Wir wollten alles und wir wollten es ganz. Und wir hatten keine Ahnung, was alles und ganz wirklich bedeutete. Aber wir wussten genau, was wir nicht mehr wollten und was niemals mehr passieren durfte. Und wurden unbequem.
Mit unseren Fragen rüttelten wir an eingerosteten Falltüren. Unsere Statements sorgten für katholische Moralpredigten oder protestantische, je nachdem. Wir verdrehten hinter ihren Rücken die Augen, zuckten mit den Achseln. Die Hölle war eigens für solche wie uns gebaut. Sagten sie. Aber sie wussten nicht, wie nah wir dem Himmel schon waren! Glaubten wir.
Es hatte Vorreiter gegeben. Wir konnten uns orientieren, konnten aufblicken, wenigstens das. Wir schauten auf die in den neunzehnhundertvierziger Jahren Geborenen. Auf die, die in eine Welt der Zerstörung und Bombenhagel, in eine Welt von Hass und Holocaust hineingeboren worden waren. Sie wurden die Generation achtundsechzig und wir waren nicht weit weg von ihnen. Wir, die Generation Siebziger.
Sie waren die Ersten, die das festgestampfte Gefüge von Sonntagsbraten-Kirchgang-Kuchenkaffeeklatsch aufbrachen und aus den viel zu engen Kleidern schlüpften. Ihre Fragen stießen erste Risse in die Betonwände der Elternköpfe. Sie waren die Ersten, die laut gegen das Schweigen der Alten wurden.
Uns fuhren sie voraus, ebneten den Weg, Fahrrinnen entstanden. Wo sie noch nicht hingekommen waren, entdeckten Nachfolgende neues Land.
Jede Generation muss für sich fragen. Ob neu oder nicht. Auch wir hatten gehungert, wenn auch nicht nach Brot. Auch wir waren umgeben von der Schwere in den Wohnzimmern mit den Gummibäumen und den ordentlich gemangelten Tischtüchern für die Kleckereien der sonntäglichen Bratensoße. Die Lügen hockten in den Ritzen und unter den Teppichen.
Wenn ich als Kleine zu den Großen aufschaute, erschien es mir als wäre Leben etwas Lästiges, Schweres, Unerreichbares. Ich sah sie schwer atmend ihre Lasten auf den vor Demut und Kummer gebuckelten Rücken tragen. Ich spürte es. Ich roch es. Ich schmeckte es: da war doch etwas schief gelaufen! Älter geworden wusste ich es. Ja, es war etwas schief gelaufen! Dieses Monster Zweiter Weltkrieg, die Hitlerjahre, der Holocaust hatte die ganze Welt erschüttert und verändert. Traumatisierte Väter und Mütter rannten auch noch in den neunzehnhundertsechzigerundsiebziger Jahren als gäbe etwas zu verlieren! Und wir, ihre Kinder, hatten dieses Rennen mit der Muttermilch aufgesogen.
Viel mehr noch hatten wir aufgesogen. Im Leben will alles ans Licht. Früher und später, nach und nach.
Diesen Text habe ich vor ein paar Wochen wiedergefunden, es ist ein Ausschnitt aus einer Geschichte, die ich noch immer nicht fertig gestellt habe – und nun denke ich, dass sie auch zu dem Thema von vorgestern passt → https://cafeweltenall.wordpress.com/2017/11/15/august-der-schaefer-hat-woelfe-gehoert/
schreiben gegen rechts hat viele Facetten oder was meint ihr?
Es gibt Dinge, die muss jede Generation für sich neu fragen.
LikeGefällt 4 Personen
Danke mick, ja, so sehe ich das und schön, dass du es auch so siehst.
Ich wünsche dir ein schönes Wochenende,
herzlichst
Ulli
LikeGefällt 3 Personen
großartiger text, so wahr… hinter- und tiefgründig. ja, viele facetten!
LikeGefällt 4 Personen
hab Dank, liebe Diana, genieße das Wochenende,
herzliche Grüße
Ulli
LikeGefällt 2 Personen
danke, liebe Ulli, dir auch ein schönes wochenende! 🌟
LikeGefällt 1 Person
Hier scheint wieder sie Sonne, es ist sehr viel wärmer geworden und heute bekomme ich noch Besuch bis zum Sonntagmittag, ich glaube, dass es zauberhaft wird 🙂
herzlichst
Ulli
LikeLike
Hineingeboren ins Establishment des erwachsenseins der frühen 60er Jahre haben meine Eltern immer bedauert, nicht direkt zur 68er Bewegung gehört zu haben, aber vielleicht gerade deshalb waren sie glühend gegen alles engagiert, was der Staat in ihren Augen falsch machte, doch war es ihnen nicht möglich die anerzogenen Bequemlichkeiten des Wirtschaftswunders abzulegen, denn Verzicht war ihre Sache nicht. Vielmehr predigten sie gerne von oben herab, aus dem Vollen schöpfend. Hatten sie deshalb unrecht? Nein, aber erst ihre eigene Geschichte brachte dies jahrzehnte später hervor und mit wie vielen Dingen sie politisch richtig lagen. Ich hatte die Lehre des Argwohns gegen die Obrigkeiten dieser Welt so gut gelernt, dass ich diese selbst auf meine Eltern anwendete, mit dem dazugehörigen Verzicht auf alles Materielle und nur nach sich selbst sehend und nicht auf andere herabblickend. Wenn ich heute nach hinten und nach vorne blicke war es und wird ein schwerer Weg sein in einer Welt des Turbokapitalismus den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und ihn nicht nur als Möglichkeit zum Geld verdienen zu sehen. Guten Morgen und ganz liebe Grüße zu dir!
