Eine Auszeit in der Auszeit

001 einstieg

Ich steige wieder langsam ein. Auch in Bloghausen habe ich nun die ersten Besuche gemacht, aber insgesamt bin ich doch noch sehr mit meinem Erlebtem beschäftigt, mit meiner Reise nach Asturien und meiner inneren Reise, die ich dort machte.

Visionssuche heißt das Zauberwort, eine Auszeit in der Auszeit. Drei Tage und Nächte schweigen, fasten, über die Erde gehen, bzw. die Berge hinauf und hinunter, auf der Erde sitzen, eine Wegmarkierung setzen, das, was ich loslassen will dort hineinlegen. Die Berge, Adler und Geier waren meine Zeugen, der blühende Stechginster auch und so manches Bergblümchen, gerade frisch aufgeblüht, namenlos und wunderbar, von Bäumen und Sträuchern, Himmel und Erde mal abgesehen.

003 stechginster
Ich wurde durchlässiger, die Sinne wurden von Tag zu Tag wacher. Ich spürte, roch, schmeckte, hörte, schaute, soweit es mit meinem desolaten Auge ging. Spüren, den Wind und die Sonne auf meiner Haut, die noch kühle Erde unter meinem Po. Das Land war weit, lieblich und gewaltig zugleich, wild und halbwild, hier war Raum. Adler (oder waren es Geier) kreisten so nah über meinem Kopf, dass sie Schatten auf mich warfen. Was sahen sie, sie, die Vögel mit dem größten Weitblick? Ich saß unterhalb des Gipfels, an einen Kalkfelsen gelehnt, mit meinem Regencape unterm Po, leise vor mich hinmurmelnd, von Angesicht zu Angesicht mit mir, meinem Leben, meinen Liebsten und Nichtliebsten. Ich sagte, was es (noch) zu sagen gab, ich verabschiedete mich, ich bedankte mich.

Ich liebe.

„Sie setzt sich in den Kreis, sie ruft. Es kommt, was kommt. Es kommt, wer kommt, alle sind willkommen. Und wieder reißt ein Schleier. Nun ist es nur noch einer. Die kleine blaue Frau denkt an die Insel des Spiegels, an: keine Reue, kein Bedauern, keine Scham und keine Schuld. Sie nimmt Abschied, sie vergibt, sich und allen anderen. Tränen fließen, Lachen perlt, letzte Liebes- und Dankesworte werden gesprochen. Bei manchen trifft sie auf Schweigen, bei anderen auf Abkehr. Nicht alles ist leicht.
Dann ist es vorbei. Nebelschwaden ziehen Schleier vor den Mond. Die kleine blaue Frau ist eingeschlafen.“

copyright Ulli Gau – Ausschnitt: Die kleine blaue Frau träumt Meer

004 geier oder adler

(Geier oder Adler?)

Die Adler (oder waren es Geier) sahen was war. Sie sahen eine kleine, ins Alter gekommene, pummelige Frau auf der Erde sitzen. Eine, die mit sich beschäftigt war, die keinen Schaden anrichten wird. Sie sahen mich. Wie der Hengst, rechts neben mir auf einem Hügel, er, der Chef der Herde, wie es mir schien. Ich schaute mit dem Fernglas, unsere Blicke trafen sich. Wir schauten uns lange an, unterhalb des Hügels graste die Herde. Allein und wild leben sie dort oben in den Bergen, ziehen ihre Bahnen, grasen und laben sich an der Quelle, die in einem Betonbecken gefasst wurde: halbwild eben. Sie schenkten mir Ruhe und Frieden, ich dachte nicht mehr an Wildschweine, die ja eh eher nachtaktiv sind, aber man weiß ja nie.

Die Nächte waren hell, es ging dem Vollmond entgegen, die Tag- und Nachtgleiche fiel in meine Auszeit. Alles spielte mit, alles war Spiegel. Ich spiegelte mich, ich ließ mich spiegeln. Nicht alles war einfach!

009 Nachbars Hund

Es kam die dritte Nacht. Käuzchen rief, Fuchs bellte, Nachbars Hund wachte, der Regen war gestern, am Morgen ging die Sonne auf. Ich war wieder zurück.

005 am morgen

Ich … dieses wandelbare Ding, das zulässt, loslässt, weglässt, lässt. Ich, die ich Gestalten verändere, die ich Viele bin, mit und ohne Flügel, mit leichtem und mit schwerem Schritt, bergauf und bergrunter. Leise, achtsam, mit weit offenen Sinnen und dieses mal auch ohne Kamera*. Bilder für mich. Stille Bilder, leise Lieder, weitergehen.

