Liebe

001 digitale höhlenmalerei

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In seinem dritten Buch ER schreibt Linus Reichlin über die Liebe und die damit verbundene Eifersucht, die Ängste, die Hingabe, die Sehnsucht, die Verletzungen und die Verletztheit. Diese beiden Passagen haben es mir ganz besonders angetan:

Man liebte und wurde verletzlich, schon eine Stecknadel riss tiefe Wunden, man stülpte das Innerste nach außen unter der Bedingung, dass der andere ebenso verletzlich war wie man selbst. Schmerz wurde mit Schmerz vergolten, das war die Warnung., beide mussten sich vor der Konsequenz des Verrats im selben Maß fürchten. Andernfalls war diese ungeheuerliche Entblößung des Herzens nicht zu verantworten. Einseitigkeit war lebensgefährlich, hier ging es um ein exaktes Gleichmaß der Schwäche. Und Liebe war nichts anderes als wunderbare, köstliche, schreckliche Schwäche. Man wurde erpressbar, verführbar, war leicht zu täuschen, hielt Augen für das Zentrum des Kosmos, und Worte kamen Organen gleich, ohne die man nicht leben konnte. Übertreibung war das tägliche Brot, Enttäuschung die Suppe, in die man das Brot tunkte. In etwas derart Verrücktes durfte man sich nicht einseitig hingeben. Nur wenn beide verrückt waren, verlor man nicht den Verstand.

Er hatte unter Liebe bisher immer eine Kraft verstanden, die aus der Sehnsucht nach Glück entstand und die einen die Herrschaft, die sie über einen ausübte, mit Zückerchen versüßte, damit man sich ihr mit Vergnügen unterwarf. Aber jetzt begriff er die Liebe als einen kostbaren Besitz, eine Schatulle voller Verheißungen, zu der er allein den Schlüssel besaß. Wenn ihm danach war, konnte er die Schatulle öffnen. Unter den Kostbarkeiten darin lag auch immer eine Viper, das war der Preis. Aber wer nicht mehr das Glück suchte, sondern bereit war zu leiden, dem gehörte die Liebe und der fühlte sich nicht mehr unterworfen.

Und Jensen war bereit dazu …

Zwei Abschnitte, die einige Fragen an mich im Gepäck haben. Fragen, die ich heute in mir wende, wie zum Beispiel diese: bin ich bereit zu leiden und wenn, wieviel? Und geht es bei Glück und Leid nicht ebenfalls um Ausgewogenheit, um ein Gleichmaß?

Was zählt? Alles! Minus gesellt sich zu Plus, nichts existiert ohne das andere. Jede und jeder sucht die Verbindung, das fängt bei den Elementarteilchen an, schreibt Reichlin in seinem ersten Buch: die Sehnsucht der Atome , mit der einen Ausnahme, die es auch hier gibt, dem Heliumatom. Aber verdammt, bin ich ein Heliumatom? Mitnichten! Aber ich bin vielleicht kleinlich, weil ich manchmal minutiös all die vielen Minusse zähle, statt mich an den vielen Plussen zu orientieren. Warum gewichte und wiege ich? Warum nähre ich nicht schlicht und einfach das Verbindende? Hingabe, Vertrauen und Zuversicht sind Zauberworte, die die Liebe ebenfalls im Gepäck hat, auch diese wollen genährt werden!

Noch ein Bild hat sich aus ER bei mir eingebrannt und das ist das des Segelschiffs, das man in jungen Jahren noch ist, in denen man unbeschwert über die Meere gleitet. Erst durch die Erfahrungen der Jahre, all die zugefügten Verletzungen wurde man zu einem Frachtschiff, das tief im Wasser liegt und nur langsam dem nächsten Hafen entgegen schippert.  Ich schrieb einst:

Sie waren nicht leer zueinander gekommen. Das Leben hatte sie gefurcht, in Falten gelegt, Haare ergrauen lassen, Misstrauen, Angst und Enttäuschungen in Herzen gesät …

das ist die Herausforderung zweier ins Alter gekommener Menschen, die eine neue Liebesgeschichte beginnen zu schreiben. Ob das gut geht?

