ Mehr hat Hannah nicht mehr gehört, er redete noch eine Weile, sie aber hörte nur Rauschen im Kopf, gab sich einen Ruck, stand auf und verließ türeknallend den Raum. Auf dem Flur schleuderte sie diese scheißunbequemen High Heels von sich, öffnete die zwei obersten Knöpfe ihrer seidigen Bluse und konnte endlich wieder frei atmen. Wie ist sie nur auf die saudumme Idee gekommen, sie könnte eine andere sein.

298 Wörter



geschrieben für das Etüden-Projekt → https://365tageasatzaday.wordpress.com/2019/01/20/schreibeinladung-fuer-die-textwochen-04-05-19-wortspende-von-myriade/

38 Gedanken zu „Etüde 002b 2019

  1. Ich kann die Befreiung so gut nachvollziehen! Aber wenn die Herren von „übernehmen“ sprechen, dann hat sie da ja schon gearbeitet. Die Arme, wie hat sie das bloß ausgehalten?
    Sie hat so recht, finde ich.
    Liebe Grüße
    Christiane

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    • Du hast aufmerksam gelesen, liebe Christiane, denn an sich wollte ich es als Vorstellungsgespräch sehen, aber das Wort „übernehmen“ suggeriert dann eben doch, dass sie dort schon gearbeitet hat – vielleicht drei Tage zur Probe 😉
      Ansonsten, ja, sie hat Recht, macht eh nur krank, wenn man auf Dauer in ein unpassendes „Kostüm“ schlüpft.
      Herzliche Grüße
      Ulli

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  2. Mich schaudert es immer wenn ich den angeblich unverzichtbaren Business-Look sehe. Diese Uniform, die obendrein schuhmäßig für Frauen eine Dauerfolter ist.
    In der Schule, in der ich arbeite, wird den Jugendlichen auch eingebläut, dass sie zu Vorstellungsgesprächen so zu erscheinen haben ….

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  3. Ich kenne das Milieu deiner Geschichte nicht wirklich, aber es macht mich wütend, die aufgepeppten Nachrichtensprecherinnen und Wetteransagerinnen, Kommentatorinnen oder sonstwie im TV Beschäftigten zu sehen. Diese High heels, diese Frisuren und Make-Ups, diese täglich neue Aufdonnerei! Ich frage mich dann immer: warum lassen Frauen das mit sich machen? Die Männer tragen, was sie gern tragen, bequem, lässig. Die Frauen aber werden zu einem Produkt gestylt. Nur die „ganz oben“ (zB Merkel) können sich leisten, ihren Stil selbst zu bestimmen.
    Übrigens: Offenbar ist deine Protagonistin nicht die Richtige für den Job – ganz unabhängig von ihrem Look. Vielleicht ist es ja nur in den Köpfen der Frauen zu meinen, dass high heels den Unterschied zwischen Joberfolg und Arbeitslosigkeit machen. Vielleicht kommt es ja doch vor allem auf die Qualifikationen an?

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    • Was mich auch immer wütend macht ist, wenn die Kommentatoren und Nachrichtensprecher obendrein Politkerinnen/Schriftstellerin etc. „beschreiben“, das wird bei keinem Politker gemacht, da interessiert es niemanden, ob er groß, klein, dick, dünn, gut oder schlecht gekleidet ist.
      Was den Stil von Frau Merkel anbelangt, so stimmt das nicht, ich habe mal zufällig eine Doku gesehen, sie hat eine Stylistin … wie ich finde mit schlechtem Geschmack.
      Sicherlich kommt es auch auf die Qualifikationen an, aber nicht zwingend in einem Bürojob, man kann ja davon ausgehen, dass sie Buchhalterin ist, sonst würde ihre Bewerbung ja gar keinen Sinn ergeben. Leider zählt das Spiel von „Kleider machen Leute (Frauen) heute wieder mehr wie schon. Aber sie hätte auch wegen ihrem Temperament nicht gepasst: Türe knallen, Schuhe von sich schleudern spricht nicht gerade für einen „gemäßigten“ Charakter, früher oder später hätte sich auch das bemerkbar gemacht.
      Herzlichst, Ulli

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  4. Am besten gefällt mir die Stelle, an der sie die Quälschuhe für Frauen von den Füßen kickt.
    in dem Moment, in dem man für eine Beziehung, egal welche, bereit ist einem fremden Ideal zum Preis des Selbstschadens, entsprechen zu wollen, ist sie kernkrank.

