Kurze Zeilen – 24 –

Kinderspiele

Es waren Murmelspiele, Hinkekästchen, wilde Jagden, Ochsenberger-eins-zwei-drei, Mutter-Mutter-wie-weit-darf-ich-reisen, Vater-Mutter-Kind.

Viele Mütter, viele Väter, viele Kinder, ehrliches Brot, gesunder Stolz und am Samstag großes Reinemachen. Der Sonntag- und der Satansbraten, Montagnudeln, Dienstageinerlei, Mittwochstampfkartoffeln-mit-Sauerkraut-und-Bratwurst, Donnerstagreste, Freitagfische, Samstagsuppe, Woche für Woche. Jahr für Jahr Rhythmus, Fleiß und Wiederaufbauschweiß. Keiner hat nie etwas gewusst und jetzt war es ja vorbei. Als gäbe es eine Endgültigkeit, ein Ab-ins-Meer-damit-und-weg-ist-es. Als gäbe es Teppiche fürs Drunterschaufeln, als wäre Schweigen stumm. Als könnten wir uns neu erschaffen, den Göttern gleich. Als hielten wir das Ende und das Wie in unseren Händen.

42 Gedanken zu „Kurze Zeilen – 24 –

  1. Und Teppichklopfer, Kleiderbügel, hölzerne Kochlöffel und ein Juchzen, wenn die Mama einen nicht fangen konnte. Sonntags trug sie eine weiße Schürze,und nur der Vater bekam ein Stück Fleisch. Lackschuhe, weiße Kniestrümpfe. Die Kinder kannten es nicht anders, wurden aber längst nicht alle Satansbraten genannt.
    Deine Miniaturen gehören in ein kleinfeines Miniaturenbuch!

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    • Dem Kleiderbügel bin ich dreimal im Kinderleben nicht enkommen, Kochlöffel und Teppichklopfer kannten die Cousins und Cousinen, Ohrfeigen klatschten überall. Lackschuhe habe ich gehasst, nicht wegen dem Lack, sondern wegen ihrer Spitzigkeit. Und dann gab es die Goldkinder und die vielen satansbraten, ich war hier und da noch ein Deubel, gut, ist das alles vorbei und zeigt sich nicht mehr allzu oft.
      Sonja, dein Lob freut mich sehr, danke und herzliche Grüsse zu dir hin
      Ulli

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  2. Wenn aus einem Miniaturlawinchen Erinnerungslawinen werden.
    Gummitwist, straff gescheiteltes Haar, Manchesterhosen mit Bügelfalten, jetzt mach mal nen ordentlichen Diener wenn du Onkel Hermann die Hand gibst, Gemüsesuppe mit Buchstabennudeln, Setz dich gerade.
    Und sei nicht so vorlaut.
    Schreiben Sie bitte weiter, liebe Frau Ulli!
    Morgenherzliche Grüsse aus dem Bembelland,
    Herr Ärmel

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    • Lieber Herr Ärmel, Sie verstehen es meine Miniaturen aufs Vortrefflichste zu ergänzen, wie weiter oben auch Frau Wildgans, der Diener und der Knicks, Gummitwist, aber ja und der olle Knoten auf dem Kopf am Sonntag, überhaupt Sonntage … die wären noch eine Extraminiatur wert, danke für diese Inspiration und auch dafür, dass ich weiterschreiben soll, das mache ich 😉
      herzliche Mittwochgrüsse vom grauen Berg
      Ulli

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    • Danke, liebe Maren, ich übe mich weiter, ihr macht mir Mut und dafür kann ich gar nicht dankbar genug sein!
      Ochsenberger-eins-zwei-drei war ein ähnliches Spiel, wie Mutter-Mutter-wie-weit-darf-ich-reisen, auch hier stand eine oder einer an einer Wand, mit dem zu Rücken der Reihe der Mitspielenden, sie/er sagte Ochsenberger-eins-zwei-drei, wie schnell, wie langsam das lag im eigenen Ermessen, in dieser Zeit versuchten die Mitspielenden möglichst schnell die Wand zu erreichen, bei drei war man entweder angekommen, oder aber musste „einfrieren“ wenn er/sie sich dann umdrehte und nur einen Wackler sah, war man ab, gewonnen hat die/der zuerst an der Wand angekommen war. Ich habe das sehr gerne gespielt!
      Liebe Grüsse zu dir hin in meine Lieblingsstadt, wo ich schon viel zu lange nicht mehr war
      Ulli