20 Gedanken zu „Liebe

    • guten Morgen, liebe Soso,
      stimmt … keine Garantien, keine Sicherheit … hier zählt besonders das Jetzt und immer nur das Jetzt.
      Reichlin ist für mich wirklich eine wunderbare Entdeckung, er hat mich wirklich gepackt … danke 😉

      herzliche Grüße, einen guten Tag wünsche ich dir
      Ulli

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  1. Sehr schöne und auch traurige Gedanken, Ulli.
    Hat man denn überhaupt noch die Entscheidung, wenn man liebt? Liebt man richtig, wenn man sich erst all die Dinge Fragen muss?
    Ich weiss, es ist auf jeden Fall gesünder all die Fragen zu stellen und eines der schönsten Geschenke im Leben ist eine Liebe, die erwiedert wird! Es ist sehr selten.
    Liebe Grüße und einen schönen Tag von Susanne

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    • liebe Susanne, ich glaube, dass diese Fragen wirklich etwas mit Erfahrungen und Verletzungen zu tun haben, als ich noch jung war, habe ich mir solche Fragen nicht gestellt- und Jensen, der Protagonist bei Reichlin, hat die 50 auch schon überschritten, Fragen, die ihn quälen, will er doch so gerne nur eins: nur lieben …
      eine Liebe, die erwidert wird ist ein Schatz, den es zu hüten gilt, soweit man es vermag-
      es ist ein großes Thema, einer der Dreh- und Angelpunkte des menschlichen Daseins-

      auch dir wünsche ich einen wunderbaren Tag
      herzliche Grüße vom blauen Berg
      Ulli

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  2. Weißt Du, dass ich in meinem heutigen Post „Liebe“ als DAS Wort im Hintergrund hatte? Interessant, es heute bei Dir zu finden.
    Neue Liebe in fortgeschrittenen Jahren geht sicherlich mit vielen Fragen einher, schon „einfache“ neue Freundschaften lassen sich kaum noch mal ebenso schließen. Wir wollen so viel von uns erzählen, uns erklären, andere sollen den „richtigen“ Eindruck von uns bekommen – warum wir so sind wie wir geworden sind. Wir haben tatsächlich die Leichtigkeit der Jugend verloren. Bei der Passage des tiefer im Wasser liegenden Schiffes dachte ich mir, dass auch Schuld eine schwere Fracht sein könnte. Nicht nur Verletzungen, die uns zugefügt wurden, sondern auch solche, die wir zugefügt haben. Manchmal möchte ich meinen Geist befreien von all dem und würde so gerne wieder unbelastet Menschen gegenüber treten.
    Herzliche Grüße von Elvira

    P.S. Die Struwwelpetermotive in der Collage haben mich zunächst irritiert. Aber dann dachte ich mir so, dass das die sind, die alles Fremde negativ begleiten, nicht nur den „schwarzen Mohren“.

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    • liebe Elvira,
      ja, genau so empfinde ich auch die Herausforderungen von fortgeschrittenem Alter und neuer Liebe, andererseits weiß man aber auch eher worauf man sich einlässt. Schuld … das ist wirklich sehr belastend- ich übe mich immer wieder darin nicht nur anderen zu verzeihen, sondern auch mir selbst. Vieles haben wir nicht aus Bösartigkeit getan, eher aus Unwissenheit …
      die Struwwelpetermotive sind meine Symbole für alles, was sich uns in den Weg stellen kann, wenn eine neue Liebe unseren Weg kreuzt.
      Ich selbst habe ja eine alte Liebe, aber wir waren beide um die 40, schon da stellte sich uns einiges Erlebte und Verletzte in den Weg- seit diesem Mai hängt alles an einem seidenen Fädchen … wir ringen noch, jeder für sich, um einen Neuanfang … seufz …
      liebe Grüße
      Ulli

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  3. ja, liebe da gibt es kein „rezept“.
    sie ist immer wieder neu und zeigt mir jedesmal neu, seiten in mir, die ich nicht erwartet hätte.
    die reise dorthin finde ich immer wieder wichtig…. nur suche ich dann auch immer ganz stark auf meinen eigenen sicheren hafen zu vertrauen. es kann nämlich sehr stürmisch werden.