LikeGefällt 7 Personen
Lieber Arno, und doch macht sich in manchen Kreisen: weniger ist mehr, breit, mehr und mehr Menschen denken über Reduktion nach und nun ist es an uns dies an die Kinder und Enkelkinder weiterzugeben. Meine Kinder, besonders mein Sohn, hat dies verinnerlicht, meine Enkelkinder dürfen lernen. Schauen wir wohin die kleinen Samen fliegen, die wir streuen und was daraus wächst. Mehr kann ich eh nicht (mehr) erwarten. Wobei ich erst gestern in einem Brief an eine Freundin schrieb, dass ich mir wieder eine große Bewegung wünsche und auch damit bin ich nicht allein!
Ich danke dir für deins und wünsche dir ein schönes Wochenende,
sonnige Grüße
Ulli
LikeGefällt 3 Personen
Genau, damit bist du nicht allein :o) … herzlich, Silvia
LikeGefällt 1 Person
Schön, dich mit im Boot zu wissen, liebe Silvia, wobei es mich jetzt auch nicht wirklich überrascht 🙂
herzliche Grüße
Ulli
LikeGefällt 2 Personen
Ganz starke Gedanken, liebe Ulli, die du unbedingt weiterschreiben solltest. Sie rufen auch in mir Einiges wach…..
Liebe Grüße
Anna-Lena
LikeGefällt 3 Personen
Danke dir, liebe Anna-Lena, ich müsste mal alle Facetten zusammentragen und vielleicht würde dann ja doch noch ein Buch daraus.
herzliche Grüße
Ulli
LikeGefällt 3 Personen
Das wäre doch eine tolle Sache, oder?
LikeGefällt 1 Person
Das eine sind die Bücher, die ja schon fertig sind und das andere die Verlage … aber ich bleibe dran!!!
LikeGefällt 2 Personen
Das liest sich für mich wie ein Beitrag zum Kriegsenkel-Thema, wenn du schon fragst. Auch ich mag die Erkenntnis mit den Fragen.
Aber eigentlich ist die Schublade egal, es ist ein kluger, einfühlsamer Text gegen Dumpfbackigkeit, und davon kann es nie genug geben, finde ich.
Liebe Grüße
Christiane
LikeGefällt 4 Personen
Ja genau, liebe Christiane, ich bin eine Kriegsenkelin und habe schon viele Seiten in diesem Tempo geschrieben, vielleicht sollte ich es wirklich zuende bringen. Mittlerweile sind noch einige Facetten dazugekommen, das Puzzle ist groß, aber der Winter auch lang 😉
Danke dir fürs Mutmachen!
Herzliche Grüße vom sonnigen und wieder warmen Berg
Ulli
LikeGefällt 2 Personen
super Beginn, bringe es doch zu Ende, keine Sorgen, nur Gutes, das wünsche ich dir für das Wochenende, Klaus
LikeGefällt 1 Person
Vielen Dank, Klaus, auch dir ein sonniges und freudiges Wochenende,
Ulli
LikeLike
Ein starker Text, indem ich mich wiederfinden kann. Danke. Bin tief berührt. Marie
LikeGefällt 2 Personen
Liebe Marie, wenn ich das richtig sehe, sind wir zur selben Zeit geboren und aufgewachsen, da wohnt der selbe Unmut, der selbe Wille das Leben anders zu leben, jenseits von Gummibäumen und … du weißt schon. Gestern habe ich in einem Brief überlegt, ob es eigentlich deutsche Schriftsteller*innen gibt, die jenseits von Intellektualität diese Zeiten beleuchten. Mir fiel niemand ein, auch wenn ich Ulla Hahns Beiträge sehr schätze. Insgesamt aber erscheint mir vieles viel zu brav und seicht. Rock`n Roll? Lach… Auf alle Fälle denke ich noch weiter darüber nach diese Geschichte endlich einmal fertig zu stellen. Gerade eben wird mir hier sehr viel Mut gemacht, was beflügelnd wirkt!
