Etüde eins/a Dezember 2018

 

Dieses Mal gibt es eine zweite Etüde mit den Wörtern von Elke Speidel zum Projekt von Christiane.

 

 

„Typisch November“, mault er. Er zieht die Schultern hoch, den Kopf ein. Nasskaltes Wetter zieht in die alten Knochen und Gelenke. „Schmerzzeit“, schimpft er. Er zieht sich warm an, bevor er, wie jeden Tag, in das eine oder andere Gelände geht, welche er pflegt. Er läuft sich langsam warm.

Jeden Tag grüßt er den alten Kirschbaum. Der ist älter als er, er beklagt sich nicht, kein Knarzen und Knarren im Geäst. Jetzt ist er Winterbaum, später wieder Frühlingsbaum, dann Kirschfrühsommerbaum, dann gilt es schneller als die Stare zu sein. Der Kirschbaum schüttelt leicht seine Äste, er schenkt dem Alten eine Handvoll süßer Schwarzer. So erinnert sich der Alte. Er lächelt. Ihm ist jetzt warm geworden.

Da draußen hat er viele Freunde, Bäume und Sträucher, Kräuter und Blumen, Wiesen und Kartoffeln, Katzen und Ziegen, Rabenkrähen und Mäusefamilien. Menschen auch; draußen und drinnen.

Und stirbt einmal eins, dann trauert er ihm nicht lange nach. Ein kleines, stilles Gedenken, ein und aus der Atem, der Alte tanzt den langsamen Satz: Werden und Vergehen und Werden. Er wird alt und älter.

177 Wörter

25 Gedanken zu „Etüde eins/a Dezember 2018

  1. Noch eine feine Etüde. Nach einem frösteligen Beginn löst sich alles in frühlinghaftes und sogar sommerliches Wohlbehagen auf. Schwarze Kirschen im November zu erträumen und sich dran zu wärmen ist eine hohe Kunst. Wer sie beherrscht, braucht wirklich nichts und niemandem nachzutrauern.

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    • Das hat er verinnerlicht, ich übe noch!
      Liebe Christiane, ich wünsche dir ein gemütliches 2. Adventswochenende, hier stürmt es ziemlich, muss gleich mal ins Tal, bin gespannt wie es auf dem Waldweg ausschaut, hier im Hof hat es wieder einmal den Sonnenschirm gefetzt, aber der Herr Vermieter meint ja, er mü+sste ihn nicht einräumen, tja …
      herzlichst, Ulli

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    • Auch für sich selbst diese Haltung einzunehmen beschwichtigt die Angst vor dem Tod, so wenigstens erfahre ich es, auch wenn ich mich hierbei noch immer als Übende verstehe. Dazu gehört für mich auch den Tod nicht als Schlusspunkt zu betrachten, sondern als Punkt im ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen und Wiederwerden.
      herzliche Grüße
      Ulli

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    • Lieber Peter, gell, du ziehst dich schön warm an und bewegst dich so viel wie es geht an der frischen Luft und wenn du dann noch regelmäßig Brennnesseltee trinkst (wenn du magst schreib ich dir wie)nd du dabei an den Kirschbaum denkst, dann lächelst du auch 😉
      Ich freue mich sehr, dass mein kleiner Text dir Kraft und Freude schenkt, ach was, es war ja der Kirschbaum.
      Herzliches zum guten Abend, Ulli

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  2. Wieder ein sehr feiner Text, liebe Ulli, der mich sehr an meinen
    inzwischen schon sehr lange verstorbenen Opa erinnert.
    Es ist fast so, als hättest Du ihn gekannt *schmunzel*
    Liebr Grüße zum Abend von Bruni

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  3. Pingback: Schreibeinladung für die Textwoche 51.52.18 | Wortspende von dergl | Irgendwas ist immer

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