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    • ja auch das stimmt, liebe Eva, es kann sehr stürmisch werden, gut wenn es dann einen sicheren hafen gibt. Wir überlegen nun, nach fast 14 Jahren, wieder getrennt zu leben … schauen wir mal …

      herzliche Grüße
      Ulli

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      • oh oh, doch getrennt leben muss ja nicht heissen, dass die liebe vorbei ist. im gegenteil, es kann sie sogar wieder richtig zum leben bringen, sofern ihr dazu bereit seid.
        ich drücke dir die daumen, egal was passiert.
        ganz liebe grüsse,
        eva

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      • zunächst einmal danke ich dir fürs Daumen drücken … und dann möchte ich dir noch sagen, dass es in diesem Fall noch nicht einmal um Liebe oder nicht Liebe geht, die Liebe ist da, nur das WIE steht vollkommen auf dem Kopf … als ich im Herbst die Rolle der freien Frau auf Wanderschaft einnahm, spürte ich eine große Befreiung… vielleicht paradox, aber eben wahr …

        liebe Grüße an dich zurück
        Ulli

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  4. Ich finde die Liebe hat soooo viele Gesichter … Schmerzen entstehen immer dann, wenn wir etwas haben wollen und es nicht bekommen. Oft sind das doch Wiederholungen von bekannten Wegen, die wir erlert haben. Jede(r) von uns kennt dieses Gefühl der Verletzung und Enttäuschung. In Konflikten ist häufig gar nicht das Gegenüber gemeint, sondern die Erinnerung und ein Muster taucht auf und will endlich gesehen und verabschiedet werden… die Anziehungskräfte für diese „Schleifen“ im Gegenüber sind penetrant ganau. Grundlegend ist für mich immer die Bereitschaft offen für seine blinden Flecken zu sein und Geduld …. manchmal braucht es eben noch Zeit …. das sind dann die wahrhaft kostbaren Liebesbeziehungen, die diese Wege miteinander gehen.
    Vielleicht passt ja gerade Alexandre Jardin mit „Die Insel der Linkshänder“ 🙂
    Euch gute Wege!!!
    Herzliche Grüße Seeds

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    • liebe Seeds,
      das, was du schreibst, kann ich nur bejahen- so habe ich es auch begriffen und damit tanzen wir und dann ist da plötzlich ein richtig großer Dämon … kennst du die Methode von Tsültrim Allione: den Dämonen Nahrung geben? damit arbeite ich gerade … es braucht Zeit, Disziplin und vor allen Dingen Vertrauen und Zuversicht … nein, eine einfache Übung ist das nicht, aber wie mir scheint eine sehr lohnenswerte …
      deinen Buchtipp habe ich mir jetzt auf die Bücherliste gestellt, danke dir sehr dafür und für alles andere, es freut mich 🙂
      herzliche Grüße
      Ulli

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    • das dachte ich mir doch … irgendwie 😉
      es ist eine Praxis, eine Disziplin, und doch stellten sich gestern nach der ersten Fütterung Veränderungen ein … immer wieder faszinierend und motivierend 🙂

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  5. liebe ulli,
    wie geht es dir heute?
    ich habe durch einen anderen bloghausener den schriftsteller und psychoanalytiker arno gruen kennengelernt, und ich bin so angetan und positiv erleuchtet und erwärmt von dem, was er sagt und wie er ist. für mich ist er ein meilenstein. und ich habe nur ganz wenige.
    ich weiss, das ist kein ganz direkter weg, um zweier beziehungsprobleme zu lösen, doch irgendwie habe ich im gefühl, daß er dir gerade jetzt viel geben könnte. und meistens sind ja dann doch die umwege, die eigentlichen wege.
    sieh doch mal auf youTube nach, wenn du zeit hast.
    ganz viele liebe grüße,
    eva

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    • liebe Eva, du rührst mich … danke 🙂
      ja, ich schaue gerne einmal, irgendwo läutet bei dem Namen auch ein Glöckchen in mir … nun muss ich aber erst einmal für die Hochzeit meiner Tochter morgen vorkochen … die Deko ist schon fertig, es sieht sehr fein aus, das hat mir heute richtig Freude gemacht, die Sonne schien auch wieder den ganzen Tag, der Liebste rief heute Morgen an (er ist Zurzeit in einer Reha), so what … alles gut 😉

      herzlichliebe Grüße
      Ulli

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  6. Mit Garantien würde die Liebe langweilig werden. Die Liebe ist ein aufregender Tanz in einer bunten, sich ständig verändernder Welt. Großartig in Szenen gesetzt!

    Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen, Fritsch.

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    • es ist mit der Liebe, wie mit dem Leben, nicht wahr, lieber Florian, es gibt keine Sicherheiten, keine Garantien, also … lass uns tanzen … mal den Blues, mal den leichten Walzerschritt 😉

      herzlichste Grüße
      Ulli

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