Reisenotizen – 1 –

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Vater ist Fährmann, ist Schiffer oder Lotse oder Kapitän. Vater ist Fischer oder Monteur oder Emil. Vater ist nicht Fluss, nicht Rhein, nicht Loire, nicht Ganges. Fluss ist für mich Frau, ist Geliebte, ist Mutter, die trägt, von der Quelle bis zur Mündung.

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© Max Ernst gefunden im Netz bei: dailyartfixx.com – mit herzlichem Dank

Rhein rauf, Rhein runter, mein Leben lang … jetzt war ich bei der Freundin am Mittelrhein und wie ich in den Steinen sitze, denke ich an Ulla Hahns Trilogie (siehe unten), denke an Buchsteine, finde Geschichtensteine. Einer erzählt von Häusern in Felswänden, ein anderer vom Mäandern und den Linien, die ein Fluss zieht in seinem Bett.

Ich denke auch an Sofosophia und Irgendlink, die von der Rheinquelle am Tomasee in der Schweiz bis zur Bodenseemündung wanderten (nun radelt Irgendlink alleine weiter Richtung Rotterdam nachzulesen hier →).

Sie alle und ein paar mehr sitzen jetzt hier mit mir in den Kieseln, von denen einige rosa sind. Es riecht nach Fisch, Kormorane sitzen auf hohen Masten.

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Am Niederrhein meiner Kindheit gab es weder Kormorane, noch roch es nach Fisch.Vater war weder Fischer, noch Schiffer, noch Fährmann, er war Emil. Bunte Ölkringel schillerten auf der Wasseroberfläche und verzauberten meine unwissende Mädchenseele. Ich schwamm darin und spielte mit ihnen. Mutter hatte keine Einwände. Seltsam!

Die Mutter meiner Freundin lernte noch mit ihren Freundinnen und Freunden im Rhein schwimmen, ohne Eltern, die hatten anderes zu tun.

Jetzt ist Ferienzeit. Kinder radeln mit Sturzhelmen, Sicherheitswesten, Vater und Mutter rheinab, rheinauf auf geteerten Wegen.

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AusflüglerInnen essen Pommes, trinken Bier, schlecken Eis, die Fähre fährt hin und her und her und hin, niemand lacht. Überhaupt wird in dieser Gegend wenig gelächelt oder gelacht, Menschen schauen weg oder mustern mich alte Bunte. Erst viel später am Tag habe ich einen netten Schnack mit drei jungen durchtrainierten Radlern, die es noch bis Köln schaffen wollen, ca. 60 km, grob geschätzt. Ich bin skeptisch, sie zuversichtlich, wir lachen, wir winken, sie radeln, ich gehe, ich Alte, ich lächel.

Ich gehe langsam über die Kieselsteine am Ufer entlang und finde und finde und finde

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Glas, Plastik und Scherben in vielerlei Spielarten, Flaschen, Feuerzeuge, Seilenden,  Federn, Blumen, Broccoli, einen Apfel und natürlich einen einzelnen Schuh.

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Ach…

Nein, ich möchte immer noch nicht wieder im Rhein schwimmen. Ölkringel sind Vergangenheit, ja. Heute sind es Diclofenac und andere Medikamentenrückstände, sowie jede Menge Plastikpartikel bis Partikelchen, was spätens ab Basel bis zum Meer schwimmt oder in Fischmägen landet (s. aktuelle Ausgabe der „Zeit“).

Das sind die Wermutstropfen in diesen und anderen Sommertagen, die und all die anderen.

Ich habe dann auch ein Eis geschleckt und der Fähre bei ihrem Hin und Her zugeschaut. Der Kassierer flirtete mit der Pommesfrau über die Runter- und Auffahrenden hinweg. Je länger der Tag, umso mehr Lächler. Geht doch!

Buchempfehlung:

Ulla Hahn – eine Trilogie: Das verborgene Wort – Aufbruch – Spiel der Zeit – eine Kindheit, eine Jugend ein Erwachsenwerden irgendwo zwischen Bonn und Köln am Rhein, die Protagonistin ist Hilla, die Zeit sind die 1950er, 1960er und 1970er Jahre. Vieles erkannte ich wieder und als ich jetzt zwischen den Steinen saß dachte ich nicht nur an Buch- und Wutsteine, ich dachte auch an wunderbare Großväter und Großmütter und dass es meistens eine oder einen gibt oder geben sollte, die die Kinder zum lachen bringt, Lieder singt oder Geschichten erzählt und wenn sie aus Steinen vorgelesen werden …