006 stille bilder

Bloghausen … unterwegs sein … wie es gerade auch wieder Jürgen ist. Als ich ihm nun auf seiner Route rückwärtig folge, spüre ich, dass er es SO richtig macht! Zwischen zweien seiner Etappen höre ich mich fragen, ob es nicht auch für mich nicht noch einfacher, noch schlichter geht. Klar, ich muss wirklich nicht viel haben, habe ich auch nicht, trotzdem ginge noch weniger. Ja, es ist wunderbar erholsam für eine Weile noch schlichter, noch einfacher zu leben, aber doch nur, weil ein etwas komfortableres Nest woanders wartet. Weil der Mensch (weil ich) auf Dauer nicht gern allein ist. Weil es ein Alter gibt, in dem es manches zu überdenken gilt. Was wäre wenn … genau dann ist so ein ganz schlichtes, einfaches Leben, irgendwo, in irgendwelchen Bergen (oder am Meer oder …), ohne Familie, Freundinnen und Freunden, ohne Vertrautheit, aber mit viel Fremdheit, keine Option.

007 schlicht

Auszeiten nehmen, in einen Rückzug gehen, das sind temporäre Optionen für die ich dankbar bin, die ich gerne noch ausdehnen, die ich gerne vermehrt in meinen Alltag einbauen möchte. Es ist die innere Haltung zu den Dingen und Geschehen, es ist nicht die Welt!

Jürgen schrieb, dass er besser damit fährt (im wahrsten Sinne des Wortes), wenn er sich den Tag und die Etappe nicht schon vorher vorstellt. Nie wird es so, wie es ihm seine Gespenster an manchen Tagen einzuflüstern versuchen. Aber auch nicht anders herum, wenn die Engel singen. Ich nicke, ich denke an meine Auszeit in der Auszeit, ich denke an meinen Plan und das, was dann wirklich geschah.

Unterwegs sein … alles ist Spiegel … immer. Kein Ziel, keine Abfahrt, keine Ankunft. Unterwegs sein.

008 unterwegs sein

Anmerkung

* ohne Kamera galt nur während der dreitägigen Auszeit, ansonsten sind alle Bilder, die ich hier zeige von meiner Reise – andere folgen

Gestern zeigte ich auch ein Bild bei pixartix →

 

46 Gedanken zu „Eine Auszeit in der Auszeit

  1. Solche Auszeiten braucht man hin und wieder … Wie gut, dass du sie dir gegönnt hast und uns hast teilnehmen lassen. Diese innere Weitung, Ausrichtung und Empfängnis sind so wohltuend. Und wenn man ein paar Tage in der Abgeschiedenheit verbracht hat, wird so ein Programm aktiviert … ein Wissen und Wiedererkennen und -erleben. Dann sind wir ganz eins mit der Natur.

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    • ja, das stimmt und gleichzeitig kann man sich täglich mit allem verbinden, wenn man es nicht vergisst und das passiert ja während des Alltags leider oft viel zu schnell.

      liebe Grüsse
      Ulli

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  2. Liebe Ulli, mit deinem feinen Text und den schönen Bildern hast du uns eine eigene Zeit gegeben in uns nach Ruhe zu suchen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schwierig es sein kann sich vom Alltagsleben zurück zu ziehen. Du hast es geschafft und es mit uns geteilt – dankeschön.

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  3. Herzlichen Dank für deinen Einblick in deine Seelenreise, die so wunderbar begleitet war…die Vögel über dir, die Einsichten / Ausblicke schickten und ein wachsamer Hund, der dich beschützt und die Wildheit der Pferde, die dich wieder ins Leben schicken. Bewahre dir dein Geschenk der Auszeit und die Nähe zu deiner Seele. Liebe Grüsse Erika

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  4. Wunderschöne Fotos, Erinnerungen und Gedanken hast du mitgebracht, liebe Ulli. Ich fühle mich erholt und erfrischt nach diesem Ausflug!
    Liebe Grüße zu dir aus Cley,
    Hanne & co

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    • Lieber Herr Ärmel, sind wir nicht immer ein kleines bisschen gespannt, wie es weitergeht?! 😉 Aber soviel mag ich verraten, gerade habe ich schon wieder ein paar Bilder gesammelt und ein paar Worte getippt. Alles hat und braucht seine Zeit und ich gerade mehr! Tranquillo, tranquillo flüstere ich mir zu.
      Herzliche Frühabendgrüsse vom jetzt wieder grauen Berg, nach Morgenundnachmittagssonnenschein- ja, schade …
      Ulli