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    • „kernkrank“ … ja, aber was machen Menschen nicht alles, um zu gefallen, einen Job zu kriegen etc. und selbst, wenn sie dann gefallen oder einen Job bekommen, werden sie dann eben irgendwann krank, weil sie sich verbiegen und nicht sie selbst sind,was aber, wie wir wissen, auch nicht einfach ist.
      Herzensdank und -gruß an dich, liebe Fee,
      Ulli

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  5. ich glaube ja, dass solche kleiderzwänge oftmals auch hausgemacht sind. ich hätte und würde auch heute niemals etwas anziehen, in dem ich mich nicht wohlfühle, egal zu welchem anlass. denn dieses nicht wohlfühlen ist spürbar, auch beim gegenüber, denke ich. der frau in deiner geschichte hat die absage letztlich gut getan, weil sie gemerkt hat, wie sehr sie sich verbiegt – für nichts und wieder nichts. ein gutes ende für eine geschichte!
    frauen, steht zu euch und zu eurer erscheinung! 🙂
    ganz herzlich,
    diana

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  6. Das war eine beeindruckende Geschichte mir einer wichtigen Mahnung an uns alle. Bleib dir selbst treu und versuche nicht, Vorteile zu ergattern mit Mitteln, die dir zuwider sind und dich deiner Identität berauben. Deine Erzählkunst ist bewundernswert, liebe Ulli.

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  7. Man kann es auch ein bissel anders sehen, dieses Gespräch einer Frau, die sich scheinbar für einen hochpreisigen Job verbiegt, weil sie denkt, das wird verlangt.
    Egal, wie sie aussehen, die Herrren, die ihr gegenübersitzen, sie sind geprägt von Erfahrung im Personalwesen und sie wissen genau, wer da vor ihnen sitzt. Eine Frau, die sie aus einer Personalakte kennen und sie wissen, so wie sie sich jetzt gibt, ist sie nicht und die echte, die brauchen sie jetzt nicht für das, was sie vorhaben, was auch immer das ist.
    Sie haben ihr eigentlich einen Gefallen getan, denn dort passt SIE nicht hin! 🙂 Du hast sie ja sehr gut charakterisiert, und auch noch zwischen den Zeilen.

    Eine gute Geschichte, liebe Ulli, die mir sehr in Erinnerung rief, wie es in einem Konzern zugeht, der sich ständig verändert und neue Wege geht… In so einen war ich ja reingerutscht, eigentlich versehentlich und wie gut kannte ich die Personslabteilungen und die Entlassungs(Verschlankungs)wellen und das Versetzen und auch Freisetzen der Leute und es kam nur noch auf die immer höheren Gewinne an. Die Menschen mit ihren Sorgen und Nöten, die zählten am Ende nicht mehr…
    Ich tat, was ich konnte und mußte mit ansehen, daß irgendwann nichts mehr zählt, keine Verbindung, nichts, denn die Spitze des Konzern wechselte schon wieder *g*
    Mein Rentenalter kam eigentlich zu einem guten Zeitpunkt …, obwohl es mich überfiel wie ein Überfall

    Liebe Grüße von Bruni, der nun sooo viele Gedanken durch den Kopf schwirren, liebe Ulli

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    • Dann bist du ja eine Fachfrau, liebe Bruni und kennst die Vorgänge hinter den Fassaden!
      Danke für deinen Eindruck, der macht Sinn!
      Und ja, in Konzernen zählt nur der Profit, die nicht Menschen, die ihn erwirtschaften, nur die aus den Vorstands- und Chefetagen, traurig aber wahr.
      Liebe Grüße
      Ulli

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  8. Es war eine so andere Welt als die, die ich vorher kannte, liebe Ulli.
    Ich kam zu einer kleineren Firma, die sich unentwegt vergrößerte und am Ende saß ich in einem großen Konzern…
    Eigentlich ein Stoff, um sich auszubreiten. Ich habe es hinter mir gelassen, aber gestern rief meine ehemalige junge Kollegin an, um mir vom Tod einer Personalfrau zu berichten, die ich gut gekannt hatte, deshalb ist mir alles wieder so gegenwärtig.
    Liebe sonntägliche Grüße von mir

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  9. Pingback: Schreibeinladung für die Textwochen 06.07.19 | Wortspende von Petra Schuseil | Irgendwas ist immer

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