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      • Es ist grad immer so eng, wenn ich im Norden bin, aaaber ich ziehe ja nächsten Mai um, endlich! Aber pssst, gäll 🙂 und dann bin ich wirklich nah und werde öfters in der Hansestadt sein, ich freue mich jetzt schon! Und dann wird das auch mal endlich was mit uns beiden 😉 liebe Abendgrüsse an dich Ulli

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  3. Samstags Pellkartoffeln und danach eine halbe Buttersemmel in Kochkakao getitscht. Teppiche auf der Klopfstange, heute kein Schaukeln, kannste ja Heu wenden gehen.
    Mit der Thermoskanne ummen Hals im Beutel zum Dorfbäcker, der auch Eis machte, das Fahrrad flog nur so über die Löcherwege. Landeroberungsgejohle, wenn das Stöckchen die eingeritzten Fußwege teilte und barmende Schelte, wenn der Kirschbaum leergefuttert und die Hosen schon wieder Risse hatte…

    Ach, Frau Ulli, Sie vermögen Tore zu öffnen, wie schon andere Kommentatoren anmerkten. Danke dafür und Ihre auch für die Ochsenberger- Erklärung, das kannte ich nicht. Wir spielten nur Ein-Zwo- Drei- Vier- Eckstein.

    Liebe Grüße, Ihre Käthe, erinnerungsvoll zugetan.

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    • Ich liiiebe es, wenn die Fäden, die ich auslege aufgenommen und weitergsponnen werden, zu einem ganz eigegen Muster- ich danke Ihnen dafür, liebe Frau Käthe, kennen Sie auch das Fadenspiel?
      Herzlich grüsse ich Sie
      Ulli

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      • Meinen Sie das Fingerfädchenspiel, liebe Ulli? Da bin ich Meisterin, ich kann sogar das Spinnennetz. Bringe ich in Pausen meinen ansonsten daddelnden Praktikanten bei. Was ein Spaß, besonders für nur Tippetitappfingerchen…

        Nochmals liebe Grüße, die Ihre.

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      • Nun, es gab und gibt bestimmt Menschen, die eine glückliche Kindheit hatten und haben, das will ich dir auch gar nicht absprechen. Die Zeit selbst aber, ind er wir gross wurden, hatte seinen grossen Schatten und darum ging es mir viel mehr, als um die Spiele der Kindheit, das war quasi nur das Entree.
        Ich grüsse dich herzlich und freue mich, dass du dich zu den glücklichen Kindern zählen kannst
        Ulli

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  4. Als du deine Hinkekästchen abhüpftest, liebe Ulli, machte ich bereits Abitur – und so kann es nicht ausbleiben, dass sich unsere Erinnerungen nicht ganz decken. Und doch: das versteckte Leitmotiv deiner Kinderjahre war dasselbe wie in meinen Kinder- und Jugendjahren: „Keiner hat nie etwas gewusst und jetzt ist es vorbei“. Dieses „Wir haben es nicht gewusst“ war für mich der schlimmste Nagel in meinem Herzen. An ihm entzündete sich mein heftigster Widerwille. Nie wollte ich verurteilen, aber verstehen wollte ich. Das gelang mir nicht, bis heute. Und ich glaube, das ist auch die Wunde, die die heute Jungen umtreibt. Wir starren auf unsere Nächsten und fragen uns: wären sie auch dazu fähig gewesen? und beginnen, uns zu misstrauen und zu fürchten.
    Denn wenn ich nicht verstehe, was meine Eltern und Lehrer und deren Eltern und Lehrer umtrieb – wie kann ich sicher sein über mein eigenes Handeln? :: „Ich weiß nicht, wie ich gehandelt hätte“ – das sagt sich heute so dahin, als ob nicht gerade darin, in diesem Nichtwissen, die größte Schmach und eine ungeheuerliche Drohung stecken würde.