36 Gedanken zu „Reisenotizen – 1 –

  1. Mein Bruder sammelte Glasscherben am Ostseestrand. Ich wusste das nicht. Nach seinem Tod fanden wir sie und ich behielt sie. Sie waren ganz matt. Erst im Wasser kamen ihre Farben wieder zum Vorschein. Seit vielen Jahren stehen sie nun auf meinem Blumenfenster. In einer Glasvase von Wasser bedeckt. Regelmäßig muss ich sie putzen, denn irgendwann setzten sie Algen an. Ich muss jede einzelne Scherbe in die Hand nehmen. Und dann denke ich mir Geschichten aus. Über die Scherben und meinen Bruder.
    Danke für deine Geschichte und deine Fundstücke.
    Herzliche Grüße schickt dir Elvira

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    • Vater Rhein, Vater Nil, Vater Ganges und Janktse – der Strom, der Fluss, der Bach, der Wasserfall. Urmutter Donau, Mutter Elbe, Mütterchen Oder, Tante Weichsel, Großmutter Wolga – die Strömung, die Schleife und Windung, die Stromschnelle, die Quelle und Mündung.
      Obs weise ist? Ich lasse es mal, wie es unsere Ahnen gewollt haben.
      Auch im Griechischen sind viele Flüsse maskulin, andere weiblich, und entsprechend sind auch ihre göttlichen Repräsentanten.
      Liebe alte bunte Ulli, ich freu mich so, dass ich deine klugen und schönen Worte und Bilder nun wieder lesen und anschauen und meinen Senf dazu geben darf. Komm gut wieder an! Gerda

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      • Einer Ihrer anregenden Kommentare, liebe Frau Gerda. Prima!
        Mir fiel spontan dazu ein Beispiel ein.
        Der Main, maskulin. Seine Nebenflüsse, die Nidda, die Kinzig, die Gersprenz, die Mümling, die Tauber, die fränkische Saale, die Wern, die Regnitz, die Itz, die Baunach, die Rodach – alle feminin.
        Das könnte man jetzt einmal für andere Ströme untersuchen.
        Fazit: was wäre der grosse Strom, hätte er nicht alle seine Zuflüsse. Mancher würde versiegen. Was wären die kleineren Zuflüsse könnten sie sich nicht in die grossen Strom entwässern? Wahrscheinlich dauerüberschwemmt. Insofern scheint es mir sinnvoll, dass sich beide zu ihrem Wohle ergänzen.

        Ihnen einen leichten Tag,
        Herr Ärmel

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      • Ist es nicht faszinierend, liebe Gerda, dass Flüsse männlich und weiblich sind, ich mein, die Rhein hört sich auch für mich seltsam an, und dennoch, als ich am Ufer sass konnte er nur eine Sie sein.
        Schön dass du gleich hier bist und deinen klugen Senf zu meinem gibst.
        Herzliche Grüsse
        Ulli

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  2. Ihr Bericht gefällt mir. Und er kommt mir bekannt vor. Und die Abbildungen sowieso. Kein Wunder, der grosse Strom ist kaum vier Kilometer entfernt. – – Moment mal, das bedeutet ja, dass Sie hier in der Nähe vorüberkamen ohne ein Zeichen zu geben ^^
    Sonnigfrische Morgengrüsse,
    Herr Ärmel

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  3. (Und ich steck noch immer im dritten Buch Ulla Hahns fest, das mich so zäh dünkte ab Mitte Buch.)

    Sehr feine Gedanken das!
    Ich sehe Rhein auch nicht männlich, bestenfalls ab Basel, wo er „mein Land“ verlässt. Ich habe oft „sie“ gesagt, unterwegs, wenn ich den Rhein meinte (wie DIE Reuss etc.).

    Feine Bilder! Das Baden im Rhein geht in der Schweiz noch bedenkenlos, trinken würde ich das Wasser nur etwa bis Ilanz … (sagt mein Gefühl).

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    • Liebe Soso, ich weiss es jetzt nicht mehr ganz genau, aber ich glaube schon ab Bodensee fand man die Medikamentenrückstände, Ich hätte keinen Bock in Diclofenac zu schwimmen, aber das ist meins- ich stelle mir jetzt immer ruhig gestellte Fische vor, brrr …
      weiter oben gab es hier einen schönen Diskurs zu den weiblich-männlichen Flüssen …
      ich grüsse dich herzlich
      Ulli

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    • Und ich freue mich, dass ihr auch gleich wieder alle hier seid – nachher gehe ich zur Post 😉
      herzliche Grüsse und eine gute Woche wünscht dir
      Ulli

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  4. Deine wunderbaren Gedanken bringen meine Erinnerungen an Kindheit zurück, wo nur Kinder an die Flüße gingen, selten Eltern und wenn, nur zu einem Ausflug am Sonntag. Niemand machte sich Sorgen um Gesundheit oder Unfälle, nur die Abendbrotzeit begrenzte das Kinderleben. Ich hätte es nicht geschafft die Bilder vom „Unrat“ zu machen, aber es ist auch eine Doku über unsere Zeit. Dankeschön liebe Ulli!

