Das Kind

Das Kind in Ehrfurcht aufnehmen, in Liebe erziehen, in Freiheit entlassen.

Rudolf Steiner

Freie und unautoritäre Erziehung bedeutet nicht, dass man die Kinder sich selbst überlässt, dass sie tun und lassen dürfen was sie wollen. Es bedeutet nicht, dass sie ohne Normen aufwachsen sollen, was sie selber übrigens gar nicht wünschen. Verhaltensnormen brauchen wir alle, Kinder und Erwachsene, und durch das Beispiel der Eltern lernen die Kinder mehr als durch andere Methoden.

Astrid Lindgren, 22.10.1978 in der Frankfurter Paulskirche

 

Das Kind ist unschuldig. Das Kind liebt die Mutter, es liebt den Vater, das Kind liebt. Es fühlt sich schuldig. Das Kind fühlt sich falsch, es bemüht sich. Das Kind verschließt die Tür, es hat seine Gespenster eingesperrt. Es fürchtet sich.

Das Kind wächst, es wird groß. Manch eines will nicht erwachsen werden. Es will dem Elternhaus entwachsen.

Es gibt die gute Mutter. Es gibt die böse Mutter. Es gibt den guten Vater. Es gibt den bösen Vater. Das Kind liebt beide.

Das ungeliebte Kind braucht Zeit, zum Entwachsen. Es gibt immer noch etwas im Sein, das erwachsen werden will.

Das Kind hat sich aufgerichtet, es ist dem Haus entwachsen. Es schaut der bösen Mutter ins Gesicht, dem bösen Vater auch. Es wird weinen, es wird wüten, es wird nicht mehr gut zu böse sagen. Es schaut der guten Mutter und dem guten Vater ins Gesicht. Es wird nicht mehr böse zu gut sagen. Es hat die Türen geöffnet, die Gespenster sind frei.

Das Kind ist dem Haus entwachsen, es hat sich ein eigenes Haus gebaut, es ist kein Kind mehr. Alle Türen stehen offen.



Nachtrag: Ich widme diesen Beitrag dem Projekt „Kinder im Aufwind“ → https://pawlo.wordpress.com/home-2/fundgrube-fuer-kinder-im-aufwind/ mit herzlichen Grüßen …

44 Gedanken zu „Das Kind

    • Das kann es, liebe Christiane, wenn es ein geliebtes Kind ist, trotz dem einen und anderem „Fehler“ der Eltern, die eben auch „nur“ Menschen sind …
      herzliche Grüße, Ulli

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    • Du erinnerst mich, liebe Silke, dass auch liebende Großeltern sehr zum gedeihen eines Kindes beitragen. Es gab Zeiten und Stämme (ich las es vor kurzem in einem Buch aus Afrika) bei denen die Kinder während der Tage in der Obhut der Großeltern waren, die Eltern waren sehr beschäftigt, nur am Morgen, am Abend und in der Nacht waren die Kinder dann wieder bei ihnen. Das hat mir auch gefallen.
      herzliche Grüße und noch viel Freude mit deinem Enkelkind, Ulli

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    • Liebe Gabi, es gibt die geliebten und die ungeliebten Kinder, es gibt die guten und die bösen Eltern, aber es gibt auch oft Verwandte, die dem Kind Liebe schenken, wenn es die Eltern nicht können und es gibt die Möglichkeiten sich später Hilfe zu holen …
      herzlichst, Ulli

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  1. Ein sehr schöner stimmiger Text. So sehe ich diese Schrittfolge auch: unbedingt lieben/sich schuldig fühlen – wüten – akzeptieren/frei werden/sich der eigenen Zukunft zuwenden, selbstbewusst tätig werden.
    Wie viele bleiben irgendo unterwegs stecken ein Leben lang und schaffen den Schritt zum Freiwerden nicht. Es kann aber gelingen, wenn geeignete Hilfe da ist.