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  5. Adler soll es, meint Amador, der alles weiß, nur sehr selten geben, und wenn, dann immer nur einer. Ich finde Geier auch sozusagen angenehmer, wegen der Symbolik – „König der Lüfte“, gefällt mir nicht so recht, klingt irgendwie arrogant. Aber der Geier, der kreist und kreist und hofft, dass irgendwo was für ihn abfällt. Kein König, sondern ein armer Vogel.
    LG Martin

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    • Lieber Martin,

      da muss ich dem guten Amador aber widersprechen, ich sah schon in den italienischen Alpen Adlerpaare, die ihrem Jungen das Fliegen beibrachten, waren also drei … aber ich glaube auch, dass sie nicht in diesen Schwärmen auftauchen, wie in Asturien gesehen, also waren es Geier, gut! Was nun die Symbolik betrifft, so bin ich da wertfrei, es sind ja wir Menschen, die wir den Tieren und Pflanzen so einiges auf den Leib schreiben, fest steht lediglich, dass der Adler wohl mit den schärfsten Augen ausgestattet ist, er soll 3km tief und weit klar und deutlich sehen können, las ich mal …
      herzliche Grüsse
      Ulli
      morgen geht es hier mit Bildern und kleinen Anekdoten aus Asturien weiter

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  6. Du warst auf einer Reise zu Dir selbst und Du hast Dich gefunden, wie Du Dich immer findet, tief in Dir selbst, denn da wirst Du immer sein.
    Manchmal muß man seine Seele begrüßen, muß ihr huldigen und das konntest Du dort wundervoll, an einem Platz, an dem ihr tiefe Ruhe miteinander fandet.

    Liebe Grüße von der grippigen Bruni

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  7. Es ist ein großes Fließen zu verspüren, und wie gut und gern du mit dir allein bist! Reisen- wie schon anderswo gesagt, kann ein aus den Angeln heben sein – eine Art Vertiefungsbrunnen, mit diversen Wassern gewaschen…
    Einzig der riesige Hund hätte mir Angst gemacht!
    Gruß von Sonja

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    • Der riesige Hund war ein absolut tolpatschiges Spielkind, erst 8 Monate alt und wirklich liebenswert … nur gross eben. Schön, wie du Reisen beschreibst, ich las es schon anderswo … ich lache und sende dir herzliche Grüsse
      Ulli

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  8. Liebe Ulli, wie so oft lässt du mich schwer beeindruckt von deinem gesammelten Wissen zurück. Du nimmst dir viel in diesen Auszeiten, den Visionssuchen. Du fragtest mich einmal, ob ich auch so etwas mache. Ja. Als Siebenerin brauche ich das, das Mystische und Spirituelle liegt mir im Blut. Ich kann leider nicht so wie du gleich ein paar Tage auszeiten und mich auf Wanderung begeben, obwohl ich es gern wollte. Doch ich nehme kleine Auszeiten und ich achte auf die Zeichen und Symbole in den Begegnungen in der Natur und mit den Menschen. So gesehen, habe ich immer Herz und Augen so weit offen wie möglich, um mir aus den vielen Eindrücken des Lebens meinen Weg zu suchen. Manchmal begegnen mir Tiere, so wie dieser Falke vorgestern. Ich knipste ihn, es war beinahe als wolle er vor der Sonne die Freiheit posieren. Ein tolles Bild! Er kam überraschend nah an mich heran und rief dabei, mit Falken geschieht mir das immer mal wieder, sie zählen zu meinen Seelen- und Krafttieren. Ich schöpfe sehr viel aus solchen Begegnungen, die mich solchen scheuen Wesen so nahe bringen, das es mir vorkommt, als sollte dies so sein. Habe großen Respekt davor, ist eine Indianermentalität.

    Ich wünsche dir weiterhin gutes Ankommen. Auch dein Beitrag über Asturien beeindruckend. Danke und herzliche Sonntagsgrüße von Stefanie

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    • Liebe Stefanie, schön, dass wir diese offene Haltung und den Respekt teilen. Es gibt eben sehr viel mehr, als nur die Menschenwelt und das ist gut so! Dein Falkenbild schaue ich mir nachher bestimmt noch an, freue mich schon. Die Vögel sind mir in vielerlei Gestalt Kraft- und Seelentier, so ist das halt, wenn frau einen Vogel hat 😉
      herzliche Sonntaggrüsse
      Ulli

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        • oh, da hab ich dich falsch verstanden … ich komme heute auch gar nicht zu Blogbesuchen … hänge an meinen Bilder und jetzt muss ich schlafen …
          du kannst es mir gerne schicken, aber nur, wenn es keine Mühe macht! Danke und liebe Grüsse Ulli

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