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    • Lieber Arno, als ich gestern die Fotos sichtete, dachte ich noch, dass den Kindern eigentlich nur noch die Schwimmflügel oder Rettungsringe auf ihren Rädern fehlen, sie könnten ja links die Uferböschung runterfallen und dann in den Rhein rollen – Ironie aus-
      Zu den „Unratfotos“ ich fotografiere ja schon immer gerne beide Seiten, hier die Schönheit, dort, was Menschen machen- ausserdem denke ich, dass ich in meinen Bildern noch mehr meine gedanken und Ungutgefühle ausdrücken möchte, nur scgönschön ist nicht meins und ist auch nicht die Welt – leider?
      Aber klar, das muss nicht jedeR!
      Herzliche Grüsse und danke für deins
      Ulli

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  5. So schöne Fluss-Steine und jeder hat seine Geschichte. Ob sie nun weibliche oder männliche Namen tragen, stehen Flüsse für mich jenseits der Geschlechter, sie sind das Fließende, das Wasser. Doch ich finde die Kommentare spannend, so hat jeder sein eigenes Empfinden. Ich kenne den großen Rhein von drei Tagen Aufenthalt. Das ist nicht viel und doch beeindruckt mich dieser Strom sehr. Schade, dass sich das fehlende Müllbewusstsein der anderen auch hier zeigt…
    Fein, Dich wieder zu lesen und dabei die Bilder zu betrachten…komm heil und gesund wieder,
    Viele liebe Grüße von Stefanie✨

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    • Liebe Stefanie, das ist das Feine an der Heimkehr, da gibt es wieder viele nette Post 🙂
      schön, dass du hier warst, ich hänge immer noch in meinem Koffer voller Bilder, aber bald komm ich auch mal wieder auf Zeilen und Noten bei dir vorbei, ich freu mich schon.
      herzlichst
      Ulli

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  6. Liebe Ulli, das gefällt mir natürlich wieder ganz besonders, was Du da so alles angesammelt hast am Ufer auf den Steinen…und dann ausgerechnet auch noch Brokkoli…grandios! Und das Bild von Max Ernst kannte ich noch gar nicht…absolut bezaubernd schön! Ach, ich liebe Flußgeschichten…Viele Grüße, Deine Graue

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  7. Wie schön, Dich wieder zu lesen, liebe Ulli. Fast heimelig scheint es mir *lächel*
    Die Flüsse, der Rhein, die Fließende, komisch, für mich war er ein ER, immer, der Vater, und auch mein mir naheliegender Neckar trägt stolz einen männlichen Artikel.
    Die Mosel dagegen ist süffig und weiblich, eine vollmundige Flußdame *g*
    Es ist wundersam, sie sich bei ihnen allen das Weibliche mit dem Männlichen mischt. Aber es gefällt
    mir gut. Ich mag sie allesamt und Deine Erzählsteine auch mit den kleinen Fundstücken, von denen manche auch größer sind. Wieso sind es so oft die einzelnen Schuhe, die wir finden?
    Sind es ungeliebte? Fort mit dem einen, damit es einen Grund gibt, auch den zweiten zu entsorgen?

    Die alte Bunte lese ich mit großem Erstaunen… Jung höre ich aus allen Deinen Zeilen und bunt ist sowieso besser als trist, alt und halb kalt.
    Freudige Farben dürfen wir tragen und ich denke, wir tragen sie von Herzen gerne ❤

    Liebe Grüße von mir zu Dir

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    • Ja, liebe bruni, ich bin schon alt im Angesicht von drei so jungen durchtrainierten Kerlen mit irgendwas um die zwanzig – Geist ist ja nicht Körper nicht Seele, na du weisst schon!
      Ich komme noch gar nicht so rum in Bloghausen, mehr hier an und bei meinem Koffer voller Bilder, meinen Eindrücken und Ideen, ich war nur eine Woche weg und schon laufe ich über – lach
      herzliche Abendgrüsse
      Ulli

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