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    • Liebe Gerda, du hast meins absolut stimmig zusammengefasst, danke. Und ja, es braucht eben auch für die einen und anderen helfende Hände, sowie die eigene Möglichkeit die Hilfe anzunehmen oder selbsttätig zu suchen bzw. zu finden, um sich wirklich aufzurichten und frei zu werden.
      Allerdings glaube ich auch, dass es bei tiefen Traumen anders aussieht, der Weg ist ungleich steiniger, wenn überhaupt zu bewältigen …
      herzliche Grüße an dich, Ulli

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  2. Liebe Uli, das ist nun ein Beitrag, der genau in meine jetzigen Gedanken passen würde, wie ich mein Projekt „Kinder im Aufwind“ gut abschließen könnte. Das wäre eine sehr willkommene, abschließende, „aufwindige“ Betrachtung! Hättest Du Lust, sie den „Kindern im Aufwind“ zu widmen? Ich würde mich sehr freuen! Auch die Kommentare hier bereichern das Ganze auch noch. Du brauchtest oben oder unten im Beitrag nur den Satz „Ich widmediesen Beitreg dem Projekt „Kinder im Aufwind“… und ihn mit der Fundgrube verlinken (https://pawlo.wordpress.com/home-2/fundgrube-fuer-kinder-im-aufwind/) Liebe Grüße, Petra

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  3. Schön, wenn es entwachsen kann. 🙂
    Ich lernte zwei Frauen nahe kennen, die sehr unter ihrer Mutter litten. „Entwachsen“, auch im eigentlichen Sinne, ist beiden nicht gelungen, wie auch.
    Nicht geliebt werden ist die schlimmste Strafe. Das spiegelt sich in so mancher Lebenssituation.

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    • Schade, wenn es nicht gelingt! Ich hatte es mit meiner Mutter auch nicht einfach, aber ich habe eben gelernt, dass es für mich die gute, wie die böse Mutter gab und irgendwann schloss ich meinen Frieden, allerdings hatte ich dabei auch sehr adäquate Unterstützung!
      herzlichst, Ulli

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        • Das glaube ich auch, ich glaube, wenn es Richtung Traumatisierung/Missbrauch geht, dann wirds wirklich sehr schwer. Ob ich wirklich abgeschlossen habe weiß ich nicht, ich wiege mich nicht wirklich in Sicherheit, aber ich glaube, dass ich wichitige Schritte gehen konnte. Ich schrieb es ja auch: es gibt immer noch etwas im Leben das erwachsen werden will, ich könnte auch sagen, was entwachsen will …

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    • Ich kenne zumindest niemanden aus deiner oder meiner Generation, die nicht damit gekämpft haben oder es vielleicht auch noch tun, unsere Eltern waren schwer vom Krieg gezeichnet und gebeutelt, natürlich die einen mehr, die anderen weniger, ich gölaube wirklich, dass auch wir davon einen Teil in unseren Zellen tragen und es u.a. zu unserer Aufgabe gehört auch damit Frieden zu schließen. Frieden schließen heißt für mich auf der seelischen Ebene, die eigenen Ursachen (Gespenster) für dieses und jenes Verhalten erkannt zu haben, sie zu bejahen, damit sie ihre Macht verlieren.
      Herzensgrüße an dich, lieber Peter, Ulli

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  4. Astrid Lindgren sagt es wundervoll und ich würde wünschen, daß es immer so wäre, immer so sein könnte.
    Ich bin heute oft sehr erstaunt, wie meine Töchter mir ähnlich und doch so ganz anders sind. Die Ähnlichkeiten sind groß und gleichzeitig auch winzig klein (oberflächlich gesehen)
    Ich habe versucht, richtig zu machen, wo ich Fehler in meiner eigenen *Erziehung* (ein höchst seltsames Wort) erkannte. Aber Fehler machen wir immer, fehlerlos können wir als Eltern gar nicht sein. Wir vermeiden die unserer Eltern und es passieren uns andere.
    Außer den bösen und den lieben Müttern und Väter gibt es leider auch die gleichgültigen und manchmal denke ich, das sind die schlimmsten. Da weiß kein Kind mehr, was es noch tun könnte, um Beachtung zu finden…

    Gut ist er, Dein Artikel über ein sehr wichtiges und äußerst heikles Thema, liebe Ulli, und Deine Worte dazu gefallen mir gut.

    Liebe Gutenachtgrüße von Bruni an Dich

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    • Liebe Bruni, ich kann dir nur in allem zustimmen, besonders darin, dass wir als Eltern auch Fehler machen, weil wir Menschen sind und Menschen machen nun einmal Fehler. Wichtig dabei finde ich, dass man sie erkennt und auch den Kindern gegenüber zugibt und nicht so tut als ob, das macht es sonst ungleich schwerer für die Kinder. Spannend fand ich als meine Kinder groß wurden und wir uns über uns begannen zu unterhalten. Fehler, die ich mir vorgeworfen habe waren für sie pillepalle, das, womit ich sie wirklich verletzt habe, habe ich gar nicht erkannt. So konnten wir voneinander lernen, in dem Fall besonders auch ich. Diese Art der offenen Auseinandersetzung habe ich mir in jungen Jahren auch mit meiner Mutter gewünscht, das war aber nicht möglich. Ja, es war ihre „Persönlichkeitsstörung“, die auch ihre Gründe hatte, was ich aber erst später verstehen lernte. Heute hat sie mein Mitgefühl, der Grummel ist ziemlich vorbei.
      Hab Dank für deins. Ich wünsche dir ein gemütliches Wochenende, hier regnet es ENDLICH!
      Herzliche Grüße, Ulli

