Sterben, Lieben, Spielen

Das sind die Titel von Karl Ove Knausgårds Buchprojekt, sechs Werke, die in Norwegen unter dem Titel „Mein Kampf“ erschienen sind, bzw. noch erscheinen werden. Ein Titel, den man in Deutschland so nicht übernehmen kann und will. Bisher sind bei uns die drei Bücher Sterben, Lieben und Spielen erschienen, es bleiben drei Leerstellen, die sich mit der Zeit füllen werden.

Dreimal über fünfhundert Seiten ohne Schnörkel, ohne Beschönigungen. Als Leserin kann ich den Autor von vielen Seiten betrachten, seine Trauer, seine Liebe, sein Ringen, kann seinen Weg vom Kind zum Autor mitverfolgen. Es ist noch geschickt, dass er erst den dritten Band ganz und gar seiner Kindheit widmet. Es fanden sich schon Facetten davon in „Sterben“, dort widerum Szenen seiner Liebe(n), die sich im zweiten Band verdichten.

Da blättert einer sein Lebensbuch auf. Und ganz so, wie es eine jede Erinnerung tut, ist es ein Vor und Zurück im Jetzt. Immer gerade jetzt, so stelle ich es mir wenigstens vor, sitzt Karl Ove Knausgård schreibend in seinem Arbeitszimmer und folgt seinem Lebensfaden, seinen Gedanken, Empfindungen und Erinnerungen.

Natürlich streiten sich die Geister. Was dem einen zu banal ist, ist für andere genial. Und vielleicht ist es ja das, was seine Bücher so bestechend macht: das Leben ist banal, trotz aller Höhen und Tiefen.

Es ist und bleibt Knausgårds Kampf, ob es nun übersetzt wird oder nicht, es ist der Kampf einen Platz in dieser Welt zu finden und seine Mankos dabei in der Tasche zu haben. Wie gesagt: keine Schnörkel, keine Beschönigungen, wie zum Beispiel seine Angst, die zu Hass wird und irgendwann auch zu Scham und Trauer in Bezug auf den Vater.

Knausgård erzählt und es bleibt genügend Raum für all das, was weder Worte kennt, noch braucht. Es bleibt Raum für das Eigene an Erlebtem und Gefühltem, das unweigerlich beim lesen auftaucht.

Knausgård verblüfft mit Detailgenauigkeit, ohne sich zu verlieren. Er hat gelernt, was ihm sein Freund Geir einstmals in Bezug auf sein Schreiben riet: du musst erzählen, nicht konstruieren. Ja, das kann er, viele Seiten lang, ohne langatmig zu sein. Viele Sätze habe ich unterstrichen, in vielem erkannte ich mich und meinen Kampf wieder. Ich fühle mich von einem gesehen, der mich nicht kennt, nur sich selbst versucht nahe zu kommen, mit allem Verlieren zwischendurch. Denn so verschieden sind wir eben doch nicht, nicht als Mann und Frau und nicht von Mensch zu Mensch. Knausgård zeigt die Berührungspunkte.

Er schreibt zum Gedächtnis, das ich das escheraske Labyrinth nannte:

“ … wer war er? Der Mann mit dem gepflegtem schwarzen Bart … Ach ja, genau, das war ja mein Vater, Papa höchstpersönlich. Aber wer er für sich selbst war, in diesem Moment wie in allen anderen Momenten, weiss niemand mehr. Und so verhält es sich mit all diesen Bildern, auch mit den Fotos von mir selbst. Sie sind vollkommen leer, die einzige Bedeutung, die sich aus ihnen ablesen lässt, hat die Zeit hineingelegt. Trotzdem sind diese Aufnahmen ein Teil von mir und meiner intimsten Geschichte, wie die Bilder anderer ein Teil ihrer Geschichte ist. Sinnvoll, sinnlos, sinnvoll, sinnlos, das ist die Welle, die durch unser Leben rollt und seine grundlegende Spannung bildet. Alles, woran ich mich aus den ersten sechs Jahren meines Lebens erinnere, und alles, was es an Bilder und Gegenständen aus jener Zeit gibt, nehme ich an, sie bilden einen wichtigen Teil meiner Identität, füllen die ansonsten leere und erinnerungsfreie Randzone dieses „Ichs“ mit Sinn und Kontinuität. Von all diesen Teilen und Bruchstücken ausgehend habe ich einen Karl Ove, einen Yngve, eine Mutter und einen Vater, ein Haus in Hove und ein Haus in Tybakken, Grosseltern mütterlicher- und väterlicherseits, eine Nachbarschaft und einen Haufen Kinder errichtet.

Dieses slumhüttenähnliche Provisorium nenne ich meine Kindheit.

Das Gedächtnis ist keine verlässliche Grösse im Leben, aus dem einfachen Grund, dass für das Gedächtnis nicht die Wahrheit am wichtigsten ist.“

Dreimal fünfhundert Seiten in einem Rutsch zu rezensieren ist unmöglich, bei all dem, was ich anstrich, an dem ich noch weiterdenke, sodass ich entschieden habe alles weitere häppchenweise zu tun.

Auch bei Mützenfalterin findet man immer wieder Sätze aus Knausgards Büchern, wie zum Beispiel hier

 

 

10 Gedanken zu „Sterben, Lieben, Spielen

  1. Uih, das ist jetzt aber mal richtig viel Text. Wie gut, das Du mich daran erinnerst was ich im letzten Halbjahr lesen wollte, aber aus denselben Gründen wie mein Fortsein, unterblieb. Heute wird das Buch bestellt. Ich wünsche Dir einen schönen Tag Ruth

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