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    • Liebe Gerda, ich habe wahrlich schon so viele Runden mit dieser unsäglichen Geschichte gedreht, noch einmal sehr intensiv, als ich das Memorandum für unsere Grossmütter konzipiert und dann mit vielen anderen gemacht habe (Gell, du kennst es, du findest es ansonsten oben in der Leiste), ich habe Sabine Bodes Bücher zum Thema gelesen, sowie eineinhalb Bände einer Soziologin, die dem ganzen auch auf die Spur kommen wollte, es ist so unerträglich für mich gewesen all diese naivität zu lesen, dass ich eben aufgab (bei der Soziologin), aber eben … was weiss denn ich? Wäre ich wirklich schlauer gewesen, nur weil ich mir das heute schönmalen kann, was ich aber schon lange nicht mehr tue, weil ich es eben nicht ermessen kann. ich kann aber jetzt meine Stimme erheben, denn der braune Mob wuchert ja wieder in diesem und jenem Land, unglaublich. Das hätte ich wirklich NIE gedacht, nicht in dieser Präsenz und Masse.

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  5. und nicht zu vergessen, erst Ostern wurden Kniestrümpfe hervor gekramt. Das unter den Teppichkehren war landläufig selbstverständlich. Doch spätestens wenn nach den Begräbnissen Großreinemachen angesagt war, quoll es manchmal aus den Mündern der Nachfahren hervor. Das Unterdenteppichkehren funktioniert ja nicht auf Dauer. Es wird groß und mächtig, es wechselt Form und Gestalt.
    Die Samstagssuppe habe ich gemocht, den Freitagsfisch verabscheut, aber die Ordnung der Tage, Wochen und Jahreszeiten, die sich wiederholenden Gesten, Rituale, das alles gab mir ein Gefühl von Geborgenheit

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    • Oh ja die Kniestrümpfe, stimmt, da gibt es auch noch Geschichten! Ich mag sehr deine Gedanken zu Rhythmus, Ritualen und Geborgenheitsgefühlen, etwas, was verloren geht oder ging und nun feiern wir wieder die 8 jahreskreisfeste, so ändern sich die Bräuche oder man besinnt sich zurück. Herzlichen Dank für deine feinen Ergänzungen und liebe Grüsse
      Ulli

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  6. Viele Erinnerungen tun sich auf, liebe Ulli, wenn ich auch keine Ahnung habe, war Ochsenberger wohl bedeutet *g*. Samstags Suppe war auch bei uns so und Samstag am Nachmittag einen Doppelweck mit Kalbsleberwurst. dafür aber die Marmelade gaaanz dünn aufs Brot geschmiert, alle Tage. Keiner wußte etwas, nur ein Onkel, der bei der Bahn arbeitete und heulend zu meiner Tante nachhause kam.Er hatte die Transporte, vollgepfercht mit armen Menschen, gesehn, wie Vieh da reingeschoben… Das erfuhr ich aber nur durch hartnäckiges Nachbohren. Das konnte ich gut damals, weil mich das Nichtwissen so ärgerte und ich es nicht glauben konnte.
    Ein Teufel war ich nicht,
    aber die Satansbraten http://wortbehagen.de/index.php/gedichte/2008/juni/satansbraten
    habe ich immer bewundert.
    Deine Bildbearbeitung ist wunderschön

    LG in die Nacht von Bruni

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    • Liebe Bruni, den Ochsenberger habe ich weiter oben erklärt … aber das ist ja auch wurscht, es geht ja, genau wie du schreibst, viel mehr um dieses Nichtwissen- meine Mutter hat ebenfalls solche Transporte gesehen und kam völlig fassungslos Nachhause, wo man ihr sagte, lieber nicht zu viel nachzufragen. Meine Grossmutter hatte grosse Angst, zumal ihr Mann sterben musste, weil er polnischer Herkunft war und der Naziarzt ihn nicht richtig behandelt hat …
      die Geschichte lebt eben in uns weiter und wir haben die Verantwortung, sehe ich wenigstens so, diese Geschichte nicht wiederholbar zu machen.
      herzliche Grüsse
      Ulli

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  7. Tja, in jeder Familie gibt es diese Geschichten, es sei denn, das Schweigen verschloss gar und gar ihre Münder…
    Heute wäre mein Vater auch Pole, wenn er in seine Heimat hätte zurückgehen können, aber er kam zu meiner Mutter und dann ich.

    Heute ist Donnerstag, wie geht es Dir?