Danke auch für deins,
verbundene Grüße
Ulli
LikeGefällt 1 Person
Ja, unbedingt weiterschreiben, du triffst da einen Nerv, eine Wunde, die oberflächlich geheilt scheint, aber es liegt nur Schorf darüber. Vieles ist diffus und zugeschüttet, aber wir sollten genau hinsehen, ohne sich im Gestern zu verlieren, aber das Heute besser zu verstehen und etwas weiterzugeben, damit sich nicht wiederholt, was sich schon wieder zusammenbrauen will. Nur Mut…ich denke schon wieder über neue Lieder nach, nach vierzigjähriger Pause. Hab ein kreatives Wochenende. Marie
LikeGefällt 1 Person
Ach nochwas, kennst du das Höhlenlied von Barbara Thalheim? Das Summe ich schon seit Tagen. Marie
LikeGefällt 1 Person
Danke, danke, liebe Marie für die Erinnerung an Barbara Thalheim, die ist mir doch tatsächlich weggerutscht, dabei sah ich sie vor vielen Jahren hier einmal in einem Konzert, eine wunderbare Frau mit wunderbaren Liedern, da gehe ich doch jetzt glatt mal rüber zur Tube.
Zu deinem vorherigen Kommentar: diese Art von Texten sind für mich „Heilarbeit“, wobei ich dieses Wort ja nicht so wirklich mehr mag, weil es sich so abgenutzt hat, aber ich habe auch kein anderes.
Und ja, ich werde dranbleiben und mein Puzzle vervollständigen, das ist mir gestern Nachmittag klar geworden.
Herzliche Grüße sende ich dir und wünsche dir ein schönes Wochenende, ich freue mich, dass du wieder Lieder schreibst!
Ulli
LikeLike
Liebe Ulli,
ein großartiger Text. Ich würde gerne mehr lesen!
Es gibt sogar Familien, da lagen die Lügen und Halbwahrheiten schön auf dem Tisch und die haben gedacht, das merkt keiner. Es gibt dann so eine stillschweigende Vereinbarung: nicht hinschauen, nichts sagen und wehe dem, der das nicht weiß und das Spiel kennt! Und dann diese Verwirrung als Kind, wenn ich etwas sagte. Großes Schweigen, Blicke, unangenehme Luft, Stillstand und dieser eine Gedanke: mit mir stimmt etwas nicht. Schrecklich.
Leider haben viele das Licht nicht gefunden. Lieber decken sie den Mantel darüber. Manchmal denk ich, das ist die Hölle.
Herzliche Grüße,
Heike
LikeGefällt 3 Personen
Ja, die Welt des Schweigens und der Lügen oder Halbwahrheiten empfinde ich persönlich auch als Hölle und ich habe mich schon oft in meinem Leben gefragt, wie es sich damit lebt. Liegt es an mangelndem Bewusstsein, mangelnder Intelligenz oder daran, dass „man“ einfach genug hat von den Fragen und Auseinandersetzungen und darum eine Decke über all das gebreitet hat?
Ehrlichkeit und Wahrheit sind sehr große Worte, die wiederum Jede und Jeder für sich beantworten muss, keine leichte Aufgabe.
herzliche Grüße,
Ulli
LikeGefällt 2 Personen
Liebe Ulli, Du hast deinen Text in den Kontext meiner Generation gestellt, von der du Ehrendes sagst („Es hatte Vorreiter gegeben“ etc). Ich möchte nur zu diesem Kontext ein Wort sagen: Meine Generation verdient dein Lob nicht. Ich gehöre zu einer im Großen und Ganzen schrecklich stumpfen Generation, die in einer Welt des Schweigens und des Verdrängens aufwuchs und es nicht merkte. Wenn sich einzelne dennoch schüttelten und fast rasten vor Entsetzen und Zorn über das, was war und was sich erneut anbahnte, so waren sie Außenseiter, und einige landeten schon bald auf den Fahndungslisten. Die Gesamtgesellschaft wurde davon nur insofern berührt, als sie sich noch angstvoller zusammenzog und abgrenzte. Die 68er brachten ein bisschen Wind in die Gepflogenheiten, lockerten die Sitten, aber ansonsten gingen sie sehr schnell auch ihren Geschäften nach, stolz im wohligen Gefühl, etwas vollbracht zu haben. Ja, was denn? Wurde etwa die Aufrüstung der BRD gestoppt und rückgängig gemacht? Wurde etwa eine gerechtere Wirtschaftsform entwickelt? hat sich Deutschland aus der NATO ausgeklinkt? Wurde jedenfalls das Geistesleben erneuert? O nein. Die, die eben noch, weil sie jung waren, auf den Straßen Hohohotchimin riefen und die Bourgois zutiefst verachteten (Bürger, runter vom Balkon, schließ dch an dem Vietkong), machten Karrierchen und Karrieren, sie winkten den Krieg gegen Jugoslawien und so manchen anderen Krieg ab, anstatt sich ihm in den Weg zu stellen. Sie leben recht angenehm und selbstzufrieden im multikulturellen geschichtslosen Germany und bereisen den Rest der Welt als freundliche nun alt gewordene deutsche Kulturträger. Muss man sie deshalb loben oder gar zu ihnen aufschauen? Ich meine: NEIN.