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      • Ähnlich ist es heute mit meinen herangewachsenen *Kindern*, liebe Ulli
        Wir haben heute Sonnenschein, nachdem es in der Nacht geregnet hat.
        Liebe Grüße zum Wochenende auch an Dich

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  5. Wie spannend fanden wir die antiautoritäre Erziehung – in der Jugendgruppe haben wir wochenlang darüber diskutiert. Für uns war das natürlich zu spät – wir mussten uns gegen die „Alt-Nazis“ in der Gesellschaft auflehnen. Mit Steiner bin ich nie so ganz warm geworden. Meine Mutter fand ja den Are Waerland so toll – später kam heraus auch die Reformhäuser wurden von den Nationalsozialisten benutzt. Vieles mache ich ganz anders als meine Eltern es mir lehrten. Auch eine hervorgebrachte Gegenbewegung ist eine Art Erziehung. Später habe ich 13 Jahre in der Universität gelehrt – auch die jungen Menschen mit erzogen. Grüsse tom

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    • Im Rückblick begreife ich die Begleitung meiner Kinder als eine Art Tasten … so wie Mutter ging gar nicht, antiauttoritär erschien mir falsch, Grenzen sollten/mussten sein, da stimme Astrid Lindgren absolut zu, nun galt es herauszufinden WIE sie zu vermitteln waren, nicht immer ist das gelungen, ich war durchaus auch autoritär, auch wenn ich es danach immer bedauerte. Ich denke, dass uns, also meinen Kindern und mir, die Liebe und das gegenseitige Vertrauen, das nie gebrochen wurde, am meisten geholfen haben, sowie meine Ehrlichkeit auch Fehler einzugestehen. Menschlich gings bei uns zu und das ist wohl auch das was Herr Steiner versuchte zu tansportieren, wenn auch in einer Sprache und in Bildern, die ich nicht immer nachvollziehen/verstehen kann. Heute, als Alte, begleite ich Jugendliche und die Enkelkinder, wieder wirken Liebe, Zugewandtheit, Ernstnehmen, Vertrauen und Humor, ich glaube, dass dies ein ganz gutes Rezept ist 😉
      herzlich grüße ich dich, Tom,
      Ulli

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  6. Noch eine Bemerkung. Ich würde nie von guten und bösen Müttern sprechen.
    Manche handeln böse, weil sie zu ihrer eigenen Liebesfähigkeit, die sie als Kinder so reichlich hatten, keinen Zugang mehr finden. Sie können ihre Kinder nicht lieben, weil sie selbst zu tief traumatisiert sind. Es gelingt ihnen vielleicht, alle möglichen Erziehungstechniken zu erlernen und vielleicht nach Außen hin gute Eltern zu sein, deren Kinder angepasst und erfolgreich sind. Liebe aber erlernt sich nicht durch den Kopf, ist keine Kopfgeburt. Um die eigene Liebesfähigkeit wieder zu gewinnen, müssen Erwachsene sich ihrem eigenen traumatisierten „inneren Kind“ zuwenden und es heilen. Dann erst können sie wirklich gute Eltern sein.

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    • Es ist die Sicht des Kindes, nicht die die Sicht der erwachsenen Frau, wenn ich von der guten und der bösen Mutter spreche. War mal ein Teil meiner „Arbeit“ mit dem inneren Kind …
      Mit allem anderen hast du natürlich Recht, aber ein Kind kann noch lange nicht so differenziert denken und mitfühlen, versteht nicht was die Mutter/den Vater manchmal treibt, es fürchtet sich dann, ist verunsichert …

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      • das Kind versteht nicht, richtig. Es liebt und es wird traumatisiert durch die traumatisierte Mutter. Die ist – und das wollte ich unterstreichen – nicht böse, wenngleich sie auf das Kind böse wirkt. Sie ist in ihrem eigenen Liebesfluss gestört, weil sie selbst eine traumatisierte Mutter hatte oder aus anderen Gründen, zB frühe Trennung, Kriegserlebnisse, sexueller Missbrauch im Kinfesalter….

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  7. Pingback: Adieu, Kinder im Aufwind* | da sein im Netz

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