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    • Ach, auch du hast polnische Vorfahren, man trifft sich, gäll?! 😉
      Mir gehts soweit gut, bin aber nur kurz hier, da ich nur wenig lesen soll, mache mich jetzt ein bisschen rar.
      Bis bald und liebe Grüsse
      Ulli

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  8. Nein, mein Vater war Niederschlesier, die ganze Familie waschechte Deutsche. Die Grenze verlief aber nicht weit von ihm. Er stammte aus dem Riesengebirge, heute Polen.
    Nur seine Oma väterlicherseits (eine sehr schöne Frau) kam von jenseits der Grenze und meine jüngere Tochter geht im Aussehen in diese Richtung *g*.

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  9. In gewisser Weise waren es trotz der ritualisierten, mühsam durchexerzierten Wohlanständigkeit eine barbarische Zeit, in der Kinder körperliche und seelische Zwangsmassnahmen selbstverständlich und gerecht finden mussten, unter der Woche in Heimen lebten, während die Eltern eine Sechstagewoche durcharbeiteten, oder, als Alternative dazu, als Älteste ihre jüngeren Geschwister versorgen mussten, als wären sie Erwachsene.
    Ich bin zwar später geboren als diese frühen Nachkriegskinder, aber, weil ich mich als junge Frau zu etwas Älteren hingezogen fühlte, kenne ich viele solcher betroffenen Kinder mit entsprechenden Kindheiten, und allen ist ihnen gemeinsam, dass sie alles herunterspielen, was war und diese erschreckende Selbstverständlichkeit des Falschgelaufenen nicht minder im Vokabular versachlichen, wie der Diskurs über die Kriegsereignisse ja auch meist nur möglichst distanziert und sachlich gehalten wurde.
    Mir ist noch genug von den Erziehungsmethoden zugekommen und an bestimmte gruppendynamische Strukturen unter den Kindergruppen, die achsoglücklich damals draussen spielten, habe ich auch genug in Erinnerung, um mich einer solchen Seligkeit nicht uneingeschränkt anschliessen zu können. Schlimmstmöglicher und heute noch oft gehörter Satz: „Es hat uns ja auch nicht geschadet.“

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    • Vielleicht kennst du ja auch die Bücher von Sabine Bode, die sich mit der Generation der Kriegskinder und der Nachgeborenen in drei Bänden auseinander gesetzt hat?! Hier werden u.a. das Herunterspielen und der Satz: „Es hat uns ja nicht geschadet“, ebenfalls benannt und beleuchtet.
      Meine Seligkeit bezieht sich immer auf die ungestörte Zeit mit den anderen Kindern im Hof, Zuhause war es selten unbeschwert und die eine und andere Backpfeife und mehr musste ich auch einstecken, das Gefühl der Demütigung ist noch present. Schlimmer aber als diese waren all die subtilen Verletzungen, die erst im erwachsenen Alter zeigten, was sie angerichtet hatten. Nun ist das alles vorbei, einiges konnte ich vergeben, anderes musste ich so stehen lassen – bis jetzt.
      Herzliche Grüße
      Ulli

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      • Ich habe die Bücher, sie sind grossartig und bieten Verständnismöglichkeiten für vieles bis dahin nur in Schweigen Gehülltes auf eine Weise, die auch hilft, die Gegebenheiten aus dem persönlichen, kindlich erlebten Bereich in einen grösseren Kontext zu stellen und sich selbst ein Stück weit von schwebenden Vorwürfen der eigenen kindlichen Mitschuld am Versagen der Eltern oder Grosseltern zu befreien.
        Ja, das sehe ich ganz ähnlich: verstehen im Sinne von Erkennen ist eine Sache, aber gewisse Ereignisse mithilfe von Verständnis zu entschuldigen eine ganz andere, denn genau das Gefühl, es doch aus „moralischen Gründen der Kindesliebe“ zu sollen, ist abzulegen nur allzu notwendig, um alles im richtigen Licht zu sehen.

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        • Vorhin habe ich überlegt, ob wir uns vielleicht unbekannter Weise in Lüchow bei der Lesung von Sabine Bode begegnet sind. Da kannte ich die Bücher schon, aber ich wollte sie gerne live erleben und war kein bisschen enttäuscht!
          Mitgefühl gilt ja nicht nur in Bezug auf die anderen, sondern auch für sich selbst, so halte ich heute noch manchmal als Große die Kleine.

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          • Sind wir nicht, aber diese Vorstellung gefällt mir auch. 🙂

            Es war ein wichtiger Schritt, zu dieser inneren Fürsorge zu finden, nicht ohne Verluste, denn dadurch offenbaren sich die Mängel der Vergangenheit um so deutlicher.

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