LikeGefällt 4 Personen
Das ist jetzt mehr als interessant, liebe Gerda, denn gerade eben hatten wir in unseren kleinen Hofgemeinschaft ähnliche Gedanken … was nämlich aus ihnen geworden ist? Ob sie nun 68er hießen oder auch Hippies und später Punks (um mal einige Klischees zu bedienen), die Allerwenigsten sind sich treu geblieben, die Allerwenigsten haben sich einen kritischen Verstand bewahrt und sind weiterhin für das eingetreten, für das sie einmal eingestanden sind, als sie jenseits der 30 Jahre kamen. Ich schaue auch nicht zu ihnen auf, aber ich wertschätze durchaus, dass sie den Weg frei gemacht haben, dass plötzlich ein frischer Wind in den altbackenen Stuben wehte. Was nun jede und jeder Einzelne aus diesem frischem Wind gemacht hat, wieviel Kämpfernatur übrig geblieben ist, das vermag ich im Einzelnen nicht zu beurteilen. Was ich aber beurteile ist, dass es immer noch diesem frischen Wind bedarf, dass schörkellos und ehrlich benannt wird, was zum Himmel stinkt. Wie ich anfangs schrieb und mick im Kommentarstrang hervorhob: „Es gibt Dinge, die muss jede Generation für sich neu fragen.“ Um es weiterzuführen: es gibt Dinge, die auch jede Genaration für sich im Einzelnen beantworten muss.
Ich bleibe auf alle Fälle, immer noch und immer wieder, dran.
herzlichst
Ulli
LikeGefällt 3 Personen
Gut dass du dran bleibst, liebe Ulli. Ich übrigens auch. Vielleicht ist es doch nicht so sehr eine Generationenfrage, sonern eine des Charakters und der Freiheitsbedürfnisse jedes Einzelnen. In jeder Epoche gab es sone und solche. . .
LikeGefällt 1 Person
Da gehe ich mit dir Hand in Hand,
verbundene Grüße
Ulli
LikeGefällt 1 Person
Ein Kriegsenkel bin ich auch und das Erdrückende in den Stuben sah ich in der Pubertät, denn in den 60erJahren füllten sich erst die Räume mit den miefigen Scheußlichkeiten. Mein ehemals junger Vater verlor sein freieres Denken und wurde müde, denn vom Krieg zermürbt waren viele. Ich kam mit meinen Fragen, war zornig und wetterte innerlich gegen das, was mir nicht gefiel. Politisch engagiert habe ich mich nie, doch Unrechtes, Unehrliches und Dümmliches ist mir immer ein Greuel und Hass gegen Fremdes verstehe ich nicht, denn das Fremde erweitert unseren Horizont und Grenzen fallen – wenn wir bereit sind, uns kennenzulernen
Dein Text ist voller guter Gedanken und er gefällt mir sehr,
doch leider hocken die Lügen immer weiter in den Ritzen und unter den Teppichen sieht es selten gut aus…
Lieber Gruß zum Freitagabend von Bruni
LikeGefällt 2 Personen
Liebe Bruni, da hast du natürlich Recht, dass noch immer viele Lügen unter dem Teppich liegen oder in den Ritzen und doch ist ja auch so einiges aufgedeckt worden, allerdings kommen auch immer wieder neue hinzu. Manchmal ist es auch gar nicht einfach sie zu erkennen, sie zu enttarnen, es braucht sehr viel Wachheit und Aufmerksamkeit dazu, die ich auch nicht immer habe. Aber ich selbst bin sehr bemüht nichts schön zu malen und ehrlich zu sein und zu bleiben. Wobei ja selbst das Thema Ehrlichkeit und Lügen noch viele Facetten hat.
Herzliche Grüße, genieße dein Wochenende,
Ulli
LikeGefällt 1 Person
Oh ja, über das Lügen und Ehrlichsein sind eigentlich Seiten zu füllen, liebe Ulli.
Das Wegsehen ist auch so verdammt schlimm und Hinterhältiges, Boshaftes macht mir große Probleme
Genießen wir das Wochenende, liebe Ulli. Sonntag ist Tag der Familie mit allen Kinderchen
Liebe Grüße von Bruni
LikeGefällt 1 Person